Dass Waldspaziergänge so regenerierend sind, hat unter anderem einen Grund, den wir zuweilen nicht bewusst wahrnehmen: Bäume geben Terpene an die Luft ab, die erstaunliche Wirkungen auf den menschlichen Organismus haben.
Bäume, Farne, Moose und Blütenpflanzen setzen über ihre Blätter oder Nadeln, Stämme, Wurzeln und Früchte sogenannte Terpene frei Dies sind volatile und flüssige Substanzen, von denen derzeit etwa 55 Tsd. identifiziert sind.1
Mögliche Wirkmechanismen der einzelnen Terpene und ihre Auswirkungen auf weitreichende Prozesse im gesamten Organismus wurden in Studien der letzten Jahre in vivo und in vitro untersucht und unter anderem entzündungshemmende, anti-tumorigene oder neuroprotektive Aktivitäten beschrieben.2
Die Trockenmasse einer Kiefernnadel besteht zu über 10 % aus Monoterpenen.
Dass Pflanzen und Bäume diese biogenen Wirkstoffe produzieren, hat vielfältige Gründe:3
Der typische Geruch ätherischer Öle und volatiler Pflanzenstoffe ist zahlreichen Terpenen zu verdanken. In den Wäldern überwiegen Alpha- und Beta-Pinen mit starken Harzdüften oder D-Limonen mit Orangenduft. In der Schale von Äpfeln sind es u. a. Alpha- und Beta-Farnesen. Einige Terpene sind auch in den Lebensmittel- oder Parfümherstellung beliebt (Menthol, Alpha-Terpinol mit Fliedergeruch, Beta-Octimen mit Zitrus- und Kieferduft). Der demnächst wieder typische Herbstgeruch ist den ab dem Laubfall hohen Konzentrationen des Blattalkohols 3-Hexenol geschuldet.3
Die Verbindungen können aufgrund ihrer hydrophoben Eigenschaften und ihrer geringen Molekülgröße Lipidmembranen, wie die Blut-Hirn-Schranke, passieren und auch in periphere Gewebe gelangen. Gerüche wirken auch auf die enterochromaffinen Zellen (EC-Zellen) im Epithel des Verdauungstraktes. Diese neuroendokrinen Zellen regulieren mit den von ihnen gebildeten Hormonen nicht nur die Tätigkeit gastrointestinaler Organe, sondern fungieren auch als Sensoren für Aromastoffe. Gewisse Verbindungen aus der Nahrung, aber auch Gewürzpflanzenterpene regen die EC-Zellen zur Freisetzung von Serotonin an.3
Die Geruchsschwelle für Terpene ist bei Menschen besonders niedrig, was auf eine evolutionäre Bedeutung hinweisen könnte. Von Geosmin etwa können wir noch 1 Molekül unter 10 Milliarden anderen wahrnehmen! Fun fact: Geosmin, welches auch in feuchten Böden vorkommt, scheint der Grund zu sein, warum Kamele in der Wüste wasserreiche Oasen ausmachen können.
Angenehme Düfte beeinflussen viele Hirnregionen für Wachheit und Wohlbefinden und verbessern kognitive Vorgänge. Dabei gibt es sowohl beruhigende, als auch anregende Naturdüfte. Beispielsweise Lavendel- oder Jasminlactone (Aroma von Mango, Passionsfrucht oder Pfirsich) reduzieren die Aktivitäten im präfrontalen Kortex, sodass die Gehirnwellen dann in den Alpha- oder sogar Theta-Bereich (entspannter Zustand) gehen. Andere Düfte heben sie dagegen in den Betabereich an, dem Äquivalent eines konzentrierten Zustandes.3
Zahlreiche Terpene steigern die Aktivität des Parasympathikus und reduzieren die des Sympathikus. Damit verbunden ist auch eine Senkung des Stresshormons ACTH.
Auch angstlösende und muskelentspannende Effekte sind beschrieben. Beispielsweise das bereits genannte Terpen Alpha-Pinen fördert die Expression des Wachstumsfaktors BDNF und der Tyrosinhydroxylase (einem Vorläufer von L-Dopa). Über solche und weitere Signalwege kurbeln Naturdüfte die Ausschüttung verschiedener Neurotransmitter an, neben Dopamin und Serotonin auch von Acetylcholin und GABA. GABA wirkt angstlösend, entspannend, schmerzlindernd und senkt den Blutdruck (in Studien ging ein GABA-Mangel mit Hypertonus einher). Die Bindung von Alpha-Pinen an GABA-Rezeptoren führt außerdem zu einer Verlängerung der NRM-Schlafphase, was die Verbesserung der Schlafdauer nach Waldspaziergängen, auch bei Probanden mit Schlafstörungen, mit erklären könnte.3
Nicht nur, aber vor allem Kiefernarten geben besonders viele Monoterpene an die Luft ab, die antibiotische, antivirale, antioxidative und antientzündliche Wirkungen haben. Hieraus resultiert ein günstiger Effekt auf Bronchialerkrankungen.
Diese Monoterpene (Alpha-Pinen, D-Limonen, Cedrol) kurbeln zudem die Aktivität natürlicher Killerzellen an. Genauer: sie induzieren die Synthese von Molekülen in deren Zytoplasma – wie Perforine, Granzyme und Granulysine – mit deren Hilfe die NK-Zellen die Membran von Viren und kranken oder entarteten Zellen durchlöchern und deren Apoptose auslösen. Nach einem mehrtägigen Waldaufenthalt stieg die NK-Zell-Aktivität um 50% an und blieb für 30 Tage erhöht. Selbst der Effekt eines Waldaufenthaltes von einigen Stunden kann für bis zu 7 Tage anhalten.
Diese Wirkungen sind allein mit Bewegung im Rahmen der Waldspaziergänge nicht zu erklären, da sie in terpenarmen, urbanen Umgebungen nicht in der Form nachweisbar sind.3
Für die Stärkung der Immunfunktion durch Monoterpene spielt sicherlich auch ihre beruhigende Wirkung und die Senkung der Stresshormone (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) eine Rolle.
Durch das Zusammenspiel dieser Mechanismen mit Bewegung und besserer Luftqualität im Wald (mehr Negativ-Ionen, weniger Feinstaub) sind teils erstaunliche Effekte auf Blutdruck, Puls und Atmung beschrieben. Beeindruckt hat mich eine chinesische Studie, in der ein einwöchiger Waldaufenthalt bei 65- bis 70-jährigen Hypertonie-Patienten den Blutdruck senkte. Parameter im Blut, von denen wir wissen, dass sie zur Aufrechterhaltung eines Bluthochdruckes beitragen, nahmen ebenfalls ab, darunter die Endothelin-1-, die Homocystein- und Angiotensinogenkonzentrationen sowie die AT1- und AT2-Rezeptor-Aktivität. Im Zuge dessen gingen auch proinflammatorische Zytokine (wie IL-6) zurück. Die drei erstgenannten gelten als systemische Signalmoleküle bei intrazellulären Alterungsprozessen und können selbige durch eine übermäßige Bildung freier Sauerstoffradikale verstärken.4
Weiters beschrieben Studien, dass Terpene dazu beitragen, den Stoffwechsel anzuregen, Fatiguesyndrome zu reduzieren und die Barrierefunktion der Haut wiederherzustellen, wenn diese im Rahmen chronischer Stresszustände mit erhöhten Cortisolwerten gestört ist.3
Die Hauptinspiration für diesen Artikel war das Buch "Bionische Regeneration", in dem der Autor, Ulrich Warnke, langjähriger Universitätsdozent für Bionik, aufzeigt, wie wir Alterungsprozesse auf innovative Weise aufhalten können. Das Buch steckt auch voller Quellen und Studien für die hier nur kurz skizzierten Zusammenhänge.3
Bild: Sophie Christoph
Referenzen:
1. p-themes. Terpenes & Trees. Inca Trail Terpenes https://incatrailterpenes.com/blogs/terpenes-us/terpenes-trees.
2. Cho, K. S. et al. Terpenes from Forests and Human Health. Toxicol Res 33, 97–106 (2017).
3. Bionische Regeneration. Penguin Random House Verlagsgruppe https://www.penguinrandomhouse.de/Taschenbuch/Bionische-Regeneration/Ulrich-Warnke/Goldmann/e490472.rhd.
4. Mao, G.-X. et al. Therapeutic effect of forest bathing on human hypertension in the elderly. J Cardiol 60, 495–502 (2012).