An der Schnittstelle zwischen schädlichen Umwelteinflüssen und Asthma steht die Epigenetik. Eine häufig genutzte Substanzklasse ist dort auch zugange. An gezielten Neuentwicklungen wird gearbeitet.
"Alles in allem gehen die Trends in Richtung back to the roots. Es geht darum, unsere Gewebe und Organe so zu erhalten, wie sie uns mitgegeben worden sind. Inklusive ihres gesunden und vielfältigen Mikrobioms. Wenn man den Körper mal machen lässt, weiß er sich sehr gut selbst zu helfen." So schön resümiert ein Leser in seinem Kommentar zu unserem letzten Beitrag.
Tja, aber die schädlichen Einflüsse auf die vererbbare (!) Epigenetik, die sich u. a. retrospektiv von der rauchenden Großmutter bis zum asthmagefährdeten Enkelkind nachvollziehen lassen1, können die körperlichen Selbsthilfeprozesse wohl gelegentlich aus der Fassung bringen. Neben dem Mikrobiom ist die Epigenetik eines der großen Hype-Themen unserer Zeit2, das auch beim EAACI Kongress 2019 in Lissabon zur Sprache kam.
Bei der Epigenetik geht es um die Änderung der Genexpression ohne Änderung der DNA-Sequenz. Die veränderte Genfunktion beruht also nicht auf Mutation, sondern auf Regulationsmechanismen der Transkription, wobei die DNA-Methylierung, die Modifikation von Histonen und die posttransskriptionale Modifikation durch Mikro-RNA (miRNA) oder "small interfering RNA" (siRNA) im Vordergrund stehen.
Ein so grundlegender Steuerungsmechanismus wie der epigenetische dürfte bei vielen Erkrankungen eine Rolle spielen. Die Wissenschaft ist dem Geschehen nicht nur beim Krebs, sondern etwa auch bei Diabetes mellitus, COPD und Allergien auf der Spur. Und eben beim Asthma, wenn auch mit einigen Rückschlägen und Enttäuschungen, die eine neue Generation von epigenetischen Studien wettmachen soll2. Die Epigenetik wird an der Schnittstelle zwischen Umwelteinflüssen und Krankheitsentstehung verortet und u. a. für die Ausprägung verschiedener Phänotypen verantwortlich gemacht. Last not least erhofft man sich hier einen Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Konzepte.
Ein altes, sehr breit und erfolgreich eingesetztes Konzept gibt es schon und wir bedienen uns in der Praxis ausgiebig davon: Glukokortikoide sind epigenetische Modifikatoren, sie können das menschliche Methylierungsmuster verändern. Die Krux besteht bekanntlich darin, dass sie das ziemlich ungezielt tun. Nach dem Vorbild der Natur steht deshalb die zielgenaue Manipulation auf dem Forschungsprogramm. In der Onkologie wird damit bereits gearbeitet: DNMT-Inhibitoren bremsen die DNA-Methylierung, HDAC-Inhibitoren kehren die Deacetylierung der Histone um.
Erste epigenetisch wirksame Medikamente zur Behandlung bestimmter Tumorkrankheiten sind bereits auf dem Markt, in den USA z. B. der HDAC-Hemmer Vorinostat und der DNMT-Inhibitor 5-Azacytidin, in Deutschland seit 2012 der DNA-Methyltransferase-Inhibitor Decitabin zur AML-Therapie bei Patienten über 65 Jahren. Das epigenetisch aktive Enzym EZH2 sorgt für eine Inaktivierbarkeit von Tumorsuppressionsgenen und ist bei besonders bösartigen Krebsformen mit hohem Gehalt in den Tumorzellen zu finden. Zu den möglichen Indikationen für künftige EZH2-Hemmstoffe zählt auch das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (Quelle: Lungeninformationsdienst).
Allerdings sind noch viele Fragen offen. Etwa die, ob epigenetische Wirkstoffe auch die normale Zellphysiologie verändern oder chemotherapeutische Therapien beeinflussen. Bis zu einer breiten Anwendung von Medikamenten mit gezieltem epigenetischen Wirkmechanismus werden hierzulande wohl noch einige Jahre vergehen.
Referenzen:
1. Li YF et al. Maternal and grandmaternal smoking patterns are associated with early childhood asthma. Chest 2005;127(4):1232-41
2. Vercelli D. Does epigenetics play a role in human asthma? Allergol Int 2016;65(2):123-6
Abkürzungen:
AML = akute myeloische Leukämie
EAACI = European Academy of Allergy and Clinical Immunology