Auferstehung nach Ostern: eine Glaubensfrage?

Mit Spannung werden die politischen Entscheidungen zur Lockerung der Corona-Maßnahmen erwartet …

Mit Spannung werden die politischen Entscheidungen zur Lockerung der Corona-Maßnahmen erwartet …

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir hoffen, Sie konnten einige dienstfreie Zeit an den Feiertagen gesund und fröhlich – oder zumindest mit froher Zuversicht – im kleinen Familienkreis verbringen und das schöne Osterwetter ein bisschen genießen. Angesichts des Corona-Lockdowns, über dessen mögliche Lockerung die Regierungschefs von Bund und Ländern am heutigen Tag beraten, bekommt der Begriff der Auferstehung eine sehr aktuelle säkulare Bedeutung.

Mehrheit der Deutschen für Fortsetzung des Lockdowns?

Gleichzeitig scheint, zumindest noch vor gut einer Woche, der Glaube der Bevölkerung an die Notwendigkeit der restriktiven Maßnahmen und ihre Fortsetzung ungebrochen zu sein. Gemäß einer repräsentativen Umfrage soll die Mehrheit der Deutschen Lockerungsmaßnahmen ab dem 20. April für verfrüht halten (esanum-News). In Schweden hat man sich den Zwang erst gar nicht angetan und ist – zum Unverständnis der anderen Staaten sowie von Kritikern im eigenen Land – einen Sonderweg gegangen.

Der hat die mit etwa 10 Millionen Bürgern größte skandinavische Nation bisher nicht, wie prophezeit, in die unmittelbare Katastrophe geführt. Allerdings ist aktuell (Stand: 15.04.2020) laut Dashboard der Johns Hopkins University die Zahl der COVID-19-Todesfälle mit 1.203 in Bezug auf die 11.927 bestätigten Infektionen vergleichsweise hoch (Deutschland: 3.502/132.110).

Schwedischer Sonderweg noch nicht am Ende

Dennoch ist das in den Medien ebenfalls prophezeite Ende des schwedischen Sonderwegs bislang nicht eingetreten. Es gab zwar kürzlich gesetzgeberische Aktivitäten, diese dienen aber vor allem dazu, der Regierung ein flexibleres Handeln zu ermöglichen. Menschenansammlungen mit bis zu 49 Personen sind weiterhin erlaubt, die meisten Geschäfte und Restaurants ebenso wie Kitas und Grundschulen geöffnet. Seit dem 3. April sind Besuche in Pflege- und Altersheimen verboten. Die meisten Schweden scheinen sich auch ohne staatliche Sanktionierung an die gebotenen Verhaltensregeln wie Abstand, Home Office und Reiseverzicht zu halten.

Freilich sind die schwedischen Verhältnisse nicht deckungsgleich mit den deutschen – weder demografisch noch kulturell. Mit voreiligen Schlüssen sollte man deshalb vorsichtig sein. Nicht einmal innerhalb Deutschlands sind die Gegebenheiten überall gleich. Deshalb ist es gut und richtig, dass in föderaler Abstimmung um eine gemeinsame Linie gerungen, die Umsetzung aber nicht zentralistisch angeordnet wird.

Ad-hoc-Empfehlungen von Ethikrat und Leopoldina

Was aber dringend not tut, ist ein fakten- und verstandbasierter Einstieg in den Ausstieg aus dem Lockdown. Die Leopoldina hat dafür ein Strategiepapier mit dem Titel "Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden" erstellt, das "zu einer schrittweisen Rückkehr in die gesellschaftliche Normalität beitragen" soll. Wir werden sehen, was unsere Politiker mit den seit Ostermontag vorliegenden und seitdem heftig diskutierten nationalen Handlungsempfehlungen anfangen. Erste Medienberichte über eine anstehende Maskenpflicht im Handel und im öffentlichen Nahverkehr sowie eine Wiederöffnung von Geschäften und Schulen kursieren bereits.

Man kann nur dankbar sein, wenn die Ende März veröffentlichten Ad-hoc-Empfehlungen (PDF) des Ethikrats zur Triagierung bei Ex-ante- und Ex-post-Konkurrenz um Beatmungsplätze auf der Intensivstation hierzulande nicht zur Anwendung kommen müssen. Die aktuelle Tendenz der Fallzahlen spricht dafür, dass man sich mit gebotener Vorsicht Hoffnungen in dieser Hinsicht machen darf. Die wirtschaftlichen und fiskalischen Verwerfungen des Lockdowns und ihre langfristigen Folgen stehen auf einem anderen Blatt.

Hohe Beteiligung an esanum-Livestream

Die Triagierung von Patienten in der Hausarztpraxis war eines von vielen Themen in der ersten Folge der esanum-Livestreamserie "COVID-19 in der Praxis". Über 4.300 Kollegen nahmen an der virtuellen Veranstaltung teil und nutzten ausgiebig die Möglichkeiten des Votings und Fragenstellens. Der große Zuspruch zwang sogar kurzzeitig den esanum-Server in die Knie. Besonders gelungen war die Zusammensetzung der Vortrags- und Diskussionsrunde mit einem niedergelassenen Facharzt, dem Pneumologen Dr. Thomas Schultz (Berlin), einem Kliniker, dem Infektiologen Prof. Thomas Weinke vom Ernst von Bergmann Klinikum in Potsdam, und einer Hausärztin, der Berliner Allgemeinmedizinerin Dr. Petra Sandow, als Moderatorin.

"Ändert täglich eure Meinung, wenn es nötig ist."

Am Anfang war Dr. Enrico Storti aus Italien zugeschaltet, der Chefarzt der Intensivstation im Klinikum Lodi bei Mailand, wo Italiens erster Corona-Patient diagnostiziert worden ist. Storti verband seinen mutmachenden Zuspruch an die deutschen Kollegen mit einem wichtigen Ratschlag: "Ändert täglich eure Meinung, wenn es nötig ist." Das sollte man stets beherzigen – auch jenseits der akuten Corona-Krise, in der täglich neue Informationen das Wissen und die Einschätzung bezüglich dieser neuartigen Krankheit verändern können.

Ärztliche Aufgabe: den Patienten die Angst nehmen

Eine der wichtigsten ärztlichen Aufgaben besteht in diesen Tagen darin, den Patienten im Umgang mit ihren Ängsten zu helfen. Das sieht, im Kontext der aktuellen Praxissituation, auch der Berliner Kollege Schultz so: "Derzeit haben wir eine Ausfallrate von etwa 40%, das heißt, es kommen 40% weniger Patienten in die Praxis als sonst. Ich gehe aber davon aus, dass sich die Situation wieder stabilisiert. Unsere aktuelle Aufgabe besteht darin, den Patienten die Angst zu nehmen, dass sie sich in der Praxis anstecken könnten."

Ärztliche Kooperation: "Go" statt "NoGo"

Für die ärztliche Kooperation zeigt die Corona-Krise neue Potenziale auf: "Auf einmal arbeiten Teams zusammen, von denen man vorher dachte, das ist ein 'NoGo'", berichtete der Kliniker Weinke aus dem Krisenalltag.

Das Potsdamer Ernst von Bergmann Klinikum steht allerdings gerade sprichwörtlich vor einer Zerreißprobe. Nach der Infektion zahlreicher Patienten und Mitarbeiter mit SARS-CoV-2 und einer Häufung von Todesfällen gilt das kommunale Krankenhaus als Corona-Hotspot in Brandenburg. Am 1. April, an dem das esanum-Webinar unter Mitwirkung von Weinke gestreamt wurde, ordnete das Gesundheitsamt Potsdam Einschränkungen bei der Patientenaufnahme des Klinikums an.

Wie der Medienberichterstattung zu entnehmen ist, laufen gegen drei leitende Ärzte und die Geschäftsführung Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen verspäteter Meldungen von Corona-Fällen. Zudem prüft die Potsdamer Staatsanwaltschaft das Vorliegen von Anhaltspunkten für einen Straftatbestand. Das wäre der Fall bei einem vorsätzlichen Meldeverzug.

Dem RKI-Vorschlag zur Umgestaltung in eine zentrale COVID-19-Klinik sind die Entscheidungsträger nicht gefolgt. Stattdessen soll das Haus, unter Mithilfe der Unternehmensberatung Kienbaum, in drei Bereiche aufgeteilt werden, die autark voneinander arbeiten können.

"Schließt euch zusammen!"

Um zur ärztlichen Kooperation zurückzukommen: Die Autarkie im ambulanten Bereich sollte durch mehr Vernetzung ergänzt werden – gerade in Corona-Zeiten, am besten aber auch darüber hinaus. Schultz schlug vor, dass sich Haus- und Facharzt zusammentelefonieren und besprechen, wer beim Umgang mit Verdachtsfällen und Infizierten was machen kann. Sein Appell: "Schließt euch zusammen!"

Abkürzungen:
COVID-19 = Corona Virus Disease 2019
RKI = Robert Koch-Institut
SARS-CoV-2 = neuartiges Coronavirus