Babys allererste Schreie – ein "steinaltes" Phänomen, neu verstanden

Bei gesunden Neugeborenen sind bemerkenswert komplexe Mechanismen zu beobachten, die ihnen die plötzliche Anpassung an die Luftatmung erlauben. Zum ersten Mal gelang es Forschern, dies minimalinvasiv, aber genau aufzuzeichnen.

Bei gesunden Neugeborenen sind bemerkenswert komplexe Mechanismen zu beobachten, die ihnen die plötzliche Anpassung an die Luftatmung erlauben. Zum ersten Mal gelang es Forschern, dies minimalinvasiv, aber genau aufzuzeichnen.

Die ersten Atemzüge und Schreie eines neuen kleinen Erdenbürgers sind etwas Besonderes – nicht nur für die Eltern, sondern für alle, die diesem lebensbejahenden Moment im Kreißsaal oder OP beiwohnen. Doch bisher existierten nur wenig Daten, größtenteils aus experimentellen und Tierstudien, dazu, was an ihnen atemphysiologisch so besonders ist.

Ein tieferes Verständnis der Prozesse, die Erfolg und Misserfolg der Atmung direkt nach der Geburt bestimmen, wäre hilfreich, um Interventionen in dieser frühen Phase verbessern zu können. Ein großes Interesse besteht natürlich daran, wie die neugeborene Lunge optimal ventiliert werden kann, um Schäden zu minimieren.

Einem Team um David Tingay, klinischer Neonatologe vom Murdoch Children's Research Institute (MCRI) in Melbourne, gelang es, diese Prozesse genauer abzubilden als je zuvor.Hierzu bediente es sich der Electrical Impedance Tomography (EIT), einem minimalinvasiven Verfahren, für das den Neugeborenen Sekunden nach der Geburt ein hoch empfindlicher Sensorgürtel um die Brust gelegt wurde.

Die hieraus errechneten Bilder des Thorax, zusammen mit Video- und Audiodaten, ermöglichten detaillierte Auswertungen der intrathorakalen Volumenmuster. So verarbeiteten die Forscher, Atemzug für Atemzug, insgesamt 1.401 Atemzüge von 17 gesunden, zum Termin geborenen Babies, die per elektivem Kaiserschnitt zur Welt kamen. Wie dies genau aussah, können Sie in diesem Video-Release des MCRI verfolgen.

Die erstmalige Belüftung der flüssigkeitsgefüllten Lunge = die vielleicht größte physiologische Herausforderung für alle Säugetiere

Andere Organe, die für das fetale Überleben funktionieren müssen, werden bereits in utero getestet. Für die Lunge stellt diese Transition eine Herausforderung dar und beinhaltet eine ausgeklügelte Koordination der pharyngealen Reflexe, um die Durchgängigkeit der Atemwege zu sichern, sowie Mechanismen, die die fetale Lungenflüssigkeit schnell aus den Luftwegen in das Interstitium der Lunge und schließlich aus der Lunge heraus befördern.

Die fetale Lunge ist nicht kollabiert, sie hat eine normale FRC (funktionelle Residualkapazität) von etwa 30 ml/kg, die durch eine Flüssigkeit mit niedrigem Proteingehalt aufrechterhalten wird.2 Die Untersuchung offenbarte, dass das Einsetzen der Luftatmung einzigartige Fluss- und Volumengegebenheiten erzeugt, die zu keinem anderen Zeitpunkt in der Atemphysiologie vorkommen. Die Wissenschaftler stellten außerdem fest, dass Neugeborene direkt nach der Geburt von Natur aus den exspiratorischen Fluss bremsen, um FRC-Gewinne zu erhalten und Gas in weniger belüftete Regionen umzuverteilen.

Faszinierende Einblicke: Was geschieht in und um die Lunge in den ersten Minuten außerhalb von Mamas Bauch?

Die Atemmuster änderten sich von überwiegendem Schreien (80,9 Prozent in der ersten Minute) zu Pendel- oder Tidalatmung (65,3 Prozent in der sechsten Minute). Die Verteilung war dabei räumlich und zeitlich nicht einheitlich: der initiale Gasfluss ging primär in die rechte Lunge und in die nicht abhängigen (also ventralen) Regionen (p < 0,001 gegenüber den linken und abhängigen Regionen). Abhänge Regionen sind die, wo gemäß der Schwerkraft "unten" ist, wo sich also das meiste Blut befindet bzw. die Perfusion höher ist.
Das anfängliche Schreien erzeugte ein einzigartiges volumetrisches Muster mit einem verzögerten mittelexpiratorischen Gasfluss in Verbindung mit einer intrathorakalen Volumenumverteilung (Pendelluftfluss) innerhalb der Lunge. Dadurch blieb die FRC erhalten, insbesondere in den dorsalen und rechten Regionen.

Dies lässt sich zu folgendem Verständnis zusammensetzen:
Während der Fetalperiode füllt Lungenflüssigkeit die Alveolen bis zur FRC und es herrscht ein leichter Überdruck, der durch den erhöhten Widerstand der oberen Atemwege aufrechterhalten wird. Der pulmonale Blutfluss ist niedrig, teilweise aufgrund der hypoxischen pulmonalen Vasokonstriktion. Mit den ersten Schreien kommt es zu einer asymmetrischen Ventilation zunächst der rechten, nicht abhängigen Bereiche der Lunge. Ein erhöhter Alveolardruck spielt eine Rolle bei der Clearance von Lungenflüssigkeit. Exspiratorisches „Abbremsen“ während des Weinens und „Pendelluft“ (tidal breathing) führt zu einer Umverteilung der Ventilation auf abhängige Bereiche der Lunge. Die verbesserte Belüftung der abhängigen Regionen und pulmonale Vasodilatation in Verbindung mit Tidalatmung verbessert dann die Oxygenierung (bei den hier untersuchten Babies lag die SpO2 nach 60 Sekunden bei 52 Prozent und nach 360 Sekunden bei 78 Prozent).2

Ausblick

In junger Vergangenheit gab es großes Interesse an der Frage, wie CPAP (kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck) zur Optimierung der Ventilation von Frühgeborenen (denen häufig Surfactant fehlt) eingesetzt werden kann, um druckbedingte Lungenschädigungen durch anhaltende Inflation zu vermeiden.
Das begleitende Editorial im American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine merkt an, dass die Studie wertvolle neue Informationen zur Ventilation liefert, nicht jedoch zum pulmonalen Blutfluss.2
Hypoxische pulmonale Vasokonstriktion trägt zu einem hohen fetalen pulmonalen Gefäßwiderstand bei und Beatmung mit Luft oder Sauerstoff reduziert den pulmonalen Gefäßwiderstand. Die Zunahme des pO2 und die Abnahme des pCO2 im Blut reduziert den Gefäßwiderstand in nicht belüfteten Lungensegmenten. Diese Phänomene können ein Ventilations-/ Perfusions-Mismatch vorübergehend verschlimmern und zu einer niedrigen Sauerstoffsättigung beitragen.

Aus humanphysiologischen Studien wie dieser können neue Erkenntnisse gewonnen werden, die auch eine bessere Ausrichtung klinischer Studien zur neonatalen Reanimation bei anderen Gruppen von Hochrisikopatienten ermöglichen könnten, wie z. B. sehr frühgeborenen Kindern mit unreifen Lungen oder Terminkindern mit Lungenerkrankungen, schließt das Editorial.2

Referenzen:
1. Tingay, D. G. et al. Imaging the Respiratory Transition at Birth: Unraveling the Complexities of the First Breaths of Life. Am J Respir Crit Care Med 204, 82–91 (2021).
2. Lakshminrusimha, S. & Jobe, A. H. Baby’s First Cries and Establishment of Gas Exchange in the Lung. Am J Respir Crit Care Med 204, 11–13 (2021).