Hier stellen wir Ihnen das 'Acute COPD Exacerbation Prediction Tool' vor – ein kürzlich entwickeltes, validiertes Modell zur Abschätzung der individuellen Häufigkeit und Schwere von COPD-Exazerbationen.
Aktuelle Leitlinien stützen sich einzig auf die Anzahl der Exazerbationen in der Vorgeschichte als stärkstem, bislang identifizierten Risikofaktor für zukünftige Exazerbationen.1 Kanadische Spezialisten haben einen Score entwickelt, der durch Kombination routinemäßig erhobener klinischer Daten und einfacher demographischer Variablen eine bessere, individualisiertere Einschätzung des Exazerbationsrisikos ermöglichen soll.2,3
Ein systematisches Review 2017 identifizierte 27 Vorhersagemodelle für COPD-Exazerbationen. Doch nur zwei waren extern validiert worden und keines war geeignet für die klinische Anwendung.1 Seither sind nur zwei weitere, extern validierte Vorhersagetools hinzu gekommen, die ebenfalls nicht generalisierbar oder praxistauglich waren. Wissenschaftler der University of British Columbia, Kanada, entwickelten daher auf Basis von Daten dreier randomisierter Studien (mit insgesamt 2.380 Patienten) das klinische Prognosetool 'ACCEPT' (Acute COPD Exacerbation Prediction Tool). Sie validierten dieses erfolgreich anhand einer großen, multinationalen, prospektiven Kohorte ('ECLIPSE', n = 1.819), sodass eine Generalisierbarkeit auf verschiedene geographische Regionen und Settings außerhalb von Studien gegeben ist.
In dieses neue Modell gehen Exazerbationen in der Vorgeschichte, Alter, Geschlecht, BMI, Rauchstatus, Heimsauerstofftherapie, Lungenfunktion (FEV1), Symptomlast (SGRQ oder CAT) und derzeitiger Medikamentenbedarf ein.
'ACCEPT' ist für eine einfache Anwendung in der klinischen Praxis konzipiert und über die Webseite der University of British Columbia als Online-Anwendung (http://resp.core.ubc.ca/ipress/accept) verfügbar. Es ist damit das erste Prognosetool für COPD-Exazerbationen, welches sowohl die individualisierte Rate, als auch die Schwere von Exazerbationen schätzt.
Die Exazerbationsrate in der externen Validierungskohorte lag bei durchschnittlich 1,2 Ereignissen pro Jahr insgesamt und 0,27 Ereignissen für schwere Exazerbationen, was den vorhergesagten Werten sehr nahe kam (1,31 und 0,25 Ereignisse). 'ACCEPT' erreichte eine AUC von 0,81 für mindestens zwei Exazerbationen und 0,77 für mindestens eine Exazerbation (die AUC oder area under the curve kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen: ein Modell, dessen Vorhersagen zu 100 % falsch sind, hätte eine AUC von 0 und eines, das immer richtig liegt, eine AUC von 1).
Ein Kommentar im Lancet3 hebt zunächst hervor, dass dieses Modell – insbesondere für schwere Exazerbationen – eine Verbesserung zur alleinigen Exazerbationsanamnese darstellt. Letzteres kann zudem nicht vor einer ersten Exazerbation warnen, die bei vielen Patienten ein Sentinel Event im Krankheitsverlauf darstellt. Schwere Exazerbationen sind besonders relevant, da sie mit einer schnellen Abnahme der Lungenfunktion einhergehen und 50% der Patienten innerhalb von zwei Jahren danach versterben.4
Die Entwickler des Tools merken jedoch selbst an, dass viele Variablen eher Marker der Erkrankungsschwere sind als biologische Prädiktoren des wirklichen Risikos. So geht beispielsweise Rauchen paradoxerweise mit einem niedrigeren Exazerbationsrisiko einher, wahrscheinlich weil schwerer kranke Patienten mit höherer Exazerbationsfrequenz mit größerer Wahrscheinlichkeit aufgehört haben zu rauchen. Ähnliche Effekte könnten auch bei Kontrollmedikationen greifen.
Noch nicht untersucht ist, ob das Einbeziehen weiterer Variablen – wie Eosinophilenzahl, chronische Bronchitis, Reflux, sozioökonomischer Status oder Versicherungsschutz – die Risikoabschätzung weiter verbessern würde.
Der Kommentar im Lancet legt dar, dass das, was wir zu treffen versuchen, letztlich ein bewegliches Ziel ist. Sind Exazerbationen wirklich eine Manifestation akkumulierender Krankheitsschwere und somit prognostizierbar oder sind sie doch eher zufällige Ereignisse, sodass Vorhersagetools immer schwankende Trefferquoten haben müssen?
Für beide Punkte gibt es Argumente. Als starken Hinweis für eine gewisse Vorhersagbarkeit führt der kommentierende Pulmologe an, dass schwere Ereignisse tendenziell in immer kürzer werdenden Zeitintervallen wiederzukehren scheinen („Exazerbationen erzeugen Exazerbationen“).5 Eine Häufung von Exazerbationen ist jedoch eher über kürzere Perioden beschrieben und könnte eine nicht vollständige Erholung und eine Tendenz zur Dekompensation widerspiegeln.6
Andererseits treten die weniger schweren Exazerbationen wahrscheinlich eher zufällig auf. Selbst der häufig exazerbierende Phänotyp scheint nicht so stabil zu sein wie früher gedacht und Patienten mit häufigen Exazerbationen können durchaus ereignisfrei durch das Folgejahr gehen.7,8
„Für das kurzfristige Risiko (1 Jahr), scheint eine hohe Frequenz mittelschwerer Exazerbationen (bspw. ≥ 2 pro Jahr, wie in 'ACCEPT') ein Prädiktor für häufige Exazerbationen im Folgejahr zu sein. Auch wenn Modelle für das 1-Jahres-Risiko klinisch nützlich sind, ist es wertvoll, Modelle zu entwickeln, die das längerfristige Risiko voraussagen, denn diese werden das Fortbestehen eines häufig exazerbierenden Phänotyps erfassen, falls es diesen gibt“, schließt der Kommentar.3
Referenzen:
1. Adibi, A. et al. The Acute COPD Exacerbation Prediction Tool (ACCEPT): development and external validation study of a personalised prediction model. bioRxiv 651901 (2019) doi:10.1101/651901.
2. Adibi, A. et al. The Acute COPD Exacerbation Prediction Tool (ACCEPT): a modelling study. Lancet Respir Med 8, 1013–1021 (2020).
3. Bhatt, S. P. COPD exacerbations: finally, a more than ACCEPTable risk score. The Lancet Respiratory Medicine 8, 939–941 (2020).
4. Connors, A. F. et al. Outcomes following acute exacerbation of severe chronic obstructive lung disease. The SUPPORT investigators (Study to Understand Prognoses and Preferences for Outcomes and Risks of Treatments). Am J Respir Crit Care Med 154, 959–967 (1996).
5. Suissa, S., Dell’Aniello, S. & Ernst, P. Long-term natural history of chronic obstructive pulmonary disease: severe exacerbations and mortality. Thorax 67, 957–963 (2012).
6. Hurst, J. R. et al. Temporal clustering of exacerbations in chronic obstructive pulmonary disease. Am J Respir Crit Care Med 179, 369–374 (2009).
7. Han, M. K. et al. Frequency of Exacerbations in COPD: An Analysis of the SPIROMICS Cohort. Lancet Respir Med 5, 619–626 (2017).
8. Le Rouzic, O. et al. Defining the ‘Frequent Exacerbator’ Phenotype in COPD: A Hypothesis-Free Approach. Chest 153, 1106–1115 (2018).