"Die Anzahl schwerer Krankheitsverläufe wird steigen"

Auch in Deutschland wurden jetzt konsequente Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 durch die Reduzierung sozialer Kontaktmöglichkeiten beschlossen. Jetzt sind die Krankenhäuser gefragt, sich aufzurüsten.

Auch in Deutschland wurden jetzt konsequente Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 durch die Reduzierung sozialer Kontaktmöglichkeiten beschlossen. Jetzt sind die Krankenhäuser gefragt, sich aufzurüsten.

Die Titelfrage des ersten Teils unseres Beitrags (Bekommen auch wir bald italienische Verhältnisse?) können wir – eine Woche später und nach der offiziellen Erklärung von COVID-19 zur Pandemie durch die WHO – mit "ja" beantworten. Zumindest, was die Schließung von Schulen, Geschäften und Grenzen angeht. Mittlerweile handelt es sich dabei um Maßnahmen, die europa- und zunehmend weltweit zur Eindämmung bzw. Verlangsamung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 ergriffen werden. Besser als in Italien sieht es bei uns bislang hinsichtlich der Todesfälle aus, wobei sich die Zahlen je nach Quelle unterscheiden: 12 (RKI) bzw. 13 (WHO) bzw. 26 (Johns-Hopkins-Universität) gegenüber 2.158 Toten (WHO) in Italien (alle Berichtsdaten vom 17.03.2020).

Weltweit sieht es, je nach Berichtsquelle, so aus:

Robert Koch-Institut (PDF-Ausschnitt, 17.03.2020):

RKI.PNG

Die Dynamik ist, wie zu erwarten, exponenziell. Einen Tag später (18.03.2020;10:30h) liegt die Fallzahl in Deutschland laut RKI-Website schon bei 8.198, was eine Zunahme um 1.042 gegenüber dem Vortag bedeutet sowie 9,9 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner. Da kommt selbst RKI-Chef Prof. Lothar Wieler nicht mehr hinterher und liest im täglichen RKI-Update für Presse und Öffentlichkeit versehentlich die Zahl vom Vortag vor.

Weltgesundheitsorganisation (Novel Coronavirus [COVID-19] Situation, Weltkarte, 17.03.2020):

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Johns-Hopkins-Universität (Weltkarte):

Anders als RKI und WHO bildet die interaktive COVID-19-Map der Johns-Hopkins-Universität (Baltimore, Maryland/USA) die Lage nach eigenen Angaben in angenäherter Echtzeit ab.

Der Stand am 18.03.2020 um 8:13 Uhr:

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Das Dashboard wird gespeist aus Datenquellen der WHO, der U.S. Centers for Disease Control and Prevention, des European Center for Disease Prevention and Control, des National Health Commission of the People’s Republic of China sowie durch lokale Medienberichterstattung, Gesundheitsämter und DXY, einer der weltweit größten Online-Communities für Fachkräfte und Einrichtungen im Gesundheitswesen. Die laufende Aktualisierung erfolgt sowohl händisch als auch automatisch. Die Nutzung des Angebots liegt laut  Angaben des Coronavirus Virus Resource Center der Johns-Hopkins-Universität seit Anfang März im Bereich von 1,2 Milliarden Zugriffen täglich. Entwickelt hat das Dashboard Prof. Lauren Gardner vom Center for Systems Science and Engineering (CSSE) in Zusammenarbeit mit einer Doktorandin.

Natürlich wird auch der RKI-Chef dieses Angebot kennen. Auf Nachfrage nach den unterschiedlichen Zahlen hat er "3 bis 4 Tage Meldeverzug" bei seiner Behörde konzediert, der durch die Erfassung und Eingabe der gemeldeten Daten bedingt sei.

Gefahr für Deutschland "hoch"

Das RKI hat mittlerweile die Gefahr für die Bevölkerung in Deutschland als "hoch" eingestuft und im Landkreis Heinsberg als "sehr hoch". Dabei weist die Bundesbehörde extra darauf hin, "dass die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung nicht in die Risikobewertung des RKI einfließt". Tatsächlich ist das Problembewusstsein in Teilen der Bevölkerung noch mangelhaft ausgeprägt, nach dem Motto: "Ich gehöre ja nicht zur Risikogruppe" oder "Warum lässt man das Virus nicht laufen? Den allermeisten Menschen passiert nichts".

Die Antwort: Es ist am Ende die schiere Menge an schwer Erkrankten (man geht, auch für Deutschland, von einem Fünftel der Infizierten aus), die das Gesundheitssystem in arge Bedrängnis bringen kann. Zur Unterbrechung der Infektionskette hat jeder Einzelne, unabhängig von Alter und Gesundheitszustand, seinen (Verhaltens-) Beitrag zu leisten.

Die Gefährdung variiert von Region zu Region und die Kliniken müssen sich, so Wieler, "auf eine große Zahl von schwer erkrankten Menschen, die auch beatmungspflichtig sind" vorbereiten und ihre Intensiv-Kapazitäten "mindestens verdoppeln". Die Charité hat inzwischen 100 zusätzliche Beatmungsgeräte bestellt und die Bundesregierung beim Lübecker Medizintechnikkonzern Drägerwerk 10.000 Beatmungsgeräte geordert.

Maschinelle Beatmung als Nadelöhr

"Die Möglichkeiten einer maschinellen Beatmung von COVID-19 Patienten hat sich in schwer betroffenen Ländern wie China und Italien als das Nadelöhr in der aktuellen Pandemiesituation gezeigt", erklärt Prof. Christian Karagiannidis in einer aktuellen Mitteilung des RKI. Der Experte ist Sprecher der DIVI-Sektion "Lunge – Respiratorisches Versagen" und Leiter des ECMO-Zentrums der Lungenklinik Köln-Merheim. Zur Vernetzung der Krankenhäuser und ihrer Intensivstationen haben die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), das RKI und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) das DIVI Intensivregister entwickelt, um deutschlandweit die Kapazitäten auf den Intensivstationen tagesaktuell darzustellen. Die Website, über die freie Beatmungsplätze in allen Kliniken Deutschlands registriert und abgefragt werden können, ist seit dem 17.03.2020 freigeschaltet.

DIVI Intensivregister freigeschaltet – "bitte beteiligen!"

Als Basis für das neue DIVI Intensivregister wird das im Zuge der H1N1-Pandemie im Jahr 2009 aufgebaute ARDS-Netzwerk genutzt, in dem bisher rund 85 Kliniken verbunden waren. Die Registrierung für neue Kliniken soll in 5 Minuten machbar sein. Auch für die tagesaktuelle Eingabe der Daten veranschlagt PD Dr. Mario Menk (ARDS-ECMO Centrum an der Charité) "keine 5 Minuten".

Unter der Überschrift "Die Anzahl schwerer Krankheitsverläufe wird steigen" bittet RKI-Chef Wieler "dringend alle Krankenhäuser, sich an dieser Aktion zu beteiligen. Sie wird helfen, Leben zu retten." Im Schlussappell der Mitteilung heißt es: "Jetzt setzen alle Beteiligte auf den Schulterschluss sämtlicher Kliniken in Deutschland. Das DIVI Intensivregister wurde in nur 14 TAGEN programmiert. Es darf, muss und soll binnen 14 STUNDEN von 85 Kliniken auf 1.000 komplettiert werden."

Abkürzungen:
ARDS = Acute Respiratory Distress Syndrom
CDC = Centers for Disease Control and Prevention
ECMO = extrakorporale Membranoxygenierung
RKI = Robert Koch-Institut
WHO = Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization)