Bisher ging der Trend in pneumologischen Praxen zum Altpatienten. Wird sich das mit dem TSVG nun ändern?
Nehmen Sie jetzt wieder mehr Neupatienten an? Seit dem 1. September gibt es dafür ja eine extrabudgetäre Vergütung in voller Höhe zu den Preisen der Euro-Gebührenordnung (alle Leistungen im Arztgruppenfall). Das gilt, wenn der Patient zum allerersten Mal seinen Fuß in die Praxis setzt oder im aktuellen Quartal und den acht vorhergehenden Quartalen keine Abrechnung erfolgte.
Das vor einem halben Jahr in Kraft getretene Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) macht’s möglich. Die neue Regelung gilt nicht bei Neugründung oder Übernahme einer Praxis innerhalb der ersten zwei Jahre bzw. acht vollen Quartale. Und auch nicht, wenn der Patient bisher im Rahmen eines Selektivvertrags behandelt wurde. Damit die Leistungen extrabudgetär vergütet werden können, ist die Abrechnung im PVS als „Neupatient" zu kennzeichnen. Nähere Angaben gibt’s von der KV, Sie wissen ja vermutlich längst Bescheid.
Außer Neupatienten sieht das TSVG noch drei weitere Fallkonstellationen für eine extrabudgetäre Vergütung vor:
Ein echtes Honorarplus gibt es vorerst nicht: Im ersten Jahr erfolgt eine Bereinigung zu Lasten der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV). Erst ab dem zweiten Jahr werden diese Fallkonstellationen von den Krankenkassen als Einzelleistungen zusätzlich zur MGV mit dem tatsächlichen Preis vergütet.
Zur Fülle von Regelungen und Maßnahmen, mit denen uns der der ambitionierte Gesundheitsminister bzw. der Gesetzgeber beschenkt, zählt auch die Pflicht, der Terminservicestelle freie Termine zu melden. Die Mindestzahl schwankt je nach Facharztgruppe und KV-Bezirk. In Berlin sind es für Pneumologen 4 Termine pro Quartal (bei 200 Terminanfragen an die TSS). Ihre KV hat Ihnen diesbezüglich geschrieben …
Ob und für wen sich jetzt die Welt – oder zumindest unser Gesundheitswesen – tatsächlich verbessert, wird sich zeigen. Im Gegensatz zum realen Honorar steigt der reale bürokratische Aufwand mit dem TSVG jedenfalls sofort. Das wollen wir jetzt nicht weiter vertiefen, sondern zitieren aus einem Editorial des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der KV Berlin, Dr. Burkhard Ruppert zum TSVG (KV-Blatt 04/2019):
"Die Geschwindigkeit, mit der neue Gesetze verabschiedet werden, erinnert an eine fiebrige, schnell verlaufende Erkrankung mit der Bezeichnung 'Lexitis' (entzündliche Gesetzeserkrankung), und der Symptomen-Trias: salvenartige Gesetzesattacken, Regulierungswahn und Wahrnehmungsstörungen. Prognose völlig offen. Es bleibt abzuwarten, ob Ergebnisse von Wahlen nicht doch früher oder später therapeutisch zu einem Umdenken führen werden."
Man soll ja nicht alles schlecht reden. Vielleicht entpuppen sich die extrabudgetären Regelungen des TSVG tatsächlich noch als wichtiger Etappenschritt auf dem Weg zur Aufhebung der Budgetierung, wie irgendwo zu lesen war. Ein guter und richtiger Kern steckt definitiv im Ansatz, den Mehraufwand, den neue Patienten in der ärztlichen Praxis verursachen, besser zu honorieren.
Dazu gibt es ein gutes Stück Versorgungsforschung im Weißbuch Ambulante Pneumologie 2017 und in einem Pneumologie-Artikel1 aus dem letzten Jahr nachzulesen. Die Arbeit stammt von WINPNEU, dem wissenschaftlichen Institut der deutschen Pneumologen (siehe auch Die pneumologische Versorgungsrealität – wen interessiert‘s?).
In 11 Praxen wurde im 2. und 3. Quartal 2016 eine Erhebung mithilfe detaillierter Fragebögen durchgeführt, um den Aufwand für die Betreuung von COPD-Patienten unter Alltagsbedingungen zu erfassen. Dabei sind einige interessante Ergebnisse herausgekommen. Die Kernaussagen lauten:
Die Autoren schrieben: "Da der Mehraufwand nicht in der Gebührenordnung abgebildet ist, verstärkt das die Tendenz zu Kontrolluntersuchungen und zur Risikoselektion. Anreize für die Behandlung von Neupatienten könnten dagegen eine wirksame Maßnahme zur Entspannung der Terminnot bei Fachärzten darstellen. Dies sollte durch eine entsprechende Umgestaltung der Gebührenordnung erreicht werden."
Völlig richtig. Dafür gibt es längst ausgearbeitete Konzepte wie das vor über einem Jahrzehnt entwickelte QUELL-Konzept (Qualitätsgesicherte Liquidationsordnung für Lungenärzte). Der Pneumologenverband hatte sich 2011 in einer Pressemitteilung gefreut: "Bundestag beschließt mit ALT-NEU-Regelung einen Modellvorschlag des BdP". Die Fehlanreize in der Gebührenordnung gibt es immer noch. Ob die TSVG-Anreize das wohl wettmachen werden …?
Referenzen:
1. Hellmann A et al. Aufwand bei der Betreuung von COPD-Patienten unter Alltags-bedingungen in pneumologischen Praxen differenziert nachbekannten und neuen Patienten und nach Schweregraden der Erkrankung. Pneumologie 2018;72:437-45
Abkürzungen:
BdP = Bundesverband der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner
DGP = Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
GOP = Gebührenposition
KV = Kassenärztliche Vereinigung
PVS = Praxisverwaltungssoftware
SP = Schwerpunkt