Gicht, Sport und Mikrobiom – darum drehen sich drei diabetologisch interessante News.
Senken SLGT-2-Hemmer das erhöhte Gichtrisiko bei Patienten mit Typ-2-Diabetes? Eine populationsbasierte Kohortenstudie1 mit US-amerikanischen Versichertendaten deutet darauf hin, wie aktuell im esanum-Journal Club zu lesen ist. Die in den Annals of Internal Medicine publizierte Arbeit kommt vom Brigham and Women’s Hospital, dem zweitgrößten Lehrkrankenhaus der Harvard Medical School, das auch als Hauptsponsor der Studie fungierte.
Die Wissenschaftler verglichen die Gicht-Inzidenzraten bei knapp 300.000 Patienten, die erstmals entweder einen SGLT2-Hemmer oder einen GLP-1-Agonisten bekommen hatten. Primärer Endpunkt war die Erstdiagnose einer Gicht. Der Unterschied war signifikant: 4,9 vs. 7,8 Ereignisse pro 1.000 Personenjahre (HR 0,64). Bewiesen ist damit zwar noch nichts, da es sich erstens um eine Beobachtungsstudie handelt und zweitens keine Angaben zu Laborwerten wie den Harnsäurespiegeln vorlagen. Die antihyperurikämische Wirkung der Gliflozine ist aber bekannt und der Grund für die Untersuchung, so dass eine Erweiterung des therapeutischen Spektrums um diese weitere Facette nicht abwegig erscheint.
Und dieses Spektrum ist schon bemerkenswert. Die Hemmer des renalen, natriumabhängigen Glukosetransporters (im frühproximalen Tubulus, spätproximal findet sich der Subtyp SGLT1, der nur von Sotagliflozin ebenfalls gehemmt wird) senken neben dem Blutzucker auch Blutdruck und Gewicht und wirken kardio- und nephroprotektiv. Ein Vorteil ist auch noch die geringe Hypoglykämie-Gefahr (die sich ggf. in Kombination mit anderen Antidiabetika erhöht) und die insgesamt gute Verträglichkeit. Hauptnebenwirkung und für die Patienten teilweise wirklich ein Problem sind genitale Infektionen. Wegen einzelner Fälle von Fournier Gangränen gab es vor einem Jahr einen Rote-Hand-Brief (PDF-Download). Vor Ketoazidosen und einer erhöhten Amputationsgefahr wurde gewarnt, das Risiko scheint aber wohl insgesamt überschaubar zu sein.
Die SGLT2-Inhibitoren haben sich in den letzten Jahren als neue Option für Patienten mit Typ-2-Diabetes im Praxisalltag bewährt. Im vergangenen Jahr wurden Dapagliflozin und Sotagliflozin zudem als erste orale Add-on-Therapeutika zur Behandlung von übergewichtigen Patienten mit Typ-1-Diabetes und unzureichend kontrolliertem Blutzuckerspiegel trotz optimaler Insulintherapie zugelassen. Mal schauen, wie sich das entwickelt.
Trotz all der schönen Effekte der SGLT2-Hemmer sollte – neben der Ernährung – natürlich unbedingt auch das Bewegungsverhalten, dessen Änderung und dessen therapeutisches Potenzial im Fokus der ärztlichen Beratung stehen. Wie gut der Sport – zumindest präventiv – gegen Diabetes wirkt, hängt offenbar auch von der Darmflora ab. Diese Nachricht in den esanum News kommt vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut in Jena. Dessen Leiter für Systembiologie und Bioinformatik, Prof. Gianni Panagiotou, hat zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Hongkong das intestinale Mikrobiom von 39 Männern mit Prädiabetes untersucht, die unterschiedlich gut auf eine Bewegungstherapie ansprachen.2
Es fand sich ein klarer Zusammenhang zwischen Bewegung, Blutzuckerwerten und Zusammensetzung sowie Funktionalität des Darmmikrobioms. Vorteilhaft sind unter dem sportpräventiven Aspekt demnach erhöhte mikrobielle Kapazitäten für die Synthese kurzkettiger Fettsäuren und den Katabolismus verzweigtkettiger Aminosäuren. Bei den Bewegungs-Non-Respondern fand dagegen eine vermehrte Produktion metabolisch schädlicher Verbindungen statt. In einem Kontrollexperiment, in dem die patientenindividuellen Keimpopulationen auf fettleibige Mäuse übertragen wurden, ließen sich die Zusammenhänge bestätigen. Panagiotou hofft, aus dieser Erkenntnis zukünftig personalisierte Therapieansätze entwickeln zu können.
Die könnten dann möglicherweis in einer Stuhltransplantation als Diabetes-Therapie münden, wovon in diesem Blog schon mal die Rede war. Eine gegensätzliche Perspektive in Sachen Mikrobentransfer von potenziell dramatischer Relevanz steckt in einer aktuellen Mitteilung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Der dort tätige Zell- und Entwicklungsbiologe Prof. Thomas Bosch gehört als Fellow des Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR) zum Team des Humans & the Microbiome-Programms, das gerade in Science ein Paper3 mit folgendem Titel publiziert hat: "Sind nichtübertragbare Krankheiten übertragbar?"
Die durch "überzeugende Hinweise" gestützte Hypothese der Wissenschaftler lautet: Möglicherweise werden einige der bisher als nichtübertragbar eingestuften Krankheiten (die in ihrer Gesamtheit mehr als 70% aller Todesfälle weltweit ausmachen) doch übertragen – über eine zentrale Beteiligung der Mikrobiota. Immer mehr wissenschaftliche Daten zeigen demnach, dass die Mikrobiome von Menschen mit verschiedenen nichtübertragbaren Krankheiten dysbiotisch verändert sind. Im Tiermodell ist eine Krankheitsübertragung durch den Transfer dysbiotischer Mikrobiota möglich und die Mikrobiom-Zusammensetzung wird durch engen sozialen Kontakt beeinflusst.
Das klingt erstmal spannend und aufregend, aber natürlich auch fragwürdig: "Wie genau sollen die Bakterien nun die Inzidenz für kardiovaskuläre Ereignisse, Malignome und pneumologische Krankheitsbilder erhöhen?", heißt es in einem Kommentar unter der esanum News.
Eine berechtigte Frage, die die Wissenschaftler auch umtreibt. "Die neue Hypothese macht klar, dass wir Störungen der mikrobiellen Besiedlung des Körpers viel stärker als bisher als Krankheitsursache in Betracht ziehen und auch die potenziellen Übertragungswege näher erforschen müssen", betont der Kieler Wissenschaftler Bosch. "Wir wissen immer noch nicht, in welchen Fällen diese Form der Übertragung zunimmt oder ob auch ein gesunder Zustand übertragen werden kann", sagt Prof. Maria Gloria Dominguez-Bello von der Rutgers University in New Jersey. Forschungsleiter und Erstautor Prof. Brett Finlay, Mikrobiologe an der Universität von British Columbia, ist sich jedenfalls sicher: "Wenn sich unsere Hypothese als richtig herausstellt, wird sie unsere Auffassung der öffentlichen Gesundheit völlig neu definieren."
Referenzen:
1. Fralick M et al. Assessing the Risk for Gout With Sodium-Glucose Cotransporter-2 Inhibitors in Patients With Type 2 Diabetes: A Population-Based Cohort Study. Ann Intern Med 2020. doi:10.7326/M19-2610
2. Liu Y et al. Gut microbiome fermentation determines the efficacy of exercise for diabetes prevention. Cell Metabolism 2019;31(1):77-91.e5
3. Finlay BB et al. Are noncommunicable diseases communicable? Science 2020;367(6475):250-1
Abkürzungen:
GLP-1 = Glucagon-like Peptide 1
HR = Hazard Ratio
SGLT = Natrium-abhängiger Glucose-Cotransporter (sodium dependent glucose transporter)