Und wieder geht es um den Wert des Blutzuckerwerts, diesmal als Prognosefaktor für das kardiovaskuläre und das diabetische Risiko bei KHK-Patienten. Das dürfte eigentlich für Hausarzt, Diabetologe und Kardiologe gleichermaßen interessant sein.
Spannend ist es auch. Denn als umstritten darf die Antwort auf die Frage gelten, welcher Blutzuckerwert bzw. welche Methode der Blutzuckermessung am geeignetsten ist, um einen entgleisten Zuckerstoffwechsel bei KHK-Patienten aufzudecken. Ein gerade in Diabetes Care publiziertes Studienergebnis1 dürfte diese Diskussion befeuern.
Die Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) sieht die Bestimmung der Nüchternglukose und/oder des HbA1c-Werts als vorrangig an. Nur bei Auffälligkeiten dieser beiden Parameter wird der orale Glukosetolerenztest (oGTT) empfohlen.
Ein direkter Vergleich der drei Messverfahren in der Studie EUROASPIRE IV hat nun ergeben: Gerade der 120-Minuten-Wert im oGTT ist der wichtigste Parameter. Mit ihm lässt sich nicht nur das Risiko einer zukünftigen Diabetes-Erkrankung abschätzen, sondern auch dasjenige für kardiovaskuläre Ereignisse – im Gegensatz zu Nüchternblutzucker und HbA1c.
Dafür wurden Daten von 3.775 KHK-Patienten ausgewertet. In einer vorausgehenden Untersuchung2 konnte mithilfe der Anwendung aller drei BZ-Messmethoden bei 29% der Patienten ein unentdeckter Diabetes identifiziert werden. Dabei erwies sich der oGTT als das sensibelste Screening-Instrument.
Danach wurden die Patienten über zwei Jahre nachverfolgt. Der primäre Endpunkt bestand in einem kardialen Ereignis, das folgendermaßen definiert war:
Ein sekundärer Endpunkt war die Diabetes-Inzidenz.
246 und damit 6,5% der Patienten erlitten innerhalb der zwei Follow-up-Jahre ein kardiovaskuläres Ereignis. Mit dem Auftreten dieses primären Endpunkts korrelierte allerdings weder der Nüchtern-BZ noch der HbA1c, die 120-Minuten-Plasmaglukose im Belastungstest dagegen schon. Werte jenseits des etablierten Normalbereichs erwiesen sich als signifikanter Prädiktor.
Bei Patienten mit einem 120-Minuten-Wert ≥ 7,8 mmol/l war das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis insgesamt um 38% erhöht. Mit jeder Zunahme des Werts um 1 mmol/l stieg es um weitere 6%. Eine Abhängigkeit von bekannten Risikofaktoren wie Alter, Rauchen, BMI, Blutdruck oder LDL-Cholesterin konnte ausgeschlossen werden.
Das um 38% erhöhte Risiko für den kardiovaskulären Endpunkt lässt sich differenzieren in 36% bei einer aufgedeckten gestörten Glukoseintoleranz (IGT) und 44% bei einem Diabetes-Nachweis. Das Kriterium der statistischen Signifikanz wurde bei der letzteren Korrelation knapp verfehlt. Die Studienautoren nehmen das als Hinweis, dass es wichtiger ist, eine Störung des Glukosestoffwechsels zu identifizieren, als zwischen IGT und Diabetes zu unterscheiden.
Das wiederum kann als Argument für den Einsatz des oGTT als vorrangiges Screening-Instrument für KHK-Patienten dienen, auch wenn er mit einem höheren Zeitaufwand verbunden ist. Für die Autoren ist es evident, dass nur der 2-Stunden-Glukosewert prognostische Informationen über das zukünftige kardiovaskuläre Risiko liefert. Deshalb halten sie einen Verzicht auf den „simplen“ oGTT bei KHK-Patienten in Zeiten evidenzbasierter Medizin für "unangemessen".
Die Diabetes-Inzidenz im Follow-up-Zeitraum betrug 3%. Ein erhöhter Nüchtern-BZ (6,1-6,9 mmol/l) war auch hier nicht prädiktiv. Dafür erwiesen sich sowohl der HbA1c (5,7–6,5%) als auch der oGTT (2-Stunden-Plasmaglukose 7,8-11,0 mmol/l) als geeignete und voneinander unabhängige Prognosefaktoren.
Übrigens: In der genannten Studie, also der multizentrischen Querschnittsstudie EUROASPIRE IV (European Survey of Cardiovascular Disease Prevention and Diabetes)3 wurde untersucht, welchen Stellenwert die Prävention bei der Behandlung von Patienten mit koronarer Herzerkrankung hat. Wie werden die Empfehlungen der ESC (Joint-ESC-Guidelines) zur kardiovaskulären Sekundärprävention in der täglichen Praxis umgesetzt? Wie sehen Lebensstil, Risikofaktoren und therapeutisches Management der KHK-Patienten quer durch Europa aus?
Zur Beantwortung dieser Fragen wurden Daten aus 78 Zentren in 24 europäischen Ländern gesammelt. Deutschland war mit der Modellregion Würzburg vertreten: 500 Patienten aus dem Raum Würzburg und Kitzingen wurden zur Teilnahme eingeladen. Geleitet wurde das deutsche Studienzentrum vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz und vom Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie der Universität Würzburg.
Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.
Referenz: (1) Shahim B et al. The Prognostic Value of Fasting Plasma Glucose, Two-Hour Postload Glucose, and HbA1c in Patients With Coronary Artery Disease: A Report From EUROASPIRE IV. Diabetes Care 2017.pii: dc170245. doi: 10.2337/dc17-0245.
(2)Gyberg V et al. Screening for dysglycaemia in patients with coronary artery disease as reflected by fasting glucose, oral glucose tolerance test, and HbA1c: a report from EUROASPIRE IV – a survey from the European Society of Cardiology. Eur Heart J 2015;36(19):1171-7.
(3)Kotseva K et al. EUROASPIRE IV: A European Society of Cardiology survey on the lifestyle, risk factor and therapeutic management of coronary patients from 24 European countries. Eur J Prev Cardiol 2016;23(6):636-48.