Haben Sie schon mal über das Glück nachgedacht? So über das Glück im Allgemeinen, Ihr eigenes im Besonderen und vielleicht auch über das Glück Ihrer Patienten?
Eigentlich bietet ja jeder Tag, den man erleben darf, ausreichend Anlass dafür. Der 20. März aber ist der Weltglückstag, wie wir heute Morgen aus dem Radio erfahren haben. Das tagesaktuelle Google Doodle – sonst eine nahezu unübersehbare Hinweisquelle für Gedenktage der spezielleren Art – widmet sich dagegen dem Frühlingsanfang. Auch schön – und eine mögliche Quelle zarten Glücksempfindens.
Weltglückstag – wer braucht den denn? Und wer kommt auf die Idee, ihn auszurufen? In einer Art allergischer Abwehrreaktion gegen aufoktroyiertes Feiern und Gedenken wollten wir jeden weiteren Gedanken daran sofort ad acta legen. Aus Neugier haben wir dann der zweiten Frage doch eine Chance gegeben und es nachgegoogelt. Zum Glück – die dabei gewonnenen Informationen und Anregungen waren es wert.
Den Weltglückstag gibt es seit sechs Jahren. Er wurde von der UN-Hauptversammlung am 28. Juni 2012 beschlossen, die damit "weltweite Politikziele" verbindet, wie es auf Wikipedia heißt. Der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sagte: "Wir brauchen ein neues Paradigma für die Wirtschaft, welches die Gleichwertigkeit der drei Nachhaltigkeitssäulen beachtet. Wohlergehen in puncto Sozialem, Wirtschaft und Umwelt sind nicht voneinander zu trennen. Zusammen definieren sie das globale Brutto-Glück."
Die Initiative ging vom Königreich Bhutan aus, wo bereits im 18. Jahrhundert das Glück der Bevölkerung als Ziel von Entwicklung und Politik definiert wurde. In dem an Tibet grenzenden Land wurde vor einem Jahrzehnt die erste Befragung für das dort konzipierte Bruttonationalglück durchgeführt, das einen ganzheitlicheren Bezugsrahmen als unser Bruttonationalprodukt darstellt. Ob es sich dabei für die bhutanische Bevölkerung um eine beglückende Angelegenheit handelt, können wir von hier aus nicht beurteilen.
Lesenswert ist der Weltglückstags-Beitrag auf handelsblatt.com (Warum Glück keine Glückssache ist). Dort erfahren wir etwa, dass Deutschland im diesjährigen World Happiness Report der Vereinten Nationen "auf einem soliden 17. Platz" gelandet ist – unter 156 Ländern. Auf Platz 1 hat es, wie im Vorjahr, Finnland geschafft. Vor Dänemark, Norwegen, Island, Holland, Schweiz, Schweden, Neuseeland, Kanada und Österreich. Die USA liegen zwei Plätze hinter uns (19.). Beim UN-Lebensqualitäts-Index (2018) sieht es übrigens besser aus: Norwegen ist vorne und wir sind Fünfter.
Interessanter als solche Top-Down-Rankings sind allerdings andere Botschaften des Handelsblatt-Artikels: "Glückliche Menschen sind gesünder, kreativer und leistungsstärker. Und Glück lässt sich erlernen." Das hat therapeutische Relevanz. Wir können unseren Patienten (und natürlich auch uns selbst) dabei helfen, sich ihre Glücksressourcen aktiv und bewusst zu erarbeiten und sie gesundheitsfördernd zu nutzen. Zumindest können wir ihnen (und uns) entsprechende Hilfsangebote vermitteln.
Laut dem besagten Artikel schätzt die US-amerikanische Psychologin und Glücksforscherin Prof. Sonja Lyubomirsky von der University of California in Riverside, dass das Glückserleben zu 50% genetisch und nur zu 10% durch äußere Umstände beeinflusst wird. Das würde bedeuten, dass zu 40% tatsächlich jeder seines Glückes Schmied ist. Mindestens, denn an der genetischen Ausprägung lässt sich in diesem Fall vermutlich auch noch arbeiten.
Auch wenn andere Forscher den Einfluss der äußeren Umstände für bedeutender halten, lautet die spannende Erkenntnis: Glück kann man lernen. Am Institut für Pädagogische Psychologie wurde im Rahmen einer Promotion ein "Training zur nachhaltigen Erhöhung des Glücksempfindens entwickelt und in verschiedenen Varianten getestet." Das "Braunschweiger Glückstraining" wurde zunächst an Lehrkräften evaluiert, die wissenschaftliche Veröffentlichung befindet sich in Vorbereitung.
Kernelement des Trainings ist die "Drei gute Dinge"-Übung, die im Rahmen positiv-psychologischer Forschung entwickelt wurde. Bei dieser in Studien erfolgreich getesteten Interventions-Übung geht es um den Genuss der kleinen alltäglichen Dinge anstelle des Sehnens nach Großereignissen wie etwa einem Lottogewinn. Auf der Website der TU Braunschweig kann ein Übungsheft kostenlos downgeloadet werden (PDF-Link).
Und dann gibt es noch die Harvard Study of Adult Development zur Erforschung der Prädiktoren für gesundes Altern. Mit einem Beobachtungszeitraum von 80 Jahren handelt es sich möglicherweise um die längste Longitudinalstudie überhaupt. Die laufend befragte und medizinisch untersuchte männliche Studienpopulation setzt sich zusammen aus den vom Schicksal begünstigten Teilnehmern der Grant Study – 268 Harvard-Absolventen der Jahre 1939–1944 (darunter einige Prominente inklusive John F. Kennedy) – und den benachteiligten Probanden der Glueck Study (nach Sheldon und Eleanor Glueck benannt) – 456 Nichtdelinquenten aus der Bostoner Unterschicht. Auch die Ehefrauen der Teilnehmer wurden befragt.
Der Psychiater Prof. Robert Waldinger (hier im TED-Talk, 2015) bringt als heutiger Studienleiter die Kernerkenntnis nach Analyse der komplexen Datenmassen so auf den Punkt: "Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder." Und verlängern das Leben.
Dabei geht es um die Qualität der engen Beziehungen, nicht um ihre Anzahl. Auch umgeben von einer Menschenmenge und sogar in einer Ehe kann man einsam sein. Ein konfliktbehaftetes Zusammenleben wirkt sich sehr schädlich auf die Gesundheit aus und auf Dauer wohl schädlicher als eine Scheidung. Umgekehrt haben liebevolle Beziehungen einen protektiven Effekt auf den gesamten Organismus. "Die Menschen, die im Alter von 50 Jahren mit ihren Beziehungen besonders zufrieden waren, sind mit 80 am gesündesten", so Waldinger. Der prädiktive Wert des Cholesterin-Spiegels erwies sich demgegenüber als untergeordnet.
Die Anregung zum Nach-hause- bzw. In-die Praxis-tragen lautet also: Wir sollten uns nach den Glücksgefühlen unserer Patienten erkundigen und ihnen dabei helfen, möglichst viele zu entwickeln. Das dürfte auch dabei helfen, durch Sorgen und Stress in die Höhe getriebene HbA1c-Werte wieder nach unten zu korrigieren.