Catch me if you can? Juul kaufte sich offenbar eine ganze Ausgabe eines medizinischen Fachtitels

Der Hersteller von E-Zigaretten, Juul, kaufte für 51 Tsd. Dollar eine Zeitschrift auf und brachte darin knapp ein Dutzend selbst gesponserter Studien unter.

Der Hersteller von E-Zigaretten, Juul, kaufte für 51 Tsd. Dollar eine Zeitschrift auf und brachte darin knapp ein Dutzend selbst gesponserter Studien unter. 

Es klingt merkwürdig, dass eine solche Frage überhaupt beraten werden muss, doch die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) soll tatsächlich bis zum 9. September entscheiden, ob die Produkte des Herstellers Juul einen "ausreichenden gesundheitlichen Nutzen im Sinne einer sichereren Alternative zu Zigaretten" bieten.1
Vaping-Unternehmen sind von der FDA verpflichtet, eine sog. Premarket Tobacco Product Application (PMTA) inklusive wissenschaftlicher Evidenz zur Unbedenklichkeit einzureichen, um auf dem Markt zu bleiben. Juul Labs Inc. hatte diesen Antrag im Juli 2020 vorgelegt.2 Nachdem ein Antrag eingereicht ist, dürfen Unternehmen ihre Produkte ein Jahr lang ab dem Stichtag ohne offizielle Genehmigung oder bis zu einer negativen Entscheidung der FDA weiter verkaufen.

Hersteller gerät unter öffentlichen Druck

Nicht zuletzt wegen der Schlüsselrolle, die dem Hersteller für den explosionsartigen Anstieg des Vapings bei Teenagern zugeschrieben wird, trifft ihn verschärfte Kritik. Zahlreiche Fachgesellschaften, darunter die American Heart Association, die American Academy of Pediatrics und das American Cancer Society's Cancer Action Network, sprechen sich für eine Ablehnung des PMTA-Antrages und einen Marktstopp aus.

Das Unternehmen sieht sich bereits jetzt mit Umsatzeinbrüchen im dreistelligen Millionenbereich (etwa 500 Mio.) und Tausenden von Klagen konfrontiert, in denen ihnen eine bewusste Vermarktung seiner trendigen Vaping-Produkte an die Zielgruppe Minderjährige vorgeworfen wird. Drei Viertel der Mitarbeiter wurden bereits entlassen, Niederlassungen in 14 Ländern aufgegeben, viele staatliche und lokale Lobbying-Kampagnen eingestellt. Bald wird nun die FDA entscheiden, ob Juul überhaupt weiter verkaufen darf. 

Juul versuche inzwischen, den Ball flach zu halten, schreibt die New York Times. Kürzlich stimmte das Unternehmen zu, 40 Mio. Dollar zu zahlen, um nur eine von tausenden Klagen (gegen North Carolina) beizulegen und so einen drohenden Gerichtsprozess zu vermeiden. Die Firma hatte sich dringend um den Vergleich bemüht, um öffentliche Zeugenaussagen von Eltern und Teenagern vor Gericht zu vermeiden, während die Entscheidung der FDA noch aussteht. Wenn die FDA es in diesem Fall hinhängen lässt, werden Klagen aus dem öffentlichen Gesundheitswesen folgen, ist sich die Times sicher.3

Ein Schachzug, der alles noch schlimmer machte

Möglicherweise deswegen finanzierte das Unternehmen eine Handvoll Studien und bezahlte eine Zeitschrift für deren Veröffentlichung. 

51.000 Dollar flossen von Juul an das American Journal of Health Behavior (AJHB), welches 11 solcher Studien in einer kürzlich erschienenen Sonderausgabe publizierte, die sich ausschließlich auf diese Studien beschränkte. Der gezahlte Obulus für die Ausgabe enthielt 6.500 Dollar, um sicherzustellen, dass sie für alle frei zugänglich (open access) sein würde. Dies berichtete die New York Times.1,3

Mitarbeiter von Juul arbeiteten an jedem der Artikel mit. Das Journal verlange zwar auch sonst regelmäßig Veröffentlichungsgebühren von den Autoren und die Interessenkonflikte seien angegeben worden, doch ungewöhnlich ist, dass ein Unternehmen – oder jedwede Organisation – ein ganzes Heft mit Artikeln kauft und die Veröffentlichung in einem solchen Umfang gewährt wird. 

Auch intern herrschte Bewegung: drei Mitglieder der Redaktionsleitung des AJHB sind im Rahmen des Arrangements der Sonderausgabe zurückgetreten, wie die Times weiter berichtete.
Auch der damalige Chefredakteur des AJHB, Elbert Glover, PhD, hat seinen Posten inzwischen verlassen und befindet sich nun im Ruhestand. Glover galt als international anerkannter Experte in den Bereichen Raucherentwöhnung und rauchfreier Tabak, war Gründer des Center for Health Behavior Research an der University of Maryland School of Public Health und ist für weitere Zeitschriften in dem Feld tätig (Redakteur bei Health Behavior and Policy Review und leitender Herausgeber von Tobacco Regulatory Science).1

Geld regiert die Welt?

Das AJHB schreibt auf seiner eigenen Webseite: "Die Zeitschrift erhebt Gebühren für die Veröffentlichung von Studien, weil Zeitschriften, die kleinen Organisationen, Gruppen oder Einzelpersonen gehören, keine andere Wahl haben, ohne sich in finanzielle Gefahr zu begeben."1

Durch die Open Access-Veröffentlichung können auch zahlreiche Laien, denen bestimmtes Hintergrundwissen fehlt, Zugang zu diesen Artikeln erhalten und diesen vielleicht einen wissenschaftlichen Wert beimessen, der möglicherweise so nicht gegeben ist. Auf verschiedenen Shop-Webseiten für E-Zigaretten wird zur Unterstreichung der Produktvorteile teils auf solche "Studien" verwiesen. 

Wenn die Studien methodisch gut und die Ergebnisse aussagekräftig wären, fragt sich, warum dann nicht ein regulärer Weg zur Veröffentlichung in einem oder mehreren renommierten Fachjournals angestrebt wurde. 

In einem im British Medical Journal (BMJ) veröffentlichten Letter to the editor wird betont, dass die Studien wissenschaftlich korrekt durchgeführt worden seien. Geschrieben wurde dieser Brief allerdings von Juuls Direktor für Behavioral Affairs und einem für das Unternehmen tätigen externen wissenschaftlichen Berater.

Auch von dem Argument, dass die Studien einem Peer-Review unterzogen wurden, lassen sich nach der ganzen Vorgeschichte nicht mehr viele erwärmen. Ein Leserkommentar auf Medpage fragt, ob grünes Licht im Peer-Review-Prozess ab jetzt gleichzusetzen sei mit "Zahlungseingang".1

Anzeichen für ein marodes System

Die zunehmende Verbreitung von Zeitschriften, deren offensichtlicher Fokus auf Gewinngenerierung und nicht auf Wissenschaft liegt, stellt ein großes Problem dar. Zweifel an der Unabhängigkeit vieler Medien und Organe haben bereits einen erheblichen Vertrauensverlust nach sich gezogen. Dies äußern aktuell auch viele Ärzte, so auch in den Kommentaren zu dem Bericht. Einer fragt, wohin Mediziner sich denn überhaupt noch wenden können, um sich für die Praxis auf den neusten Stand zu bringen, wenn nicht einmal mehr die peer-reviewten Journals verlässliche Informationen liefern.1

Neu ist diese Entwicklung allerdings nicht. In dem Beitrag "Wissenschaft for hire" hatten wir unter anderem ein ganz wichtiges Buch vorgestellt, welches von David Michaels, einem Epidemiologen und Professor für Umwelt- und Arbeitsmedizin geschrieben wurde, der sowohl unter der Obama- als auch der Clinton-Administration für die Regierung tätig war (Titel: "The Triumph of Doubt: Dark Money and the Science of Deception"). Neben zahlreichen Einblicken, die fast nur von einem Regierungsinsider kommen können, sind durchaus auch bekanntere Beispiele aus der Vergangenheit dabei, angefangen mit der Tabakindustrie in den 1950ern oder der Zuckerindustrie in den 1960ern, die Studien bezahlten (oder in der Schublade verschwinden ließen, wenn Ergebnisse dabei waren, die besser nicht publik werden sollten). Selbst renommierte Namen, wie das 'New England Journal of Medicine' oder Wissenschaftler der Harvard University waren beteiligt. Das Buch zeigt deutlich auf, wie kurz die Wege der Einflussnahme sind und wie einfach es ist, schädliche Produkte als sicher zu vermarkten oder Opponenten in Misskredit zu bringen.

Das Märchen von der E-Zigarette als "gesunder" Alternative bröckelt

Nikotin hat ein erhebliches Abhängigkeitspotenzial und dies gilt auch für E-Zigaretten. Der Hersteller bewirbt sich um eine Vermarktungsautorisierung für ein Produkt, das abhängig macht, hält sich aber daran fest, dass sein Produkt einen besonderen Nutzen für diejenigen habe, die das konventionelle Zigarettenrauchen beenden möchten. Viele Studien haben jedoch gezeigt, dass E-Zigaretten für den Rauchausstieg ungeeignet sind, da oft weder das Medium (Nikotin), noch die Rituale und Abläufe des Rauchens damit verlassen werden (detaillierte Beiträge dazu finden Sie unten). Zudem liegen Hinweise dafür vor, dass beim Vaping – abhängig von verwendeten Komponenten und Temperatur – sogar mehr schädliche Substanzen frei werden können. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DPG) warnt vor den hohen gesundheitlichen Risiken durch E-Zigaretten. Unter anderem können toxische Stoffe, wie Blei und Chrom, über die Lunge ins Blut gelangen. Aber auch die Vielzahl beigemischter Substanzen stellt ein Problem dar.4

Anlässlich des diesjährigen Weltnichtrauchertages im Lancet erschienene Untersuchungen senden zudem eine klare Botschaft zur vulnerablen Gruppe der Teenager: dass junge Erwachsene rauchfrei bleiben, sei entscheidend für die Beendigung der Tabakpandemie.5 Die Auswertungen hatten ergeben, dass die meisten späteren Raucher (89,1%) vor Erreichen des 25. Lebensjahres süchtig werden und dass über die Hälfte der Länder keinerlei Fortschritte hinsichtlich der Eindämmung des Rauchens bei den 15- bis 24-Jährigen erzielen. Dass das Vapen für viele junge Nie-Raucher zum Einstieg in das richtige Rauchen wird, ist daher einer der Hauptanklagepunkte in der aktuellen Diskussion um Juul.

Referenzen:
1. Juul Bought Out Medical Journal for $51K. https://www.medpagetoday.com/special-reports/exclusives/93555 (2021).
2. Juul submits application to FDA to keep selling e-cigarettes. Reuters https://www.reuters.com/article/us-usa-vaping-juul-idUSKCN24V380 (2020).
3. Kaplan, S. Juul Is Fighting to Keep Its E-Cigarettes on the U.S. Market. The New York Times https://www.nytimes.com/2021/07/05/health/juul-vaping-fda.html (2021).
4. 1,1 Milliarden Menschen rauchen weltweit – so viele wie nie zuvor. Berliner Zeitung https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/11-milliarden-menschen-rauchen-weltweit-so-viele-wie-nie-zuvor-li.162156.
5. Reitsma, M. B. et al. Spatial, temporal, and demographic patterns in prevalence of smoking tobacco use and initiation among young people in 204 countries and territories, 1990–2019. The Lancet Public Health DOI:https://doi.org/10.1016/S2468-2667(21)00102-X, (2021).