HIV-Infektionen heilen: Neueste Strategien

Leitliniengerechte HIV-Therapien verringern die Viruslast, führen aber nicht zur Eradikation. Doch die Idee, HIV zu heilen, ist nicht vom Tisch. Ein Überblick zu wichtigen Ansätzen aus der Grundlagenforschung.

Naht die Eradikationstherapie? 

Leitliniengerechte HIV-Therapien verringern die Viruslast, führen aber nicht zur Eradikation. Doch die Idee, HIV zu heilen, ist nicht vom Tisch. Ein Überblick zu wichtigen Ansätzen aus der Grundlagenforschung. 

Heute stehen Ärzt:innen effektive antiretrovirale Therapien zur Verfügung, um Patient:innen mit HIV-Infektion zu versorgen. Ziel ist, das Immunsystem zu rekonstituieren und den Ausbruch von AIDS zu verhindern. Dadurch verlängert sich die Lebenserwartung HIV-Infizierter beträchtlich. Zu einer Heilung führen solche Wirkstoffe nicht. Doch seit Berichten über den "Londoner Patienten" und den "Berliner Patienten" keimt wieder Hoffnung auf, dass eine Eradikation gelingen könnte. In beiden Fällen benötigten Infizierte nach der Stammzellentransplantation keine Pharmaka mehr. Wo die Forschung momentan steht, diskutierten Wissenschaftler:innen beim IAS 2021. 

Schwierigkeiten der HIV-Eradikation

Zum Hintergrund: "Wir sehen zwar dramatische Fortschritte bei der Therapie und der Prävention", sagt Dr. Michaela Müller-Trutwin vom Institut Pasteur, Paris, Frankreich. "Dennoch ist und bleibt es schwierig, HIV zu heilen." Als Gründe nennt die Referentin vor allem die rasche Mutation von HI-Viren, was zu einer schnellen Resistenz führe. Und die Persistenz des Virus in ganz unterschiedlichen Geweben mache Pharmakotherapien schwierig. Durch den Einbau des HIV-Genoms in Wirtszellen wird die Infektion für Zellen des Immunsystems quasi unsichtbar. Gewebeschäden führen wiederum zu einer Mikroumgebung mit Immunsuppression, was die körpereigene virale Abwehr weiter schwächt. 

Patient:innen möglichst rasch behandeln

Mit frühen antiretroviralen Therapien gelinge es einigen Menschen, HIV selbst zu kontrollieren, so die Referentin. Dadurch verringert sich die Virusmenge in körpereigen Reservoiren. Auch die Gefahr, dass HIV mutiert, sinkt. Inflammatorische Vorgänge fallen schwächer aus, und Gewebe werden weniger stark geschädigt als bei späterem Behandlungsbeginn. Die angeborene und adaptive Immunantwort bleibt in stärkerem Maße erhalten. "Dennoch ist eine minimale Restvirämie nach der frühen antiretroviralen Therapie weiterhin vorhanden", sagt Müller-Trutwin. "Was wir also brauchen, ist eine Shock-and-Kill-Strategie." 

Mit der "Genschere" HIV bekämpfen

Neue molekularbiologische Werkzeuge bieten auch bei der HIV-Eradikation große Chancen. Mit der "Genschere" CRISPR-Cas9 könnte beispielsweise CCR5 inaktiviert werden. Dieses Rezeptorprotein kommt auf Makrophagen, T-Helferzellen, zytotoxischen T-Zellen und NKT-Zellen vor. CCR5 ermöglicht es HI-Viren, anzudocken und Zellen zu infizieren. Dass dieses Konzept generell im Körper funktioniert, haben Forschende bei der ATTR-Amyloidose, einer genetisch verursachten Krankheit, gezeigt. Transthyretin (TTR), ein Protein, reichert sich im Körper an, was zu Beschwerden führt. Durch CRISPR-Cas9 ließ sich ein Gen inaktivieren, und weniger TTR wurde gebildet. 

Müller-Trutwin sieht noch andere Einsatzmöglichkeiten für die "Genschere". Ist HIV als sogenanntes Provirus im Erbgut von Zellen integriert, könnte es per CRISPR-Cas9 entfernt werden. 

HI-Viren blockieren – das Immunsystem aktivieren 

Die "Block-and-Lock"-Strategie sieht wiederum vor, HIV in seiner Latenz zu halten, damit das Virus keine gesunden Zellen infiziert. Mögliche Zielstrukturen sind Lipoproteine, Integrasen, die Serin/Threonin-Kinase mTOR und viele mehr. Alternativ bleibt noch, HIV-infizierte Zellen in den Untergang zu treiben. 

Bei der "Shock-and-Kick"-Strategie geht es darum, Viren aus körpereigenen Reservoiren freizusetzen und dann zu eliminieren. Supramolekulare Adhäsionskomplexe, der Toll-like Receptor 7 (TLR7) und weitere Strukturen könnten sich eignen. 

Auch das Immunsystem spielt eine zentrale Rolle. Therapeutische Vektoren oder Immunmodulatoren sind als Booster für Immunzellen zu nennen. Ein weiterer Ansatz besteht darin, geschädigtes Gewebe zu reparieren. 

Die Idee: Unterschiedliche Wirkstoffgruppen kombinieren

Klinische Anwendungen lassen noch auf sich warten. Müller-Trutwin nennt bei ihrem Vortrag jedoch In-vitro-Studien und tierexperimentelle Untersuchungen für einige dieser Strategien. Möglicherweise müsse man Wirkstoffe kombinieren, sagt die Referentin. Bei Makaken ist es gelungen, mit einer dualen Blockade von PD-1- und Interleukin-Rezeptoren das Simianen Immundefizienz-Virus (SIV) ohne antiretrovirale Therapie zu kontrollieren. Im Affenmodell erweisen sich auch Interleukin-21 und Interferon-alpha als geeignet. Die Virusreplikation ging zurück, und inflammatorische Vorgänge wurden reduziert. SIV gilt als experimentelles Modell für HIV. "Im Moment gibt es einige spannende Entwicklungen", fasst Müller-Trutwin zusammen. 

Referenz: International AIDS Society Conferences (IAS) 2021, Symposium „Why still invest in HIV cure research“, 20. Juli 2021.