Vom 12. bis 14. Juni findet unter dem Motto "Kompetenz und Verantwortung" in Berlin die 51. gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und der Österreichischen Gesellschaft für Internistische und Allgemeine Intensivmedizin & Notfallmedizin (ÖGIAIN) statt. Dr. Christiane Druml vom UNESCO-Lehrstuhl für Ethik, Wien, lieferte in ihrem Festvortrag am gestrigen Donnerstag eine ethische Betrachtung der Intensivmedizin am Lebensende. Wie schwierig es sein kann, dem technologischen Imperativ eine im Dienste der PatientInnen stehende ethische Handlungsweise entgegenzusetzen und dabei auch die Ängste und Sorgen des medizinischen Personals zu erwägen, illustriert die Geschichte einer österreichischen Patientin, deren Wille trotz aller getroffener Vorkehrungen zunächst keine Berücksichtigung findet.
Maria ist 82 Jahre alt. Früher hatte sie die Leitung eines großen Verlages inne. Sie ist eine gebildete Frau, Akademikerin, äußerlich gepflegt und elegant, sozial aktiv und mobil. Als starke Raucherin leidet sie an COPD und ist vor vier Jahren auch an Lungenkrebs erkrankt. Nach Rücksprache mit ihrem Arzt hat sie sich entschieden, keine onkologische Therapie in Anspruch zu nehmen, sondern nur symptomatisch behandelt zu werden. Sie lässt sich anwaltlich beraten und setzt eine notariell beglaubigte Patientenverfügung auf, aus der hervorgeht, dass sie jede lebenserhaltende invasive Therapie ablehnt; insbesondere möchte sie nicht künstlich beatmet werden.
Maria lebt weiterhin selbstbestimmt und geht ihren Beschäftigungen und sozialen Kontakten nach. Ihre Atembeschwerden nehmen allmählich zu. Eines Abends muss sie auf Grund einer Lungenentzündung stationär aufgenommen werden. Sie wird in das Privatspital in Wien gebracht, in dem sie üblicherweise behandelt wird und wo ihre Patientenverfügung vorliegt.
In der Nacht der Aufnahme tritt bei Maria der Herzstillstand ein. Die diensthabende Ärztin entscheidet, dass reanimiert wird. Durch die Reanimation werden Marias Brustbein sowie einige Rippen gebrochen. Sie wird sediert und beatmet und auf die Intensivstation verlegt. Am nächsten Tag wird klar, dass dies nicht hätte passieren dürfen. Die Beatmung wird beendet und die palliative Versorgung beginnt. Maria stirbt innerhalb der nächsten 24 Stunden.
Mit der Situation konfrontiert, sagt die junge Ärztin, die in der Nacht Dienst hatte: "In meinem Dienst stirbt niemand. Ich bin keine Mörderin."
Der Tod ist immer weniger ein natürliches Ereignis und immer mehr ein medizinisch-technisch gestalteter Prozess. Das Lebensende kann nicht "diagnostiziert" werden, es unterliegt weder einer eindeutigen Begriffsdefinition noch ist es nach einem wissenschaftlichen Verständnis objektivierbar. Es handelt sich vielmehr um einen abstrakt dehnbaren, biologischen und temporären Prozess, der mit dem Tod endet. Durch die Möglichkeiten der Organunterstützung und des Organersatzes und die Transplantationsmedizin wird dieser Prozess immer unschärfer in seiner Bestimmbarkeit.
Für Ärztinnen und Ärzte bedeutet dies oft eine Gratwanderung zwischen medizinischer Machbarkeit und realem Nutzen für die PatientInnen. Hinzu kommen therapeutischer Ehrgeiz und Ängste zu versagen oder vor rechtlichen Konsequenzen. Die Entscheidung zur angemessenen Therapie am Lebensende kann schwierig sein, und immer wieder kommt es, wie im Beispiel von Maria, auch bei eindeutigem Patientenwillen zu unverhältnismäßigen Therapiemaßnahmen.
Eine unverhältnismäßige Therapie steht jedoch mit den ethischen Prinzipien der Autonomie, des Nichtschadens und der Gerechtigkeit in Konflikt. Dem drohenden Verlust der Fähigkeit zur autonomen Entscheidung kann am besten durch eine rechtzeitig verfasste und kommunizierte Willenserklärung der Patientin oder des Patienten begegnet werden. Das Nichtschadensprinzip erfordert die Abwägung von größtmöglichem Nutzen und dem Risiko eines potenziellen Schadens. Dabei darf die Lebensverlängerung nicht das alleinige Ziel der medizinischen Behandlung darstellen. Ganz wesentliches Ziel des Handelns ist vielmehr die Verringerung von Leiden. Dabei ist besonders wichtig, dass die Pflege und palliative Versorgung der PatientInnen in jeder Situation aufrecht erhalten werden muss. Diese ist auch Bestandteil des Gerechtigkeitsprinzips: ein gleichberechtigter Zugang zu einer adäquaten Palliativversorgung soll gewährleistet werden. Darüber hinaus muss betont werden, dass Ärztinnen und Ärzte nicht verpflichtet sind, nicht zielführende, zu belastende oder von der Patientin oder dem Patienten abgelehnte Therapien durchzuführen.
Diese Prinzipien sind im Leitfaden der Bioethikkommission des Europarates zum Prozess der Entscheidungsfindung zur medizinischen Behandlung am Lebensende verankert.
Quelle: 51. Jahrestagung DGIIN und ÖGIAIN, Festvortrag C. Druml, Berlin, 13.06.2019