Die Samenzellanalyse ist mehr als Anzahl, Morphologie & Co.

Spermien können in der visuellen Begutachtung völlig normal erscheinen und trotzdem ist der Mann infertil – ein Blick auf genetische Parameter der Fertilität des Mannes.

Spermien können in der visuellen Begutachtung völlig normal erscheinen und trotzdem ist der Mann infertil – ein Blick auf genetische Parameter der Fertilität des Mannes.

Die klassische Beurteilung der Spermien umfasst Anzahl, Vitalität, Mobilität und Morphologie. Selbst wenn all diese Parameter normal sind, gibt es in einer nicht unerheblichen Zahl der Fälle die Möglichkeit, dass ein Mann dennoch infertil ist. In diesen Situationen ist detektivisches Gespür gefragt, denn der Defekt kann sogar bis auf das Level der Genetik hinab reichen. Sollte die Spermien-Diagnostik deshalb zukünftig erweitert werden?  

Mit der Ejakulation während des Geschlechtsverkehrs beginnt für jedes einzelne Spermium das sprichwörtliche Abenteuer seines Lebens. Was unsere Keimzellen auf dem Weg zur Befruchtung leisten müssen, grenzt schon beinahe an ein Wunder. Und dennoch versucht Medizinforschung über diese Wunder hinauszugehen und die ihnen zugrunde liegenden Prozesse aufzuklären.

Ein Spermium legt auf seinem Weg zur Eizelle etwa 20 cm Strecke zurück. Dabei schwimmt es gegen den Strom (Rheotaxis), denn in den Eileitern herrscht eine etwa 20 µm/s schnelle Strömung, und zwar in entgegengesetzter Richtung zur Schwimmbewegung der Spermien. Um gleiches zu vollbringen, müsste ein Mensch von circa 1,80 m Größe im Ärmelkanal eine Wegstrecke von mehr als 7 km zurücklegen. Zum Vergleich: Die Schwimmstrecke des Iron Man auf Hawaii ist nur etwa 3,8 km lang.

An der Eizelle scheitert so manches Spermium

Wer nun denkt, nach so viel athletischer Höchstleistung wird das Spermium am Ende mit der Möglichkeit auf Befruchtung einer Eizelle belohnt, irrt erneut. Zwar lockt die Eizelle chemotaktisch mithilfe von Progesteron die Spermien an, doch bis zur befruchteten Eizelle ist es dennoch weit.

Das Progesteron wirkt am Spermium derart, dass dieses beinahe "Hals über Kopf" beginnt, wild drauf los zu schwimmen. Diese Hyperaktivierung des Spermiums ist wichtig, um die Eizellhülle zu durchdringen. Um diese Hyperaktivierung auszulösen, aktiviert das Progesteron einen Kalziumkanal im Spermienkopf, den sogenannten CatSper. Dieser spezialisierte Kalziumkanal existiert nur in Spermien und kommt sonst in keinem anderen Gewebe vor.

Hat das Spermium es schließlich geschafft, wie wild durch die Eihülle zu brechen, wird direkt an der Membran der Eizelle die Akrosomreaktion ausgelöst und der Spermienkopf verschmilzt schließlich mit dem Ei.

Das Deafness-Infertility-Syndrom

Bei einer seltenen Erbkrankheit, dem Deafness-Infertility-Syndrom (DIS) kommt es zur homozygoten Deletion von STRC und CATSPER2. Die Frauen dieser Familien leiden dann in der Regel unter Schwerhörigkeit, die Männer hingegen sind schwerhörig und zugleich unfruchtbar. Warum?

Ihren Spermien fehlt aufgrund der Deletion das Gen für den CatSper-Kanal. In der Folge bleibt die wilde Reaktion auf das Progesteron der Eizelle aus und die Spermien schwimmen ins Leere oder scheiten am Durchdringen der Eihülle.

Fazit

Die morphologisch-visuelle Beurteilung von Spermien reicht offensichtlich nicht aus, um in allen Fällen Aussagen zur Fertilität des betreffenden Mannes machen zu können. Es bleibt eine Anzahl von Männern, die trotz eines normalen Spermiogramms unfruchtbar sind.

Ein Blick auf die Rheotaxis – das Schwimmen gegen den Strom, um eine Eizelle zu finden – sowie die CatSper-Aktivität könnte zukünftig den diagnostischen Katalog erweitern. Entsprechende Rheotaxis- und CatSper-Aktivitätstests befinden sich derzeit in Entwicklung und sollen zukünftig in Einzelfällen in andrologischen Speziallabors zur erweiterten Standarddiagnostik angefragt werden können.

Quelle:
F41 "Andrologie heute", Moderne Spermiendiagnostik ist mehr als nur Morphologie, Motilität und Zahl? (T. Strünker), DGU-Kongress, 28.09.2018, Dresden