Immuntherapie bei Allergen-bedingten respiratorischen Erkrankungen
Die subkutane und die sublinguale Immuntherapie (SCIT, SLIT) sind die gebräuchlichsten Verfahren zur Kontrolle der allergischen Rhinitis (AR). Auf dem diesjährigen APAAACI-Kongress präsentierte Prof. Dr. med. M. Okano Forschungsarbeiten zur Sicherheit, Effektivität und Adhärenz der beiden Therapieregime.
SCIT und SLIT im klinischen Alltag
Die subkutane und die sublinguale Immuntherapie (SCIT, SLIT) sind die gebräuchlichsten Verfahren zur Kontrolle der allergischen Rhinitis (AR). Auf dem diesjährigen APAAACI-Kongress präsentierte Prof. Dr. med. M. Okano (International University on Health and Welfare School of Medicine Narita, Japan) Forschungsarbeiten zur Sicherheit, Effektivität und Adhärenz der beiden Therapieregime.
Zunahme der allergischen Rhinitis
Die Prävalenz der allergischen Rhinitis ist in den letzten Jahren gestiegen; so leidet 50% der japanischen Bevölkerung unter AR v. a. bedingt durch die Pollen der japanischen Zeder (JZP) und Allergene der Hausstaubmilbe (HSM). Zur Behandlung kommen überwiegend SLIT und SCIT infrage. Sicherheit, Effektivität und Adhärenz sind dabei Faktoren, die die Therapiewahl beeinflussen können.
Sicherheit der Immuntherapie
Das Auftreten von Nebenwirkungen unter SLIT und SCIT wurde vielfach untersucht. Prof. Okano präsentierte mehrere Studien, die sich mit dem Auftreten unerwünschter Begleiteffekte im Rahmen der Immuntherapien beschäftigten:
- Die Inzidenz von Nebenwirkungen unter SCIT wurde in einer Kohorte von 98 Patient:innen analysiert. Am häufigsten traten lokale Reaktionen auf (Anteil der Betroffenen: 12,2%). Systemische Nebenwirkungen waren selten (1 % der Probanden).
- Mehrere Phase-3 Studien untersuchten das Sicherheitsprofil der SLIT. Verglichen wurden unterschiedliche Antigen-Dosierungen und Applikationsformen (Tabletten, Tropfen) zur Therapie der HSM- und JZP-Allergie. Ein Zusammenhang zwischen der Konzentration der verabreichten Antigene und der Nebenwirkungsrate lässt sich vermuten: Eine niedrige AG-Dosis korrelierte mit weniger negativen Begleiteffekten. Die Ausprägung der Nebenwirkungen war aber mild und tolerabel. Eine Anaphylaxie wurde nicht dokumentiert.
- Die EMA (European Medicines Agency) analysierte die Zahl der Anaphylaxien, die durch eine SLIT bei HSM-Allergie von 2016 bis 2019 induziert wurde. Insgesamt erlitten 82 Patient:innen Anaphylaxien (Anzahl anaphylaktischer Schocks: 6). Keine fatale Reaktion wurde dokumentiert. Diese Untersuchung lässt darauf schließen, dass anaphylaktische Ereignisse bei sublingualer Immuntherapie zwar selten, aber dennoch präsent sind.
- Betroffene, deren AR sowohl durch HDM als auch JZP ausgelöst wird (Polysensibilisierung), wurden in einer multizentrischen open-label Studie untersucht (n = 109). Nach initialer Monotherapie mit SLIT gegen HDM bzw. JZP, wurde den Proband:innen eine duale SLIT gegen beide Antigene verabreicht. Während der Studie traten bei 76% der Proband:innen Nebenwirkungen auf, wobei es sich dabei zu über 99% um milde Begleiteffekte handelte. Zwei Probanden wiesen moderate Nebenwirkungen auf (Urtikaria, Dyspnoe), die zu einem Studienabbruch der Betroffenen führten.
Effektivität von SLIT und SCIT
Die Symptom-reduzierende Wirkung der SCIT und SLIT ist Thema mehrerer Forschungsarbeiten. Auch wenn die Ergebnisse nicht immer kongruent sind, scheint die SCIT eher zum Therapieerfolg zu führen als die SLIT.
- In einer Meta-Analyse (36 randomisierte, kontrollierte Studien) wurde die Effektivität der SCIT bzw. SLIT (Tropfen und Tabletten) mit Gräserpollen-Allergenen gegenüber Placebo zur Therapie der saisonalen AR verglichen. Die Studienauswertung zeigte, dass durch SCIT eine signifikant bessere Symptom-Kontrolle als mit SLIT erzielt wurde.
- In einer vergleichbaren Forschungsarbeit mit derselben Fragestellung (37 randomisierte, kontrollierte Studien) kam man zu folgender Schlussfolgerung: Die signifikant beste Symptom-Reduktion bei AR konnte sowohl durch eine Therapie mit SLIT-Tabletten als auch mit SCIT erreicht werden.
- Die klinische Untersuchung GRASS (n = 106) analysierte den Effekt einer zweijährigen Immuntherapie mit Gräserpollen-Antigenen bei Patient:innen mit AR. Die in 3 Arme randomisierten Probanden erhielten SCIT, SLIT oder Placebo. Studienteilnehmer unter SLIT und SCIT unterschieden sich nicht hinsichtlich der Lebensqualität. Die Symptom-Kontrolle nach SCIT übertraf die Wirkung der SLIT im ersten Therapiejahr, im zweiten Behandlungsjahr führten beide Therapieschemata zu vergleichbaren Resultaten.
- Auch bei einer Allergie gegen HSM scheint die SCIT effizienter: Basierend auf einer Meta-Analyse von 37 randomisierten, kontrollierten Studien überzeugte die SCIT durch eine signifikant deutlichere Symptom-Reduktion als die SLIT.
Adhärenz unter der Immuntherapie
Neben der Sicherheit und Wirksamkeit des Therapieregimes ist eine hohe Adhärenz für den Behandlungserfolg ausschlaggebend. Eine niederländische retrospektive real-life Untersuchung beschäftigte sich mit diesem Aspekt der Immuntherapie: Die Studie zeigte, dass die Abbruchrate unter SLIT deutlich höher lag als unter SCIT (1. Behandlungsjahr: SLIT 62% vs. SCIT 20%, 3. Behandlungsjahr SLIT 93% vs. SCIT 77%).
Im Gegensatz dazu scheint die Therapietreue bei SLIT in Japan deutlich höher zu sein. In einer japanischen Forschungsarbeit lag der Prozentsatz der Abbrüche im ersten Behandlungsjahr bei nur 4%, im dritten Jahr bei 14%. Eine gute Adhärenz ließ sich zudem mit einer optimierten Symptom-Kontrolle in Zusammenhang bringen.
Compliance – eine Frage der Patienteninformation?
Ein möglicher Grund für die hohe Adhärenz in Japan könnte laut Prof. Okano das nationale SLIT-Registrierungssystem sein. Nach ärztlicher Indikationsstellung müssen die Erkrankten mehrere Informationsveranstaltungen und Tests über den Ablauf der Behandlung absolvieren, bevor die Immuntherapie bewilligt wird. Darüber hinaus wird viel Wert auf eine Patientenschulung bezüglich der SLIT, z. B. mit Broschüren gelegt.
Fazit:
Im klinischen Alltag ist die SLIT einer SCIT vorzuziehen, wie Prof. Okano betonte. Der Vorteil liegt hierbei in einem guten Sicherheitsprofil und der oralen Applikation. Wünscht der Patient allerdings eine möglichst rasche Symptom-Kontrolle und wird eine tägliche Behandlung abgelehnt, sollte die SCIT in Erwägung gezogen werden. Im Übrigen sind Schulungen und Informationsmaterial zum Verständnis der Autoimmuntherapie hilfreich, um die Therapie-Adhärenz zu fördern.
Referenz:
Okano, Prof. Dr. med. M., International University of Health and Welfare School of Medicine Narita, Japan, Symposium Immune Tolerance and Immunotherapy: SCIT and SLIT for Respiratory Allergic Diseases, Asia Pacific Association of Allergy, Asthma and Clinical Immunology (APAAACI) 2021 International Conference, 15-17.10.2021.