Post-COVID-Erkrankung interdisziplinär denken: Neurologische Aspekte

Die Komplexität von Long- und Post-COVID verlangt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, weswegen zum Thema auf dem DGIM auch aus neurologischer Sicht referiert wurde.

75%-ige Inzidenz von Long- und Post-COVID nach schwerer Infektion

Die Prävalenz von Long- und Post-COVID ist nach Prof. Berlit nicht zu unterschätzen.1 Daten von 1,2 Millionen an COVID-Erkrankten aus 22 Ländern gaben einen Hinweis auf Symptome, die auch mindestens drei Monate nach der akuten Infektion anhalten. Darunter fallen mindestens ein Symptom aus den Bereichen Fatigue, persistierende respiratorische Probleme oder kognitive Beeinträchtigungen. Zumindest eines dieser Symptome konnte bei 6,2% der untersuchten Personen festgestellt werden, die mittlere Symptomdauer betrug bei hospitalisierten 9 Monate und bei nicht-hospitalisierten Personen lediglich 4 Monate.2 Ebenso unterscheidet sich die Inzidenz von Long- und Post-COVID in Abhängigkeit von der Intensität der Akutinfektion: Wenn diese mild verlief, leiden 10-20% an Long-COVID. Lag allerdings ein schwerer COVID-19-Verlauf vor, wiesen drei Viertel dieser Gruppe Post-COVID-19-Symptome auf.3,4 

Diese Folgeerscheinungen können sich allerdings auch deutlich länger als 9 Monate ziehen. Die populationsbasierte "Linköping COVID-19"-Studie aus Schweden (DOI: 10.1016/j.lanepe.2023.100595) ist die erste Studie, die ein 2-Jahres-Follow-Up bei Betroffenen von Long-COVID durchgeführt hat.5 Zu Beginn der Längsschnittstudie wiesen 40% (185 von 433) Probanden vier Monate nach der initialen COVID-Infektion Symptome auf. Zwei Jahre später war bei 84% der dann Befragten (139 von 165) noch mindestens ein Symptom oder persistierende Einschränkungen im täglichen Leben zu verzeichnen. Vorwiegend handelt es sich dabei um kognitive, sensomotorische und Fatigue-Symptome, dabei ließen sich allerdings keine signifikanten Unterschiede zwischen intensivpflichtiger und nicht-intensivpflichtiger Haupterkrankung feststellen.

Neurologische Manifestationen bei Post-COVID

Prof. Berlit ging in seinem Vortrag auf die neurologischen Manifestationen bei Post-COVID ein und benannte dabei: 

Kognitive Defizite nach COVID-19 betreffen Berlit zufolge neurologische Exekutivfunktionen, also das planerische Denken, Konzentrations-, Gedächtnis- und/oder Sprachleistungen. Diese langfristigen Symptome können auch nach leichten Corona-Verläufen auftreten.1

Das erste systematische Review zu Post-COVID untersuchte 57 Studien mit über 250.000 COVID-19-Überlebenden, von denen 79% hospitalisiert wurden. Dabei wiesen 54% Langzeitsymptome auf, am häufigsten pulmonale und neuropsychiatrische Symptome.6

Bis zu einem Jahr nach einer Corona-Infektion besteht ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, die Wahrscheinlichkeit für einen Schlaganfall ist beispielsweise um den Faktor 4 erhöht, auch die Gefahr, Vorhofflimmern zu erleiden, ist 10-mal höher.7 

Welche Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Post- bzw. Long-COVID-Infektion? 

Es gibt einige Faktoren, die das Risiko, an einer Post- bzw. Long-COVID-Infektion zu erkranken, erhöhen. Hierunter fallen neben biographischen Faktoren (weibliches Geschlecht, mittleres Lebensalter, kaukasisch) auch vorbestehende Erkrankungen wie Asthma bronchiale, schlechte psychische Gesundheit, Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Adipositas. Zusätzlich hat die Schwere der Corona-Infektionen Einfluss auf die Prävalenz von Langzeitsymptomen: mehr als fünf akute Symptome, eine hohe akute VIruslast, niedrige Baseline-IgG gegen SARS-CoV-2, Durchfall und ein negativer Impfstatus resultieren tendenziell häufiger in einer Post-COVID-Infektion. Vor allem Autoimmunerkrankungen, allergische Erkrankungen und Depressionen sind signifikant mit Long-COVID assoziiert. Auch unter Berücksichtigung des Schweregrades der akuten SARS-CoV-2-Infektion ist dies der Fall.1

Allerdings ist darauf zu achten, so Prof. Berlit, bei der Diagnose von Post- bzw. Long-COVID stets eine Abgrenzung zum "Post-Intensive-Care-Syndrom" vorzunehmen. Denn klinische Symptome können Patienten mit intensivpflichtigem Verlauf während einer Akutinfektion auch ihm Rahmen eines PICS aufweisen. Hier bestehen ebenso kognitive Defizite, Muskelschwäche im Sinne einer Critical-Illness-Polyneuropathie und -Myopathie (CIP/CIM), posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Depressivität und Angststörungen.1 

Interdisziplinarität bei Behandlung von Long-COVID essentiell 

Die Symptome, die Long-COVID nach sich zieht, sind vielfältig, weswegen deren Therapie nicht von medizinischem Personal einer Fachrichtung abgedeckt werden kann. Daher plädiert Prof. Berlit für die bereichsübergreifende Kollaboration, insbesondere der Fachgebiete Pneumologie und Neurologie, unter Einbezug psychosomatischer Expertinnen und Experten. Diese Kollaboration soll sich in einem dualen Behandlungskonzept manifestieren, das sowohl somatische als auch psychische Aspekte abdeckt. Dies soll im Idealfall durch ein individuell angepasstes körperliches Belastungsprogramm und neurokognitives Training unterstützt werden. Auch eine telemedizinische Patientenbetreuung ist für Betroffene von Long- bzw. Post-COVID essentiell. Die Pathophysiologie von Post-COVID-Symptomen betreffend sieht er besonders Neurotransmitter-vermittelte Veränderungen, Immunvermittelte Mechanismen, eine postinfektiös fortbestehende Koagulopathie sowie psychische Faktoren als relevant, was weitere Forschung angeht.1

Hier erwähnte Prof. Berlit mit Nachdruck die Studie Post-Corona-Virus Immune Treatment Trial,8 die die Wirkung von Methylprednisolon vs. Placebo bei Patienten mit kognitiven Defiziten untersuchen wird, und auf deren Ergebnisse er äußerst gespannt ist. Weitere kontrollierte Studien zum Thema Behandlung sowie Prävalenz von Long- und Post-COVID sind in seinen Augen essentiell. 

Weitere Highlights des DGIM Kongresses 2023 finden Sie in unserer Kongressberichterstattung

Referenzen:
  1. Berlit, Peter. "Post-Covid-Erkrankung und ihre Facetten aus neurologischer Sicht". Session: Post-Covid-Erkrankung und ihre Facetten. DGIM 2023. 
  2. Hanson SW, Abbafati C, Aerts JG et al. Global Burden of Disease Long COVID Collaborators. Estimated Global Proportions of Individuals With Persistent Fatigue, Cognitive, and Respiratory Symptom Clusters Following Symptomatic COVID-19 in 2020 and 2021. JAMA 2022 Oct 10. https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2797443
  3. Augustin M. et.al,, Post-COVID syndrome in non-hospitalised patients with COVID-19: a longitudinal prospective cohort study, Lancet Reg Health Eur. 2021
  4. Akbarialiabad H et.al., Long COVID, a comprehensive systematic scoping review. Infection. 2021
  5. Wahlgren C, Forsberg G, Divanoglou A et al. Two-year-follow-up of patients with post-COVID-19 condition in Sweden: a prospective cohort study. Lancet Reg Helath Eur 2023 Feb 24; 100595 doi:10.1016/j.lanepe.2023.100595. Online ahead of print. https://www.thelancet.com/journals/lanepe/article/PIIS2666-7762(23)00013-3/fulltext
  6. Groff D, Sun A, Ssentongo AE et al. Short-term and Long-term Rates of Postacute Sequelae of SARS-CoV-2 Infection: A Systematic Review. JAMA Netw Open 2023; 4(10): e2128568. https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2784918
  7. Xie Y, Xu E, Bowe B et al.: Longterm cardiovascular outcomes of COVID-19. Nat Med 2022. https://doi.org/10.1038/s41591-022-01689-3
  8. https://cfc.charite.de/klinische_studien/nksg/studie_pocovit/