Verhaltensstörungen und Schlafstörungen bei Demenzpatienten: Wie behandeln?

Die Liste potentieller Verhaltensstörungen bei Demenz ist lang. Wie Betroffenen am besten geholfen werden kann, wurde auf dem DGIM 2023 diskutiert.

Demenz: nicht nur ein neurologisches Krankheitsbild

Wenn es um die Behandlung dementer Patientinnen und Patienten gehe, sei es wichtig, den Fokus nicht allein auf das Krankheitsbild Demenz zu richten, betont Prof. Dr. Richard Dodel, Universität Duisburg-Essen, auf dem 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Hand in Hand mit Krankheitsverlauf und Diagnose gehe leider auch eine Vielzahl potentieller psychischer Symptome und Verhaltenssymptome. Besonders häufig käme es zu Unruhe, Depressionen, einem gestörtem Schlaf-/Wachrhytmus – aber auch Selbstmordgedanken träten bei Betroffenen auf. Prof. Dodel listet die häufigsten Symptome auf:

Viele dieser Verhaltensstörungen ließen sich aber auch auf konkrete Ursachen zurückführen. Unadressierter Schmerz etwa könne etwa Aggressivität, Unruhe oder Enthemmungen bei Demenzpatienten triggern. Als Beispiel nennt Dodel einen Patienten, der im Krankenwagen durch aggressives Verhalten auffiel. Im Krankenhaus wurde dann festgestellt, dass der Patient eine volle Blase hatte, dies aber nicht artikulieren konnte, unmittelbar nach dem Wasserlassen wurde er ruhig. Nahrungsverweigerung und Apathie könnten hingegen etwa auf eine chronische Gastritis oder eine Psychopharmaka-Überdosierung zurückzuführen sein, einige ältere Menschen mit Demenz nähmen etwa 1-2 Schachteln pro Monat. Auch Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen könnten auf eine Psychopharmaka-Überdosierung zurückzuführen sein. Weitere Verhaltensauffälligkeiten, etwa Wahn und Halluzinationen, könnten durch Faktoren wie Hyperthyreose, Digitalis-Überdosierung oder Störungen des Blutzuckerstoffwechsels zu erklären sein.

"40 % der Patienten mit Lewy-Körper-Demenz entwickeln schwere Depressionen", so Prof. Dodel. Prominente Beispiele seien etwa Robin Williams oder Gunter Sachs, die von ihren Depressionen in den Suizid getrieben wurden. Leider gäbe es hier keine gute Evidenz für den Einsatz von Antidepressiva. Eine Studie aus Schweden zeige allerdings auf, dass die Anwendung von Antidepressiva während der Prodomalstadien die Sterblichkeit bei Demenz und insbesondere bei Alzheimer verringern könnte.

Behandlung von BPSD: Psychosoziale Intervention vor psychopharmakologischer Behandlung

Welche Therapieansätze sind nun besonders geeignet, um Demenz-Patienten mit Verhaltensstörungen oder Schlafstörungen konkret zu helfen? Bevor auf Psychopharmaka zur Behandlung von BPSD (Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia) zurückgegriffen, empfehle die SS3-Leitlinie:

Zudem sei eine Indikation für pharmakologische Intervention nur gegeben, so Dodel, wenn psychosoziale Interventionen nicht effektiv, nicht ausreichend oder nicht verfügbar oder Eigen- sowie Fremdgefährdung nicht anders abzuwenden sei. Wird pharmazeutisch behandelt, so seien Medikamente mit anticholinerger Wirkung unbedingt und Medikamente mit sedierender Wirkung nach Möglichkeit zu vermeiden. Prof. Dodel merkt an: "Verfahrensweisen zur Medikamentenauswahl und Dosierung, die bei der Anwendung psychotroper Medikation bei älteren Menschen zu beachten sind, gelten bei Demenzkranken in besonderem Maße." Außerdem müssten in jedem Fall pharmakologische Interaktionen beachtet werden. 

Grundsätzlich werden laut SS3-Leitlinie folgende Medikamente zur Behandlung von Verhaltensstörungen bei Demenz empfohlen:

Auch zur Behandlung von Schlafstörungen bei Demenz liefere die Leitlinie einige psychopharmakologische Ansätze, so Dodel. Hier werden Mirtazapin (15-30mg), Trazodon (25-200mg), Melperon (25-100mg), Pipamperon (40-80mg) sowie Zolpidem (10mg), Zopicoln (7,5mg) und Zaleplon  (5mg) gelistet. Bei langwirksamen Benzodiazepinen oder der Verwendung von Promethazin und Levopromazin gelte es allerdings, Vorsicht walten zu lassen.

Demenz-Behandlung: Fester Tagesablauf und Erfolgserlebnisse sind entscheidend

Nach Möglichkeit werde zur Behandlung von Schlaf- und Verhaltensstörungen bei Demenz aber primär die Anwendung nicht-pharmakologischer Strategien empfohlen, betont Dodel. Dabei sei die Anerkennung der Erlebniswelt des Patienten genauso wichtig wie der Versuch, die Konfrontation mit kognitiven Defiziten zu vermeiden. Dementsprechend sollten auch Überforderungen dringend vermieden werden, etwa durch den übermäßigen Gebrauch von Apps zum Gedächtnistraining. Vielmehr sollten durch Erfolgserlebnisse erhaltene Fähigkeiten der Patientin oder des Patienten unterstützt werden oder mit Hilfe von positiven Erlebnissen, wie etwa dem Umgang mit Musik oder Tieren, ein angenehmes Umfeld geschaffen werden. 

Von besonderer Bedeutung sei zudem die Strukturierung eines festen Tagesablaufs. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass durch angemessene strukturierte soziale Aktivierung während des Tages sowohl eine signifikante Verminderung des Tagschlafes als auch eine signifikante Abnahme des Tag/Nacht-Schlafverhältnisses erzielt werden kann.  Besonders wirkungsvoll sei außerdem der Besuch von Angehörigengruppen und die Identifikation von Stressoren, wie etwa Schmerzen. 

Quelle:
  1. Prof. Dr. Richard Dodel: Sozialmedizin - Neue Studien, Grundlagen für die Praxis? Therapie von Verhaltensstörungen und Schlafstörungen bei Demenzkranken, in: Demenz - eine Herausforderung in der Hausarztpraxis. 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. 22.04.2023, 08.15 Uhr.