Mit den verbesserten Heilungschancen heutiger Krebstherapien rückt für viele junge Patientinnen nach ihrer Genesung die Verwirklichung des Familienbildes in den Fokus: Sie wünschen sich ein Kind. Da Chemotherapie oder Bestrahlung die Eizellreserve dauerhaft schädigen können, sollte die Beratung über eine Fertilitätsprotektion vor onkologischer Behandlung integraler Bestandteil der Betreuung von weiblichen Krebspatientinnen sein.
Das Netzwerk FertiPROTEKT e. V., ein Zusammenschluss von spezialisierten Reproduktionsmedizinerinnen/-medizinern und -biologinnen/-biologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, hat kürzlich aktuelle Empfehlungen zum Einsatz der verschiedenen Methoden zur Fertilitätsprotektion veröffentlicht. Sie sollen Onkologinnen/Onkologen und Reproduktionsmedizinerinnen/-mediziner bei der Betreuung junger Krebspatientinnen unterstützen und die Entscheidungsfindung erleichtern. Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Schüring ist Erstautor des Artikels und gibt auf dem 62. DGGG-Kongress eine praxisnahe Übersicht dieser Handlungsempfehlungen.
Die Entscheidung für eine fertilitätsprotektive Maßnahme und die Auswahl der Methode hängen ab von der Prognose der Erkrankung, den Risiken für die Fruchtbarkeit durch die onkologische Therapie und der individuellen Situation der Patientin. Auch müssen das Risiko einer Metastasierung im Eierstockgewebe und eine mögliche Hormonempfindlichkeit des Tumors bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.
Als Methoden der Fertilitätsprotektion stehen zu Verfügung
1. Medikamentöse Hemmung der Aktivität der Eierstöcke mittels GnRH-Agonisten
(Downregulation)
Prinzip: Ruhende Eierstöcke scheinen weniger empfindlich gegenüber einer
Chemotherapie oder Bestrahlung zu sein.
2. Hormonelle Stimulation der Eierstöcke, Eizellentnahme und Einfrieren (Kryokonservierung) von befruchteten und/oder unbefruchteten Eizellen
Prinzip: Embryotransfer nach Genesung der Patientin, wie bei künstlicher
Befruchtung (IVF)
3. Entnahme von Eierstockgewebe per Bauchspiegelung und Kryokonservierung
Prinzip: Transplantation von Eierstockgewebe nach Genesung, Ermöglichung einer
Schwangerschaft auf natürlichem Weg oder mittels IVF
Zur Veranschaulichung wird die Entscheidungsfindung an zwei Krebserkrankungen dargestellt.
Das Hodgkin-Lymphom eignet sich in der Regel sehr gut für fertilitätsprotektive Maßnahmen. Einerseits kann die onkologische Therapie eine starke Schädigung der Eierstockreserve verursachen, auf der anderen Seite sind die Heilungschancen exzellent. Die häufig jungen Patientinnen profitieren zudem vom medizinischen Fortschritt, indem ihnen in der Zukunft möglicherweise weiterentwickelte Maßnahmen zur Verfügung stehen. Da das Hodgkin-Lymphom im Eierstock keine Metastasen bildet und nicht hormonabhängig ist, sind alle Methoden, auch die Kryokonservierung von Eizellen nach hormoneller Stimulation oder die Kryokonservierung von Eierstockgewebe mit anschließender Transplantation möglich.
Beim Brustkrebs ist die Entscheidungsfindung etwas komplexer, da eine etwaige Hormonempfindlichkeit des Tumors vor einer hormonellen Stimulation, die für die Gewinnung und Kryokonservierung von Eizellen notwendig ist, berücksichtigt werden muss. Andererseits können die möglichen Risiken durch kurzzeitig erhöhte Östrogenspiegel heute durch spezielle Stimulationsprotokolle, die mit niedrigen Hormonwerten einhergehen, weiter begrenzt werden. Die Gabe von GnRH-Agonisten scheint bei hormonempfindlichem Brustkrebs nicht nur möglich zu sein, sie bietet wahrscheinlich sogar einen zusätzlichen onkologischen Vorteil.
Beim familiären Mammakarzinom (BRCA-1/-2) sollte im individuellen Fall einer Transplantation des kryokonservierten Ovargewebes die Entfernung des Transplantats nach Erfüllung des Kinderwunsches besprochen werden, da ein Befall des Ovars mit malignen Zellen möglich ist. Zukünftig könnten neue Methoden wie ein "künstlicher Eierstock" in Fällen mit Metastasierungsrisiko vielversprechende Alternativen eröffnen.
Das junge, sich schnell entwickelnde Gebiet der Fertilitätsprotektion eröffnet jungen Krebspatientinnen konkrete Chancen für die Erfüllung ihres Kinderwunsches nach ihrer Genesung. Die Entscheidungsfindung und Methodenwahl ist individuell mit der Patientin zu besprechen, einer engen Abstimmung zwischen Onkologinnen/Onkologen und Reproduktionsmedizinerinnen/-medizinern kommt dabei große Bedeutung zu. Informationen für Patientinnen und Ärztinnen/Ärzte unter www.fertiprotekt.de.
Quelle: DGGG-Kongress 2018, Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Schüring, Leiter UKM Kinderwunschzentrum Münster