Update Mitralinsuffizienz: Welche Therapie eignet sich bei welcher Entität am besten?
Der Weg in Richtung optimale Patientenversorgung gestaltete sich lange nicht leicht. Das Konzept der dysproportionalen Mitralinsuffizienz macht nun durch eine sinnvolle Charakterisierung der Patienten die Optimierung der Therapie möglich.
Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) bei funktioneller Mitralklappeninsuffizienz sehr häufig
Eine schwere Mitralinsuffizienz geht mit einer fortschreitenden linksventrikulären Dysfunktion und einer kongestiven Herzinsuffizienz einher. Die medikamentöse Behandlung der Patienten lindert zwar die Symptomatik, hat jedoch keinen Einfluss auf die Krankheitsprogression. Der Weg in Richtung optimaler Patientenversorgung gestaltete sich über die letzten Jahrzehnte hinweg nicht leicht. Ein entscheidender Faktor war, dass die traditionellen Ansätze zur Charakterisierung der sekundären oder funktionellen Mitralinsuffizienz die Bedeutung des linken Ventrikels weitgehend ignoriert hatten.
"30-50% der Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz weisen eine hochgradige Mitralklappeninsuffizienz auf." Die Prognose der HFrEF-Patienten hinge wesentlich vom Schweregrad der Mitralklappeninsuffizienz ab, so Rottbauer. Zur Untermauerung dieser Aussagen stellte Rottbauer dem Auditorium wichtige Kennzahlen zur funktionellen Mitralinsuffizienz vor. Einer klinischen Studie aus dem Jahr 2004 zufolge zeigte sich ein Zusammenhang zwischen einer hämodynamisch signifikanten Mitralinsuffizienz und einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz (EF ≤ 35%). Hierbei korrelierte der Schweregrad der Mitralinsuffizienz mit dem Schweregrad der systolischen Dysfunktion, der diastolischen Dysfunktion, der ventrikulären Dilatation, der atrialen Dilatation und der pulmonalen Hypertonie. Bei Vorliegen einer hämodynamisch signifikanten Mitralinsuffizienz zeichnete sich eine erhöhte Mortalität ab.1,2 Eine Studie aus dem Jahr 2011 bestätigte diese Daten. Sie konnte zudem zeigen, dass mit zunehmendem Schweregrad der Mitralklappeninsuffizienz (LVEF < 25%) auch das Sterberisiko anstieg.1,3 Rottbauer vermittelte dem Auditorium durch die Vorstellung dieser Studienergebnisse, dass eine funktionelle Mitralklappeninsuffizienz bei einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) sehr häufig vorkommen kann und mit einer erhöhten Mortalität vergesellschaftet sein kann.1
Neue AHA-Leitlinien zur Behandlung von Herzinsuffizienz und Mitralklappeninsuffizienz sind sich einig
Die aktuelle Leitlinie der American Heart Association (AHA) zur Herzinsuffizienz stammt aus dem Jahr 2022 und ersetzt zwei ältere Leitlinien aus dem Jahr 2013 und 2017. Sie gibt patientenorientierte Empfehlungen für Kliniker zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz. Mit dieser Leitlinie entsprechen sich zum ersten Mal kardiologische Leitlinien zur Behandlung unterschiedlicher Krankheitsbilder. So nimmt diese neue Leitlinie auch Stellung zur Behandlung der Herzinsuffizienz bei Mitralklappeninsuffizienz:
- Bei einer HFrEF aufgrund einer schweren Mitralklappeninsuffizienz (NYHA II-IV) sollte zunächst eine medikamentöse Therapie versucht werden.
- Reicht ein medikamentöses Auftitrieren nicht mehr aus, so ist der nächste Schritt interventioneller Natur: Transkatheter "Edge-to-Edge-Repair" der Mitralklappe (Klasse-IIa-Empfehlung).
- Die Voraussetzung hierfür sind passende anatomische Gegebenheiten für den Eingriff, eine LVEF von 20-50%, eine LVESD ≤ 70 mm und eine PASP ≤ 70 mmHg.1,4
Dieselbe Empfehlung gibt auch die AHA-Leitlinie zur Behandlung von Herzklappenvitien.1,5
MitraClip® versus Mitralklappenrekonstruktion: EVEREST II
Zur interventionellen Mitralklappen-Reparatur stehen verschiedene Verfahren zu Verfügung: Der MitraClip® und die Mitralklappenrekonstruktion. In der Studie EVEREST II wurde das MitraClip®-System mit der Mitralklappenoperation zur Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz untersucht. Die eingeschlossenen Patienten litten an einer chronischen Mitralklappeninsuffizienz (Grad 3+ oder 4+; symptomatische Patienten: LVEF ≥ 25%, LVESD von ≤ 55 mm; asymptomatische Patienten mit mindestens einer der folgenden Bedingungen: LVEF von 25 bis 60%, LVESD von 40 bis 55 mm, neues Vorhofflimmern, pulmonale Hypertonie). Der Vorteil des MitraClip®-Systems gegenüber der Mitralklappenoperation war eine höhere Sicherheit mit ähnlichen Verbesserungen der klinischen Ergebnisse. Bezüglich der Verringerung der Mitralklappeninsuffizienz schnitt die Mitralklappenoperation besser ab. In einer Intention-to-Treat-Analyse der EVEREST II zeigten sich jedoch ähnliche Ergebnisse hinsichtlich der Mortalität und der mitralen Regurgitation. Ein wichtiger Unterschied beider Methoden war die Operationsrate aufgrund einer Mitralklappenfunktionsstörung. Diese lag in der MitraClip®-Gruppe bei 20% (verglichen mit 2,2% in der Mitralklappenoperation-Gruppe).1,6 Rottenbauer hob in seinem Vortrag hervor, dass eine Reoperation dieser 20% der Patienten bei erfolgreicher Durchführung des MitraClip®-Verfahrens ein nachhaltiger Behandlungserfolg zu verzeichnen war. Eine wichtige Limitation der EVEREST II war die Patientenauswahl. Es wurden sowohl Patienten mit degenerativer, als auch funktioneller Mitralinsuffizienz eingeschlossen. Die degenerative Mitralinsuffizienz sei durchaus eine Domaine der Herzchirurgie. Bei der funktionellen Mitralinsuffizienz sei dies nicht der Fall, so Rottenbauer.1
Kontroverse Ergebnisse zum Einsatz des MitraClip® bei funktioneller Mitralinsuffizienz: MITRA-FR verus COAPT
In der Studie MITRA-FR wurde die medikamentöse Behandlung mit der zusätzlichen Durchführung des MitraClip®-Verfahrens bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz, verminderter linksventrikulärer Auswurffraktion und schwerer sekundärer Mitralklappenregurgitation verglichen. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Mortalitäts- und Hospitalisierungsrate. In dieser Studie konnte die Prognose der Patienten durch den Einsatz des MitraClip®-Verfahrens nicht verbessert werden.1,7 Hierzu gegenteilige Ergebnisse lieferte die COAPT-Studie. Die annualisierte Hospitalisierungsrate aufgrund einer Herzinsuffizienz lag bei 35,8% pro Patientenjahr in der MitraClip®-Gruppe und bei 67,9% pro Patientenjahr in der Kontrollgruppe. Auch hinsichtlich des Eintretens eines Todes aus jeglicher Ursache (innerhalb von 24 Monaten) schnitt die MitraClip®-Gruppe besser ab (29,1% versus 46,1%. Beide Ergebnisse waren signifikant.1,8
Woher kommt dieser unglaubliche Unterschied zwischen der MITRA-FR- und COAPT-Studie?
Wirft man einen genaueren Blick auf die beiden Studien, so fallen wichtige Unterschiede in der Patientenselektion auf: In der COAPT-Studie wurden Patienten mit einem deutlich dilatierten linken Ventrikel und/oder mit schwerer Rechtsherzerkrankung ausgeschlossen.1 An der MITRA-FR-Studie nahmen Patienten teil, deren Mitralinsuffizienz mit dem Dilatationsgrad des linken Ventrikels korrelierte. Bei den Patienten der COAPT-Studie hingegen lag eine überproportionale Mitralinsuffizienz vor (Die EROA (effective regurgitation orifice area) war um ≈ 30% höher und das linksventrikuläre Volumen um ≈30% kleiner). Die Patienten der COAPT-Studie profitierten von dem MitraClip®. Neben der Abnahme der Hospitalisierungs- und Mortalitätsrate konnte eine deutliche Abnahme des linksventrikulären enddiastolischen Volumens beobachtet werden.1,9
Das Konzept der dysproportionalen Mitralinsuffizienz
Aus dieser Beobachtung heraus ist das Konzept der dysproportionalen Mitralinsuffizienz entstanden. Die Charakterisierung der Mitralinsuffizienz als proportional oder disproportional zum linksventrikulären enddiastolischen Volumen (LVEDV) ist -diesem Konzept zufolge- entscheidend für die Auswahl einer optimalen Behandlung für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und systolischer Dysfunktion.1,9
- Rottenbauer, Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Klappenvitien bei Herzinsuffizienz: Immer behandeln? Nur noch interventionell? Update Herzinsuffizienz, Vorsitz: Prof. Dr. Birgit Aßmus; Prof. Dr. Norbert Frey, 89. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), 08:35 Uhr, 13. April 2023.
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