Die Macht von Wort und Schrift sowie Kommunikation ist ein elementares gesellschaftliches Thema. Die Wahl unserer Worte kann Aufschluss darüber geben, wie wir denken, fühlen und welche Einstellungen, aber auch Vorurteile wir gegenüber Themen oder Menschen haben - Sprache ist etwas sehr Komplexes, die wir oftmals völlig unbewusst anwenden. Häufig wird sie unreflektiert gebraucht: "Ihr Stoffwechsel ist aber schlecht eingestellt!", "Warum bewegen Sie sich so wenig?", "Wenn Sie weiterhin nichts für sich tun, drohen Ihnen Herzinfarkt, Schlaganfall, Blindheit oder eine Amputation!".
Wie Angehörige des Gesundheitssektors Sprache im alltäglichen Umgang gebrauchen, kann die Selbstwahrnehmung und Motivation von Menschen mit Diabetes stark beeinflussen. Die meisten Patienten können sich noch sehr genau an ihre erste Diagnosemitteilung erinnern, so Prof. Andreas Fritsche bei der Pressekonferenz zum Weltdiabetestag. Kaum eine andere Situation, wie die erste Mitteilung zeige, wie positiv oder auch schädlich sich unsere Sprache auswirken kann. Nicht selten habe die Mitteilung Einfluss auf den späteren Verlauf der chronischen Erkrankung. Umso wichtiger sei es, sich seines Sprachgebrauchs im Behandlungsalltag stets bewusst zu sein.
Ein auf Augenhöhe und Werte basierter Sprachgebrauch kann Ängste abbauen, Vertrauen schaffen, aufklären und die Selbstfürsorge fördern. Umgekehrt kann Sprache auch stigmatisieren, diskriminieren, verletzen, die Selbstwirksamkeit schwächen und sich somit nachteilig auf die Behandlung von Diabetes, aber auch die Arzt-Patienten-Beziehung auswirken.
Ausgangspunkt für das erste Positionspapier in Deutschland, das am Weltdiabetestag auf einer von der DDG organisierten Pressekonferenz vorgestellt wurde, ist eine Initiative zur sensiblen, reflektierten und nichtdiskriminierenden Sprache im Zusammenhang mit Diabetes, die 2011 in Australien unter dem Titel "A New Language for Diabetes" ihren Anfang nahm und sich mittlerweile zu einer globalen Bewegung entwickelt hat.
"Mit unserem Positionspapier möchten wir auch für den deutschsprachigen Raum ein erhöhtes Bewusstsein für die Sprache im Zusammenhang mit Diabetes schaffen und für einen diskriminierungs- und stigmatisierungsfreien Sprachgebrauch plädieren", erklärt Dr. med. Katarina Braune, Co-Autorin des "Language Matters"-Positionspapiers und Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Diabetologin DDG an der Charité Berlin.
Die Diabetologie ist die erste medizinische Fachrichtung, unter der sich Behandelnde und Menschen mit Diabetes zusammengeschlossen haben, um ein Positionspapier zur sensiblen Sprache zu erarbeiten.
An dem Positionspapier, das von DDG, diabetesDE und #dedoc° für den deutschsprachigen Raum herausgegeben wurde, haben Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes mit Experten aus mehreren Fachgesellschaften zusammengearbeitet. Es richtet sich sowohl an Menschen mit Diabetes und deren Angehörige als auch an das Fachpersonal der verschiedenen Gesundheitsberufe, Medienschaffende, Lehrkräfte, Juristen sowie allgemein an alle Personen in der Öffentlichkeit, die mit ihrem Sprachgebrauch einen tiefgreifenden Einfluss darauf haben, wie Menschen mit Erkrankungen wie Diabetes mellitus in der Gesellschaft gesehen, diskutiert und behandelt werden.
Auch für den Ansatz der partizipativen Entscheidungsfindung bei Diabetes, wo Patienten und Behandelnde im gegenseitigen Austausch und sozialen Miteinander gemeinsame, "partizipative" Entscheidung treffen, spielt die Kommunikation auf Augenhöhe eine zentrale Rolle. Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus sind 24 Stunden am Tag mit ihrer Krankheit konfrontiert. Sie treffen jeden Tag im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung selbstständige und - verantwortliche Entscheidungen. Umso wichtiger ist es, dass beide Seiten in einer vertrauensvollen Beziehung zueinander stehen, "um eine gute Übereinstimmung zwischen den Anforderungen der Diabeteserkrankung und den Wünschen und Zielen einer Person zu erreichen", betont Dr. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe und niedergelassener Diabetologe.
Empfehlungen aus dem Positionspapier für einen patientengerechteren Sprachgebrauch:
Genauso wichtig sei Sprache auch in der fachlichen Kommunikation zwischen ärztlichem Personal und Berufsgruppen im Gesundheitswesen, die eine große Wirkung habe auf den Erfolg der Behandlung und sogar zu einer Fehltherapie führen kann. Professor Andreas Fritsche, Vizepräsident der DDG führt das Beispiel des sog. "Insulin-Nach-Spritzplans" an. Dieser Begriff habe direkte Auswirkung auf die Therapie, da hier erst bei hohem Blutzucker Insulin nachgespritzt werde, anstatt dieses rechtzeitig, z.B. vor dem Essen zum Einsatz zu bringen.
Auch das Rollenverständnis von Arzt und Patient habe sich in den letzten Jahren immer stärker von einem Kompetenzgefälle hin zu einem Umgang auf Augenhöhe verändert. Patienten nehmen längst nicht mehr nur eine passive Rolle ein, sondern sind selbst wichtige Akteure und Behandler ihrer eigenen Erkrankung. Das muss sich auch in der Sprache widerspiegeln, so Prof. Dipl.-Psych. Bernd Kulzer, Sprecher und 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der DDG. Die Kommunikation sollte daher respektvoll und vorurteilsfrei sein und anerkennen, dass die wesentlichen Therapieentscheidungen tagtäglich von Menschen mit Diabetes eigenständig getroffen werden. "Das kann nicht belehrend von oben herab, sondern nur auf Augenhöhe gelingen!"
Highlights der DDG Herbsttagung 2022 finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.