Die fragile Patientin in der Senologie – ist weniger mehr?
Jede achte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs, viele sind im fortgeschrittenen Alter. Doch wie wirkt sich Fragilität auf die Therapieentscheidung aus? Dr. Valerie Linz gibt wertvolle Einblicke in die Behandlungsmöglichkeiten für ältere, fragile Patientinnen.
Behandlung der fragilen Brustkrebspatientin
Im Jahr 2022 erkrankten 74.500 Frauen neu an Brustkrebs. Jede 8. Frau wird im Lauf ihres Lebens an Brustkrebs erkranken, eine von sechs betroffenen Frauen erkrankt vor dem 50. und knapp zwei von fünf nach dem 70. Lebensjahr, erklärte Dr. Valerie Linz, Universitätsmedizin Mainz, auf dem FOKO Fortbildungskongress 2025 des Bundesverbands der Frauenärzte e.V. in Düsseldorf.
Linz erläuterte am Beispiel einer 73 Jahre alten Patientin mit ECOG 1 (Einschränkung bei körperlicher Anstrengung, gehfähig), welche Therapieoptionen für fragile Patientinnen infrage kommen. Die Patientin leidet an einem invasiven Mammakarzinom der rechten Brust (NST cT2, cN+, cM0; G3; ER 80%, PR 0%, HER2 1+, Ki-67 30%). Die Patientin hatte zudem eine Hypertonie Grad II, eine COPD (GOLD II), Osteoporose und eine Hypothyreose. Behandelt wurde sie mit: Valsartan/HCT 320/25 mg, Berodual N Dosier-Aerosol, L-Thyroxin 100 µ, Kalzium + Vitamin D und Alendronat 70 mg. Die Patientin ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und drei Enkel.
Als Therapieoptionen beim invasiven Mammakarzinom kommen infrage:
- OP – adjuvante Chemotherapie – Radiatio – endokrine Therapie
- neoadjuvante Chemotherapie – OP – Radiatio – endokrine Therapie
- endokrine Therapie, keine OP
- OP – Verzicht auf Radiatio – endokrine Therapie
- OP – Radiatio – endokrine Therapie
Die Risikoeinschätzung PREDICT zeigt: 84% der Frauen mit einem solchen Mammakarzinom überleben bei allen Therapieoptionen mindestens 5 Jahre, 16% sterben.
Linz erinnerte daran, dass Fragilität oder Gebrechlichkeit als Zustand verminderter physiologischer Reserven definiert ist, der aus kumulativen Defiziten in mehreren physiologischen Systemen resultiert und zu einer verminderten Widerstandsfähigkeit gegenüber Stressfaktoren führt.
Die Anwendung dieser Definition ist vor allem bei älteren onkologischen Patienten relevant. Ein geriatrisches Assessment gilt hier als Goldstandard. Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) empfiehlt ein geriatrisches Assessment ab 65 Jahren, die European Society of Breast Cancer Specialists und die International Society of Geriatric Oncology (EUSIOMA-SIOG) empfehlen ein geriatrisches Assessment ab 70 Jahren und die deutschen Leitlinien empfehlen ein solches Screening ab 75 Jahren.
Vorteile des geriatrischen Assessments
Ein geriatrisches Assessment führt zu niedrigeren Toxizitäts- und Komplikationsraten, es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Behandlung abgeschlossen werden kann und führt zu einer verbesserten körperlichen Funktionsfähigkeit, erklärte Linz.
Es setzt sich zusammen aus:
- Schätzung der (nicht krebsbedingten) Lebenserwartung
- Vorhersage der Toxizität der Chemotherapie (z.B. CARG)
- Funktionsbewertung: Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL)
- Bewertung der Komorbidität (z.B. Charlson-Komorbiditäts-Index)
- Screening auf Stürze
- Screening auf Depressionen (z.B. Geriatrische Depressionsskala)
- Screening auf kognitive Beeinträchtigung (z.B. Mini-Cog)
- Screening auf Mangelernährung
Infrage kommen dafür beispielsweise:
- Comprehensive Geriatric Assessment (cGA): zeitaifwändig
- Geriatric Assessment (GA), z.B. Practical Geriatric Assessment
- Geriatric 8: wenig zeitaufwändig, mäßige Sensitivität und Spezifität, gute Vorhersage der 1-Jahres-Mortalität
Für das Pre-Screening bietet der G8-Fragebogen einen Cut-off-Wert von ≤ 14 Punkten als Indikator für Fragilität. Das Sterberisiko der 73 Jahre alten Patientin liegt in den nächsten fünf Jahren zwischen 9 und 15%, in den nächsten 10 Jahren zwischen 34 und 43%.
Die „rüstige ältere Patientin“ (Lebenserwartung > 5 Jahre und akzeptable Komorbidität) wird leitliniengerecht behandelt. Eine Studienteilnahme wird empfohlen, denn ältere Patientinnen werden in den meisten Studien nicht eingeschlossen und sind entsprechend unterrepräsentiert.
Bei der Therapie der „gebrechlichen älteren Patientin“ (Lebenserwartung < 5 Jahre, erhebliche Komorbiditäten) kommt eine reduzierte Standardtherapie infrage. Die Therapieoptionen sehen wie folgt aus:
- keine Brustoperation hinsichtlich Lebensverlängerung (endokrine Therapie erwägen)
- Brust-OP zur lokalen Kontrolle
- Keine Axilla-OP bei cN0
- alleinige endokrine Therapie
- Verzicht auf endokrine adjuvante Therapie bei BEO und Radiotherapie
- Verzicht auf Radiotherapie bei pT1, pN0, R0, ER/PR-positiv, HER2-negativ, endokrine adjuvante Therapie
- Verzicht Radiotherapie bei p T2-3, ER/PR-positiv, HER2-negativ, endokrine adjuvante Therapie
Chemotherapien und neoadjuvante endokrine Therapien
Bei Chemotherapien für die ältere Patientin empfiehlt die aktuelle S3-Leitlinie Mammakarzinom Anthrazyklin- und/oder taxanbasierte Kombinations- oder Sequenz-Regime bevorzugt einzusetzen (CAVE: Kardiotoxizität). Denn Monochemotherapien sind insgesamt weniger wirksam. Während neodadjuvante Chemotherapien mit höheren Komplikationsraten bei älteren Patienten assoziiert sind, sind neoadjuvante endokrine Therapien mit einer geringeren Toxizität verbunden. Sie können für ältere Patientinnen mit ER+-Mammakarzinom genutzt werden, die nicht für die primäre operative Therapie geeignet sind. Liegt die Lebenserwartung bei ≥ 5 Jahren, ist eine Operation der primären endokrinen Therapie vorzuziehen. Liegt die Lebenserwartung hingegen bei ≤ 5 Jahren, sollte eine endokrine Therapie gegebenenfalls bevorzugt werden, wenn eine OP zu riskant erscheint.
„Prinzipiell gelten für die ältere Patientin die gleichen Therapieempfehlungen wie für die jüngere Patientin, allerdings unter Berücksichtigung biologischer, körperlicher, psychologischer und behandlungsbedingter Faktoren sowie des geriatrischen Assessments“, resümiert Linz. Zur Einschätzung der Fragilität stehen einfache Tests wie der G8 zur Verfügung, zur Einschätzung der Überlebenswahrscheinlichkeit Tests wie PREDICT und für die Einschätzung der Therapietoxizität Kalkulatoren wie CARG.
- FOKO Fortbildungskongress 2025 BVF Akademie, Düsseldorf, CCD Stadthalle, 13. -15. März 2025
- https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Brustkrebs/brustkrebs (neu)
- https://breast.predict.cam/tool (PREDICT)
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23026829/ (Assessment)
- https://eprognosis.ucsf.edu/leeschonberg.php (Schätzung)
- https://www.mycarg.org/?page%20id=2405 (CARG)
- https://www.mdcalc.com/calc/3917/charlson-comorbidity-index-cci (Charlson-Komorbiditäts-Index)
- https://www.asco.org/news-initiatives/current-initiatives/cancer-care-initiatives/geriatric-oncology/resources (Practical Geriatric Assessment)
- https://www.mdcalc.com/calc/10426/g8-geriatric-screening-tool (Geriatric 8)
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22250183/ (Indikator)
- https://register.awmf.org/assets/guidelines/032-045OLl_S3_Mammakarzinom_2021-07.pdf (S3-Leitlinie)
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27367583/ (geringeren)