Erhalt der Fertilität bei Krebs – Chancen und Herausforderungen
Jährlich erkranken über 15.000 junge Frauen in Deutschland an Krebs, doch nur wenige erhalten eine Beratung zum Fertilitätserhalt. Prof. Dr. Nicole Sänger stellt aktuelle Methoden vor und präsentiert ermutigende Studienergebnisse.
Fertilitätserhalt bei Krebs: Schwanger werden ohne erhöhtes Rezidivrisiko
Mehr als 15.000 Mädchen und Frauen zwischen 15 und 40 Jahren erkranken hierzulande pro Jahr an Krebs. Jedoch erhalten weniger als 10% von ihnen eine Beratung und noch weniger eine Behandlung, um Eizellen oder Ovargewebe durch eine Kryokonservierung zu retten. Prof. Dr. Nicole Sänger, Direktorin der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Universitätsklinikum Bonn, stellte auf dem FOKO Fortbildungskongress 2025 des Bundesverbands der Frauenärzte e.V. in Düsseldorf die Chancen und Herausforderungen des Fertilitätserhalts bei Krebs vor1. State of the Art bei Patientinnen sind folgende Verfahren:
- Kryokonservierung von Oozyten
- Kryokonservierung von Ovargewebe
- Transposition der Ovarien
- Applikation von GnRH Analoga
Zu den Folgen von Chemotherapie und Strahlentherapie gehören unter anderem DNA-Strangbrüche, die Schädigung des Zytoskeletts, eine gesteigerte Apoptose, mehr oxidativer Stress und die Fibrosierung des kortikalen Stromas und der kortikalen Kapillaren. Die vorzeitige Ovarialinsuffizienz oder die Zeugungsunfähigkeit stellen sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Partner eine sehr belastende Situation dar. Es ist deshalb essenziell, vor Beginn einer onkologischen Therapie Patientinnen mit dem Wunsch nach Fertilitätserhalt in der Reproduktionsmedizin zur Beratung und gegebenenfalls Therapie vorzustellen, betonte Sänger.
Plattform FertiTOX soll Daten zur Gonadotoxizität von Krebstherapien liefern
Bislang gibt es nur sehr wenige Daten über die Risiken bestimmter Krebstherapien und die Notwendigkeit von Behandlungen zur Erhaltung der Fruchtbarkeit. Die Plattform FertiTOX soll das ändern und präsentiert systematisch geprüfte veröffentlichte Daten zur Gonadotoxizität sowie prospektiv erhobene Daten, die in drei Ländern von rund 60 Zentren in Deutschland, der Schweiz und Österreich gesammelt werden. Aus Deutschland sind 19 Zentren dabei.
Die Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe wegen schädigender Therapien hat der G-BA mit Beschluss vom 16.07.2020 als Kassenleistung etabliert. Patienten, die seit dem 1. Juli 2021 solche Leistungen in Anspruch nehmen wollen, müssen dazu obligatorisch eine Beratung durch die erstbehandelnden Onkologen erhalten.
Mit Beschluss vom 18. August 2022 hat der G-BA den bisherigen Anspruch für gesetzlich Versicherte ergänzt: Zusätzlich zu Ei- oder Samenzellen kann nun auch Eierstockgewebe entnommen und in flüssigem Stickstoff eingefroren werden. Auch hier ist eine Beratung obligatorisch, allerdings können Universitätskliniken diese in der Regel nicht abrechnen und die Transplantation des Gewebes ist nicht inbegriffen. Die Kryokonservierung von Eierstockgewebe ist derzeit erst für Mädchen und Frauen ab der ersten Regelblutung möglich. Die „Ruhigstellung“ der Eierstöcke während der Chemotherapie mit einem GnRH-Agonisten ist derzeit noch eine Selbstzahlerleistung.
Noch keine Kassenleistung ist derzeit die Kryokonservierung von Keimzellgewebe bei jungen Mädchen, bei denen die Regelblutung noch nicht eingesetzt hat. Wegen der noch als experimentell einzustufenden Studienlage ist unklar, ob sich das medizinisch-wissenschaftliche Konzept zur Kryokonservierung von Eierstockgewebe bei erwachsenen Frauen auch auf diese Gruppe übertragen lässt. Die wissenschaftliche Datenlage zur Kinderwunschbehandlung und zur Kryokonservierung von Keimzellen und Keimzellgewebe entwickelt sich sehr schnell, die Reevaluation durch den G-BA steht jedoch noch aus.
Schwangerschaft nach Brustkrebs: kein erhöhtes Rezidivrisiko
Dass eine fertilitätserhaltende Therapie nicht zu prognostischen Nachteilen führt, zeigen die Ergebnisse der POSITIVE-Studie. Frauen mit früherem Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs können ihre endokrine Therapie für bis zu 24 Monate unterbrechen, um schwanger zu werden. Diese vorübergehende Unterbrechung war nicht mit einem erhöhten Risiko für Brustkrebs oder Fernrezidive verbunden.
Auch ein systematisches Review und die Meta-Analyse retrospektiver Kohortenstudien liefern aktuelle Hinweise darauf, dass eine Schwangerschaft bei Patientinnen mit einer Vorgeschichte von Hormonrezeptor-positivem invasivem Brustkrebs im Frühstadium sicher scheint und sich nicht nachteilig auf die Prognose auswirkt. „Eine Schwangerschaft verschlechtert die Prognose nicht“, betonte Sänger.
Eine aktuelle Studie aus den Niederlanden hat untersucht, wie die Reproduktionsergebnisse von Patientinnen aussehen, die für die Fertilitätserhaltung Eizellen oder Embryonen kryokonserviert haben. Die Ergebnisse zeigen, dass nach 10 Jahren die Nutzungsrate für einen Schwangerschaftsversuch mit kryokonservierten Eizellen oder Embryonen bei 25,5% und die kumulative Lebendgeburtenrate nach Embryotransfer bei 34,6% pro Patientin lag.
Fertilitätserhalt bietet einige Chancen, doch Herausforderungen bleiben
Sänger sieht in der Behandlung zum Fertilitätserhalt einige Chancen: Die Möglichkeit einer Schwangerschaft mit eigenen Keimzellen ohne Risikoerhöhung für ein Rezidiv. Auf Plattformen wie FertiTOX wird die Toxizität von Krebstherapien evaluiert, Patienten erhalten eine individuelle Beratung und Therapie, neue Therapiekonzepte wurden implementiert und neue Verfahren werden erprobt.
Ende Januar 2025 wurde beispielsweise in Brüssel erstmals einem unfruchtbaren Mann, der sich als Kind einer Chemotherapie unterziehen musste, nach 16 Jahren kryokonserviertes unreifes Hodengewebe eingesetzt. Der Eingriff war erfolgreich, der Patient erholte sich gut. In einem Jahr wird das Team prüfen, ob reife Spermien vorhanden sind. Gleichwohl, so Sänger, bleibe die Vermeidung von Übertherapie, die gerechte Finanzierung und die Ausweitung der Therapieangebote eine Herausforderung.
- FOKO Fortbildungskongress 2025 BVF Akademie, Düsseldorf, CCD Stadthalle, 13. – 15. März 2025
- https://www.fertitox.com/ (FertiTOX)
- https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/878/ (G BA-Beschluss)
- https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1066/ (Beschluss)
- https://fertiprotekt.com/patienten/fertilitaetsprotektion/ (Universitätskliniken)
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37133584/ (POSITIVE)
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37879234/ (Review)
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33117711/ (Studie)
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39479806/ (Studie)
- https://www.vub.be/en/news/world-first-testicular-tissue-transplant-aims-restore-fertility-in-man-after-childhood-cancer (erstmals)