Schmerzen entstehen, verändern und entwickeln sich im Leben entlang bio-psycho-sozialer Ursache-Wirkungskreise. Nicht immer sind diese Ursachen und Zusammenhänge für den Patienten offen sichtbar oder zugänglich, was die Therapie erschweren kann. Um einen individuellen Zugang zu einer Behandlung zu ermöglichen, bedürfen Patienten Informationen über die Ursache-Wirk-Beziehungen, die dem Schmerz zugrundeliegen. Die Edukation der Patienten ist deshalb eine nötige Grundvoraussetzung für eine gelingende Therapie. Und nicht vergessen: Das Patientenrechtegesetz definiert einen rechtlichen Anspruch der Patienten auf Information und Aufklärung. Mit dem schnellen Aushändigen des Infoblattes ist es eben nicht getan!
Die Statistiken sprechen eine eineindeutige Sprache: Während sich 93% der Patienten wünschen, umfassend und verständlich vom Arzt oder Therapeuten informiert zu werden, entsprechen lediglich 30% der Ärzte überhaupt diesem Wunsch.
Auf der anderen Seite jedoch versteht nahezu jeder zweite Patient nicht, was der Arzt/die Ärztin dort überhaupt erklärt. Über die Edukation wird die Schmerzphysiologie für die Patienten nahbar und verständlich. Dies führt erwiesenermaßen zur Angstreduktion und zu einer ersten Symptom-Linderung. Information hat somit eine therapeutische Potenz.
Kommunikation zwischen zwei Gesprächspartnern läuft bekanntlich verbal und non-verbal ab. Wichtig ist also nicht nur, was gesagt wird, sondern vor allem auch, wie der Gegenüber es aufnimmt und verstehen "will". Auf beiden Seiten des Tisches gibt es jedoch Vorurteile, die sich non-verbal als Sperre zwischen Arzt und Patienten präsentieren können.
Der Patient beispielsweise glaubt fest daran, dass Schmerz immer etwas Körperliches ist, was der Arzt heilen soll. Umso größer ist dann die Skepsis, wenn der Arzt plötzlich von Psychotherapie spricht, "denn im Kopf sei doch schließlich alles ok", empört sich dabei so mancher Patient.
Ärzte wiederum, die befinden, dass einem Patienten doch nichts fehle, fühlen sich schnell ihrer Zeit beraubt und verstehen ganz einfach die Ängste und Symptome des organisch gesunden Patienten nicht.
Am Ende wird sich der Patient/die Patientin zurückgewiesen fühlen. In Ermangelung wirksamer Hilfe beim Arzt wird er/sie schließlich – so die Einschätzung der Situation seitens vieler chronischer Schmerzpatienten – zum Psychotherapeuten "abgeschoben". Die Patienten schotten sich ab, werden regelrecht im Alltag unsichtbar und werden selbst beim Arzt nicht mehr vollumfänglich wahrgenommen – eine nicht besonders therapiefreudige Ausgangssituation, oder?
Das große Ziel im Umgang mit diesen Patienten ist es daher, ihnen offen zu begegnen und auf diese Weise den Patienten/die Patientin zum Sich-öffnen zu ermuntern. Dafür bedarf es einer warmherzigen, wahrnehmenden und angstnehmenden Atmosphäre. Für Ärzte hat eine solche Herangehensweise ebenfalls Vorteile. Studien belegten nämlich, dass Ärzte mit hoher Gesprächsführungskompetenz im Alltag selbst auch zufriedener und glücklicher sind.
Für die Informationsvermittlung sollten Ärzte einfache Worte wählen, Fachbegriffe sind anschaulich zu ersetzen. Diagramme sollten stets aufbauend erklärt werden und nicht gleich als Komplett-Schaubild.
Für das Patientengefühl des Verstandenwerdens ist es sehr wichtig, das im Gespräch als Grundbotschaft gilt, dass:
Edukationshilfen unterstützen, um die Botschaften und Informationen an die jeweiligen PatientInnen zu bringen. Dazu zählen beispielsweise Boschüren, Flyer, das Internet, computergestützte Lernprogramme, Bücher und Apps.
Eine Grundlage, die Schmerzpatienten verstehen sollten, ist, dass Schmerz nach dem bio-psycho-sozialen Modell auf allen diesen Ebenen entstehen, gefördert und auch behandelt werden kann. Körper (Soma), Geist (Kognition), Seele (Gefühle) und das soziale Umfeld arbeiten dabei Hand in Hand. So ist beispielsweise bekannt, dass Trauer und Depressionen das Immunsystem beeinflussen und die Infektabwehr verringern können. Und wie entsteht nun aus solchen Zusammenhängen Schmerz?
Auch hierfür liefert das bio-psycho-soziale Modell einen Erklärungsansatz: Etwas tun wollen, über das Leben tagein tagaus nachzugrübeln oder auch immer nur aktiv zu sein, führt in allen Fällen dazu, dass sich Muskeln anspannen. Gleichermaßen können aber auch Gefühle die Muskelspannung erhöhen, denken Sie nur an Angst oder Wut. Selbst die Kindheit und frühe traumatische Erfahrungen im Leben können zu Muskelspannungen bis hin zur Sperre führen.
Das "Fass der Spannungen" verdeutlicht den Patienten sehr schön, wie sich solche Spannungen und deren Ursachen aufstauen können. So gibt es eine lebensgeschichtlich bedingte Grundspannung, auf die die Arbeit, der Ärger und auch die Angst aufsetzen, solange, bis das Fass überlaufen muss – es entstehen dann Symptome, die Schmerzen. Chronische Schmerzen entstehen am Ende dadurch, dass die ständige Muskelspannung durch Überlastung und Stress zu Erschöpfung, Sorgen und Unruhe führen. Diese verstärken zusätzlich die Muskelspannung, Nerven sensibilisieren immer weiter und das Schmerzempfinden setzt, aufgrund der niedrigeren Schmerzschwelle, sehr viel früher ein. Der Dauerschmerz entsteht. Dieser Dauerschmerz wird anschließend zum echten chronischen Schmerz, indem Patienten sich zurückziehen, sich schonen, schlussendlich depressiv sein können und resignieren.
Um Patienten aus dem Teufelskreis der sich selbstverstärkenden Schmerzen herausholen zu können, bedarf es der angewandten sprechenden Medizin kombiniert mit multimodaler Therapie. Dies bedeutet, dass es Ärzten, zusammen mit Physiotherapeuten, Psychotherapeuten und anderen besser gelingt, die Patienten durch Edukation sich öffnen zu lassen und der anschließenden Behandlung zugänglich zu machen.
Quelle:
WS14 "Ich bilde mir den Schmerz doch nicht ein!? – Bio-psycho-soziale Zusammenhänge von Schmerz erklären – aber wie?" (H. Nobis); Schmerzkongress 2018, Mannheim