Nicht jeder Mensch, der irgendwann einmal durch einen erhöhten Blutzucker- oder HbA1C-Wert auffällt oder stark übergewichtig ist, entwickelt später auch einen Typ-2-Diabetes. Mit einer neuen Klassifikation in sechs Clustern wird jetzt versucht, das individuelle Risiko besser einzuschätzen.
Nach der bisherigen Definition liegt ein Prädiabetes bei einem pathologischen oralen Glukosetoleranztest (2-h-Wert 140–199 mg/dl), einem erhöhten Nüchternblutzucker (100–126 mg/dl) oder einem HbA1C-Wert zwischen 5,7 und 6,4 % vor. Die jährliche Konversionsrate zu einem manifesten Typ-2-Diabetes liegt hier bei 5–10 % und auch bei prädiabetischer Stoffwechsellage können sich bereits prädiabetische Folgeerkrankungen entwickeln. Bisher fehlten aber Parameter, mit denen sich die individuelle Prognose besser vorhersagen lässt.
Um hier eine bessere Einschätzung zu erreichen, nutzten Robert Wagner von der Universität Tübingen und seine Arbeitsgruppe die Ergebnisse der TUEF/TULIP-Studie (Tübinger Familienstudie/Tübinger-Lebensstil-Interventions-Programm). In dieser Studie werden seit 2003 899 Personen nachverfolgt, die aufgrund von auffälligen Blutzuckerwerten, einer positiven Familienanamnese, einem erhöhten BMI oder einem Schwangerschaftsdiabetes in der Vorgeschichte ein erhöhtes Diabetesrisiko haben. Bei allen TeilnehmerInnen war zu Beginn ein oraler Glukosebelastungstest, eine MRT-basierte Bestimmung des Körperfetts und eine Protonen-MR-Spektroskopie zum Fettgehalt der Leber durchgeführt worden.
Diese Menschen sind zwar übergewichtig, haben aber eine durchschnittliche Insulinsensitivität und eine adäquate Insulinsekretion. Die Glukosetoleranz ist normal.
Diese Personen sind normalgewichtig und haben einen normalen Glukosestoffwechsel bei guter Insulinsensitivität.
Diese Menschen sind übergewichtig bis adipös, bei moderat reduzierter Insulinsensitivität und bereits erniedrigter Insulinsekretion und prädiabetischer Stoffwechsellage. Hinzu kommt ein erhöhtes genetisches Risiko für einen Typ-2-Diabetes. Es besteht (im Vergleich zu Cluster 1) ein um den Faktor drei erhöhtes Risiko für einen Typ-2-Diabetes und ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.
Es liegt eine (überwiegend subkutane) Adipositas vor – bei guter Insulinsensitivität, adäquater Insulinsekretion und normaler Glukosetoleranz. Man spricht auch von "metabolisch gesunder Adipositas".
Diese PatientInnen sind nicht nur adipös, auch das Leberfett ist stark erhöht. Es liegt eine insulinresistente Fettleber, eine verminderte Insulinsekretion und ein Prädiabetes vor. Das Risiko für einen manifesten Diabetes ist um den Faktor 5 erhöht und es besteht ein hohes kardiovaskuläres Risiko.
Auch diese PatientInnen sind adipös mit einem hohen Anteil von viszeralem Fett. Auffällig ist vermehrtes Nierenhilusfett. Es liegt eine Insulinresistenz, eine noch normale Insulinsekretion und eine normale Glukosetoleranz vor. Das Risiko für einen manifesten Typ-2-Diabetes ist vergleichsweise niedrig – die PatientInnen haben aber ein deutlich erhöhtes Risiko für eine diabetische Nephropathie schon vor der Manifestation des Typ-2-Diabetes.
Die Einteilung der Cluster konnten bei den 6.810 TeilnehmerInnen der britischen Whitehall 2-Kohorte mit einer Beobachtungszeit von mehr als 16 Jahren bestätigt werden.
Die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Clustern könnte in Zukunft auch Auswirkungen auf die Wahl von Präventionsmaßnahmen haben. Bei Personen mit Subtyp 3 würden Ausdauersport und eine Kalorienreduktion zum Abbau des viszeralen Fettgewebes möglicherweise die Manifestation eines Typ-2-Diabetes verhindern – bei Subtyp 5 ist eine intensivierte Diät und Lebensstilintervention indiziert. Bei Menschen mit Subtyp 6 könnte eine frühzeitige Therapie auch bei noch normalen Blutzuckerwerten angezeigt sein.
Quelle:
Wagner, R et al; Pathophysiology-based subphenotyping of individuals at elevated risk for type 2 diabetes