Eine Studie der CODA-Kollaboration1 hat die Ergebnisse einer antibiotischen Behandlung der unkomplizierten Appendizitis mit der chirurgischen Therapie verglichen.2 Dabei wurden deutlich schwerer erkrankte Patienten berücksichtigt, als das in früheren Vergleichsuntersuchungen der Fall gewesen war. Es zeigte sich, dass die antibiotische Behandlung der akuten unkomplizierten Appendizitis der operativen Therapie bezüglich des primären Behandlungsergebnisses nach 30 Tagen nicht unterlegen ist.
Die unkomplizierte Appendizitis ist eine Erkrankung, deren Behandlung seit vielen Jahrzehnten fest in der Hand der Chirurgen liegt. Dennoch gab es bereits seit den 1950er Jahren immer wieder Untersuchungen, ob nicht auch eine konservative Therapie mit Antibiotika bei der Erkrankung erfolgreich sein könne. Die jüngste derartige Studie, die hier besprochen wird, erschien am 5. Oktober im New England Journal of Medicine und veranlasste den Mitherausgeber des traditionsreichen Wissenschaftsmagazins, Danny Jacobs, immerhin dazu, ihr sein Editorial zu widmen.3
Die umfangreiche nicht-verblindete, randomisierte Multicenter-Studie (1.552 Teilnehmer, davon 414 [27 %] mit Appendikolith) war auf den Nachweis der Nicht-Unterlegenheit der antiobiotischen Behandlung und ursprünglich auf eine Nachbeobachtungszeit von einem Jahr ausgelegt.2 Jeweils 776 Patienten erhielten Antibiotika bzw. wurden operiert [96 % Laparoskopien]). Die durchgeführte Antibiose folgte den Richtlinien der US-amerikanischen Surgical Infection Society.4 Angesichts der Covid-19-Pandemie wurde die Untersuchung jetzt vorzeitig bereits nach 90 Tagen zwischenausgewertet, um Handlungsoptionen bei möglicherweise eingeschränkter Verfügbarkeit von Operationskapazitäten bewerten zu können. Die Studie wird jedoch fortgesetzt.
Das Behandlungsergebnis nach 30 Tagen wurde anhand des etablierten European Quality of Life–5 Dimensions (EQ-5D)-Fragebogens erfasst. Als weitere Messgrößen wurden darüber hinaus auch Komplikationen der Behandlung erfasst, bei denen die Antibiotikatherapie deutlich schlechter abschnitt als die chirurgische Behandlung.
Tatsächlich ergab die Studienauswertung bei Berücksichtigung auch der beobachteten unerwünschten Ereignisse ein komplexeres Bild, als die Bewertung des Gesundheitszustands nach 30 Tagen allein vermuten ließ. So ergab sich nach der bisherigen Nachbeobachtungszeit von 90 Tagen, dass 29% der Patienten der Antibiotika-Gruppe zwischenzeitlich chirurgisch appendektomiert worden waren. Bei diesen Patienten hatte die Antibiose also nur vorübergehenden Erfolg gezeigt, und sie waren einer chirurgischen Behandlung zugeführt worden.
Die Rezidivrate war innerhalb der Patienten mit Antibiotikatherapie insbesondere bei denjenigen Studienteilnehmern erhöht, bei denen ein Appendikolith nachgewiesen worden war (Rezidivrate: 41% mit vs. 25% ohne Appendikolith). Darüber hinaus wiesen die Patienten der Antibiotika-Gruppe eine deutlich höhere Komplikationsrate auf als operierte Patienten (8,5% vs. 3,5%). Das schlug sich auch in einer höheren Wiederaufnahmerate während der 90-tägigen Studiendauer nieder. 9% der antibiotisch behandelten Patienten gegenüber 4% der operierten Patienten wurden erneut vorstellig.
Danny Jacobs, der Mitherausgeber des New England Journal of Medicine, lässt es in seinem Editorial dann auch nicht an Klarheit fehlen: Er würde jedem Patienten mit einer unkomplizierten Appendizitis auch weiterhin zu einer chirurgischen Therapie raten.3 Zur Begründung führt Jacobs nicht nur an, dass mit der chirurgischen Entfernung der Appendix jedes Rezidiv der Erkrankung ein für alle Mal ausgeschlossen sei. Zusätzlich erlaube die chirurgische Therapie auch einen – wenn auch kurzen und beschränkten – Einblick in den Bauchraum. So wurden im Rahmen der Studie insgesamt neun Neoplasien entdeckt, davon sieben unter den Appendektomie-Patienten, jedoch – per Bildgebung – nur zwei unter der gleichen Anzahl von Antibiotika-Patienten. Für eine antibiotische Behandlung der unkomplizierten Appendizitis spreche hingegen die kürzere Krankschreibungsdauer von 5,26 Tagen gegenüber 8,73 Tagen bei operierten Patienten.
Angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie schränkt Jacobs sein klares Urteil jedoch entscheidend ein. Voraussetzung für eine chirurgische Behandlung der Patienten sei nämlich deren Verfügbarkeit. Und diese könne unter Pandemiebedingungen unter Umständen nicht dauerhaft gewährleistet bleiben.
Die Antibiotikatherapie hingegen sei ohne besondere Anforderungen an Personal und Infrastruktur durchführbar. Bezüglich dieser Aussage ist aus deutscher Perspektive natürlich zu berücksichtigen, dass das US-amerikanische Gesundheitssystem durch die Pandemie derzeit erheblich stärker belastet ist als das deutsche. Sollte sich die Pandemie auch hierzulande erheblich intensivieren und sollte dabei die allgemeine Verfügbarkeit von Operationskapazitäten eingeschränkt werden, stehe nach Aussage von Jacobs aber mit der Antibiotikatherapie eine durch Studien abgesicherte Alternative zur Operation zur Verfügung. Eine Alternative, die noch dazu bezüglich des primären Behandlungsresultats eine vergleichbare Qualität biete.
Dass mit der Antibiotikatherapie eine deutlich erhöhte Komplikationsrate verbunden sei, müsse unter den Bedingungen der Pandemie gegebenenfalls neu bewertet werden. Aus der Perspektive der Be- und möglichen Überlastung des Gesundheitssystems könnte sich die antibiotische Behandlung der unkomplizierten Appendizitis somit als gangbare und wichtige Alternative erweisen.
Referenzen:
1. https://becertain.org/appendicitis-study-coda
2. The CODA Collaborative; Flum DR, et al. A Randomized Trial Comparing Antibiotics with Appendectomy for Appendicitis. N Engl J Med. 2020. doi: 10.1056/NEJMoa2014320. Online ahead of print. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33017106/
3. Jacobs D. Antibiotics for Appendicitis — Proceed with Caution. N. Engl J Med. 2020. DOI: 10.1056/NEJMe2029126. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33017105/
4. Mazuski JE, Tessier JM, May AK, et al. The Surgical Infection Society revised guidelines on the management of intra-abdominal infection. Surg Infect (Larchmt) 2017; 18: 1-76. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28085573/