Im klinischen Alltag wird zum Ausschluss einer Lungenarterienembolie (LAE) immer häufiger die Computertomographie (CT) eingesetzt, da die klinischen Scoring-Systeme inkl. D-Dimere oft zu ungenau sind. Dadurch werden Patienten in vielen Fällen unnötigerweise hohen Belastungen ausgesetzt. Der kürzlich entwickelte 4PEPS-Score könnte die Notwendigkeit der CT-Angiographie zum LAE-Ausschluss zukünftig verringern.
Patienten mit Verdacht auf Lungenarterienembolie (LAE) sind das "täglich Brot" in der Notfallmedizin. Die Symptome einer LAE sind jedoch sehr unspezifisch, sodass in aller Regel auf Scoring-Systeme wie Geneva-, Wells-, oder YEARS-Score sowie die Bestimmung von D-Dimeren zurückgegriffen wird. Doch die Scores liefern oft keine sichere Aussage und erhöhte D-Dimere helfen aufgrund ihrer geringen Spezifität in der klinischen Entscheidungsfindung nicht immer weiter. Daher wird, auch zur forensischen Absicherung, in vielen Fällen eine CT-Angiographie zum LAE-Ausschluss durchgeführt. Dieses Verfahren ist zwar schnell verfügbar und äußerst sensitiv. Betroffene Patienten werden jedoch möglicherweise unnötiger Strahlung ausgesetzt und können aufgrund des Kontrastmittels eine allergische Reaktion und Nierenversagen entwickeln. Ein internationales Forschungsteam hat daher ein neues Scoring-System entwickelt, mit dem sich unnötige CT- Angiographien reduzieren lassen.
Dazu nutzte das Team retrospektive Daten von über 12.000 PatientInnen aus drei unterschiedlichen Notaufnahmen in Frankreich, Belgien und den USA. Bei allen bestand der Verdacht auf eine LAE. Die ForscherInnen unterteilten die Population in eine Derivationskohorte (ca. 5.500 Patienten), mit der der neue Score erstellt wurde, eine interne Validationskohorte (ca. 3.700 Patienten) zur Überprüfung des Scores in der gleichen Population wie die Derivationskohorte, und in zwei externe Validationskohorten (ca. 3.000 Patienten), in denen der Score an einer neuen Population aus einem anderen Studienzentrum getestet wurde. In der Derivationskohorte waren 62% der Probanden weiblich, das Durchschnittsalter lag bei 52 Jahren und bei 11% wurde eine LAE diagnostiziert. Die beiden externen Validationskohorten unterschieden sich hinsichtlich der LAE-Prävalenz (21,5% und 11,7%).
Zur Entwicklung des Scores sammelten die ForscherInnen klinische und demographische Parameter der Patienten der Derivationskohorte, die mit der Diagnose einer LAE in Zusammenhang stehen könnten. Dann führten sie eine Regressionsanalyse durch und identifizierten insgesamt 13 Parameter, die sie in den Score integrierten: Dazu zählten ein junges bzw. höheres Alter, das Geschlecht, ein Puls unter 80 / min, das Vorhandensein einer chronischen Atemwegserkrankung, Brustschmerz und Dyspnoe, eine Östrogentherapie, eine tiefe Beinvenenthrombose in der Vorgeschichte, eine Synkope, Immobilität in den letzten 4 Wochen, eine Sauerstoffsättigung < 95%, Wadenschmerzen oder Beinödeme, und eine LAE als wahrscheinlichste Diagnose. Jeder Parameter wurde anhand seines Regressionskoeffizienten in Bezug auf die LAE-Wahrscheinlichkeit unterschiedlich gewichtet. So senkt ein Alter von unter 50 Jahren den Score um 2 Punkte, während Wadenschmerzen oder Beinödeme den Score um 3 Punkte erhöhen. Der niedrigste Score-Wert lag bei -6 Punkten, während der höchste Wert bei 22 Punkten lag. Der Score wurde "Pulmonary Embolism Clinical Probability Score (4PEPS)" genannt.
Zur Vereinfachung der Nutzung im klinischen Alltag unterteilten die Forscher den Score in vier Kategorien: Ein Score von unter 0 Punkten kann eine LAE ohne weitere Diagnostik ausschließen (klinische Prätestwahrscheinlichkeit < 2%). Mit einem Score von 0 bis 5 Punkten kann eine LAE ausgeschlossen werden, wenn die D-Dimere unter 1 µg/ml liegen (klinische Prätestwahrscheinlichkeit 2 bis 20%). Mit einem Score von 6 bis 12 Punkten kann eine LAE ausgeschlossen werden, wenn die D-Dimere unter 0,5 µg/ml bzw. altersangepasst etwas höher liegen (klinische Prätestwahrscheinlichkeit 20 bis 65%). Ein Score über 12 Punkte erfordert in jedem Fall eine weitere Bildgebung, auch bei unauffälligen D-Dimeren (klinische Prätestwahrscheinlichkeit über 65%).
Die ForscherInnen überprüfen die Genauigkeit ihres Scores mithilfe des statistischen Modells der Fläche unter der ROC-Kurve (ROC = Receiver Operating Characteristics). Der Score lieferte in beiden externen Validierungskohorten mit jeweils hoher und niedriger LAE-Prävalenz ein gutes Ergebnis von 0,78 und 0,79 (1,00 ist das Optimum). In 0,71% und 0,89% der Fälle kam es in beiden Kohorten zu falsch negativen Ergebnissen. Dies ist vergleichbar mit den gängigen Scores. Durch den Score konnten jedoch die CT-Angiographien in beiden Validierungskohorten um 21% und 19% im Vergleich zum Geneva-Score verringert werden.
Zusammenfassend zeigt sich, dass der 4PEPS-Score zukünftig eine sichere und effektive Möglichkeit zur LAE-Diagnostik in der Notaufnahme darstellen könnte, mit der zugleich unnötige CT-Bildgebungen eingespart werden könnten. Der Score besitzt jedoch noch Schwächen. So wurde er bislang nur an einem Patientenkollektiv in der Notaufnahme getestet und ist damit nicht in anderen Situationen (z. B. im Stationsalltag) anwendbar. Weiterhin ist er mit 13 Parametern sehr komplex und kann daher nicht "auf die Schnelle" berechnet werden. Vielmehr wird in den meisten Fällen ein PC mit Eingabemaske benötigt. Bevor der 4PEPS-Score im klinischen Alltag angewendet werden kann, muss er seine Relevanz noch in einer großangelegten prospektiven Kohortenstudie unter Beweis stellen.
Quellen: Roy et al. Derivation and Validation of a 4-Level Clinical Pretest Probability Score for Suspected Pulmonary Embolism to Safely Decrease Imaging Testing. JAMA Cardiology. March 3, 2021.