Eine Neuauswertung der PURE-Studie zeigt, dass der Konsum von Nahrungsmitteln mit hohem glykämischem Index bzw. hoher glykämischer Last das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und kardiovaskulären Tod um bis zu 50% erhöht.
Unserer westlicher Ernährungsstil ist geprägt von Soft-Drinks, Snacks und Fertiggerichten. Solche Nahrungsmittel lassen den Blutzucker schnell ansteigen, da sie viele einfache Kohlenhydrate enthalten, und gelten daher als ungesund. Einige Studien haben bereits einen Zusammenhang zwischen einer Ernährung reich an "schlechten" Kohlenhydraten und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten gezeigt. Nun kommt eine neue, große Beobachtungsstudie zu dem gleichen Ergebnis. Sie basiert auf den Daten der Prospective Urban Rural Epidemiology (PURE)-Studie, eine der weltweit größten Ernährungsstudien. Die PURE-Studie hat das Ziel, Ernährungsweisen zu identifizieren, die mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergehen. Im Gegensatz zu früheren Untersuchungen hat sie einen entscheidenden Vorteil: Weltweit wurden über 137.000 ProbandInnen aus 20 Ländern (von allen fünf Kontinenten) rekrutiert. Damit ist sie weitaus größer und diverser als die Vorgängerstudien.
Ein paar Fakten zum Studiendesign: Das Durchschnittsalter der StudienteilnehmerInnen lag bei 51 Jahren, 43% der ProbandInnen waren männlich, 53% lebten in einer Stadt, 21% waren RaucherInnen und 8% litten an einer kardiovaskulären Vorerkrankung. Alle TeilnehmerInnen füllten zu Beginn der PURE-Studie 28 Fragebögen zu ihrem Ernährungsverhalten aus, woraus die Nahrungsmittel identifiziert werden konnten, die die ProbandInnen regelmäßig konsumierten.
Um die Qualität der Kohlenhydrate in einem Nahrungsmittel zu bestimmen, nutzen die ForscherInnen den glykämischen Index (GI). Er gibt an, wie stark ein Nahrungsmittel den Blutzucker im Vergleich zu Glukose steigen lässt. Beispiel: Cornflakes haben einen GI von 86 %, während ein Apfel nur einen GI von 36% aufweist. Der durchschnittliche GI der Nahrungsmittel aller TeilnehmerInnen lag bei 83%. Die Forschenden teilten die Probanden dann anhand ihres individuellen GIs in 5 Gruppen ein: von einem niedrigen (76%) bis hin zu einem hohen GI (91%). Da der GI jedoch nicht die Kohlenhydrat-Dichte eines Nahrungsmittels berücksichtigt (beispielsweise hat Wassermelone einen recht hohen GI, gilt aber als gesundes Nahrungsmittel), wurde zusätzlich das Maß der glykämischen Last (GL) genutzt. Die GL berücksichtigt neben der Qualität der Kohlenhydrate auch die zugeführte Menge. Die durchschnittliche GL lag bei 281 g/Tag. Auch anhand der GL wurden die ProbandInnen in 5 Gruppen aufgeteilt.
Nach der Baseline-Visite wurden die Teilnehmer für 9,5 Jahre nachbeobachtet. Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus kardiovaskulärem Event (kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz) oder Tod jeglicher Ursache. Die ForscherInnen berechneten dann, ob der primäre Endpunkt bei Probanden mit hohem GI bzw. hoher GL häufiger auftrat. In ihrer Analyse berücksichtigten sie die üblichen demographischen und anthropometrischen Confounder.
Nach rund 10 Jahren haben 11,7% der ProbandInnen den primären Endpunkt erreicht. Davon erlitten 6,8% mindestens ein kardiovaskuläres Event und 7,3% sind an einem kardiovaskulären Ereignis verstorben. Die Gruppe mit dem höchsten GI hatte im Vergleich zur Gruppe mit dem niedrigsten GI ein 25% erhöhtes Risiko für ein kardiovaskuläres Event oder Tod (Hazard Ratio [HR]: 1,25; 95% Konfidenzintervall [95% CI]: 1,15 – 1,37). In Kombination mit zwei anderen Studien kommen die AutorInnen auf eine durchschnittliche Risikoerhöhung von 26% für kardiovaskulären Tod durch eine Diät mit hohem GI (HR: 1,26; 95% CI: 1,12 – 1,41). Das Risiko war auch bei Menschen ohne kardiale Vorerkrankung erhöht (HR: 1,21; 95% CI: 1,11 – 1,34). Bei PatientInnen mit bekannter Herz-Kreislauf-Erkrankung war es jedoch mit 51% mehr als doppelt so hoch (HR: 1,51; 95% CI: 1,25 – 1,82).
In Subgruppenanalysen zeigte sich, dass die Beziehung zwischen hohem GI und primärem Endpunkt vor allem bei übergewichtigen ProbandInnen (BMI > 25 kg/m2) ausgeprägt war (HR: 1,38; 95% CI: 1,22 – 1,55), während normalgewichtige ProbandInnen nur ein grenzwertig erhöhtes Risiko hatten (HR: 1,14; 95% CI: 1,00 – 1,30). Körperliche Aktivität, Nikotinkonsum oder die Einnahme von Blutdrucksenkern und Statinen hatte keinen Einfluss auf die Assoziation zwischen GI und primärem Endpunkt.
In Hinblick auf die GL zeigte sich nur bei Probanden mit bekannter Herz-Kreislauf-Erkrankung ein positiver Effekt auf den primären Endpunkt (HR: 1,34; 95% CI: 1,08 – 1,67), während Studienteilnehmer ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung und hoher GL kein erhöhtes Risiko aufwiesen.
"Trotz der überzeugenden Daten hat die Studie auch einige Schwächen. Die Befragung der TeilnehmerInnen mittels Fragebögen an einem einzigen Zeitpunkt ist ungenau, und ein Manko vieler Beobachtungsstudien. Dadurch wissen wir auch nicht, ob die ProbandInnen ihre Ernährungsweise im Verlauf geändert haben. Weiterhin waren die Daten für die GL nicht so eindeutig wie die für den GI. Doch gerade die GL kann ungesunde, zuckerreiche Nahrung besser identifizieren als der GI. Weitere Studien sind also angezeigt, um den bereits bestehenden Ernährungsempfehlungen, die den Konsum komplexer Kohlenhydrate betonen, mehr Nachdruck zu verleihen und sie weltweit durchzusetzen.
Quelle:
Jenkins et al. Glycemic Index, Glycemic Load, and Cardiovascular Disease and Mortality. NEJM. February 24, 2021.