Welchen Wert hat Frauengesundheit für die Kosmetikindustrie?
Die Haarglättung auf Keratinbasis hatte bei jungen Frauen in Israel zu schweren akuten Nierenschädigungen geführt. Wieso hatten diese Fälle keine weitreichenden Konsequenzen?
Glykolsäurederivate in Haarglättungsprodukten auf Keratinbasis werden jungen israelischen Frauen zum Verhängnis
In Israel enthalten die meisten Haarglättungsprodukte auf Keratinbasis Glykolsäurederivate. Diese könnten bei systemischer Absorption nephrotoxisch wirken. Die zunehmende Popularität dieser Haarstyling-Methode in den letzten Jahren stellt einen gravierenden Risikofaktor für die Gesundheit von sonst gesunden jungen Frauen dar, für den Fall, dass die Glykolsäurederivate systemisch aufgenommen wurden. Bnaya et al. beschrieben im Juli 2023 26 israelische Patientinnen, die als Folge einer "brasilianischen" Haarglättung eine akute Nierenschädigung erlitten hatten. Das Forschungsteam stellte damals die Hypothese auf, dass die in Haarglättungsprodukten enthaltene Glykolsäurederivate durch die Haut aufgenommen und anschließend von der Leber in Oxalat umgewandelt wurden.2
Für die Erstellung und Auswertung ihrer retrospektiven Studie (n = 26) erhielten Bnaya et al ihre Daten aus insgesamt 14 medizinischen Zentren Israels. Die Patientinnen hatten kurz vor Eintritt des schweren akuten Nierenversagens (ANV) eine Behandlung mit Haarglättungsprodukten erhalten (Zeitraum 2019-2022). Das Durchschnittsalter der Patientinnen lag bei 28,5 Jahren, wobei die jüngste 14 und die älteste Patientin 58 Jahre alt war. Die Patientinnen wurden durch folgende Symptomatik auffällig:
- Übelkeit
- Erbrechen
- Unterleibsschmerzen
- Kopfhautausschlag (38 Prozent der Patientinnen)
Eine Dialysepflicht trat in 12 Prozent der Fälle auf. Zwei Patientinnen ließen sich trotz alledem erneut die Haare glätten und es kam zur zweiten ANV-Episode.3
Akute Oxalat-Nephropathie durch Haarglättungsprodukt auf Keratin-Basis
Eine Nierenbiopsie war bei sieben Patientinnen durchgeführt worden. Hier zeigten sich bei 86 Prozent der untersuchten Proben intratubuläre Kalziumoxalatablagerungen. Bei 14,3 Prozent waren Mikroverkalkungen in den Tubuluszellen erkennbar gewesen. Bei 57 Prozent der Proben konnte ein interstitielles Infiltrat festgestellt werden, wobei bei allen Biopsien Anzeichen einer akuten tubulären Schädigung vorhanden waren. Diesen histologischen Ergebnissen zufolge überwog die akute Oxalat-Nephropathie. Die Forschungsgruppe stellte die Hypothese auf, dass die Aufnahme von Glykolsäurederivaten im Rahmen der Haarglättung und die anschließende Metabolisierung der Glykolsäurederivate zu Oxalat daran ursächlich beteiligt waren.2,4
Nephrotisches Syndrom durch hautaufhellende Cremes
Wirft man einen genaueren Blick auf die Geheimnisse der Schönheitsindustrie, so merkt man schnell, dass der wahre Preis von "Schönheit" die Gefährdung der Gesundheit von Frauen in jeder erdenklichen Weise ist. Und das Problem ist global betrachtet groß, auch wenn es nur wenig Aufmerksamkeit bekommt. Der Weltmarkt für Hautaufhellungsprodukte ist eine Multi-Milliarden-Dollar-Industrie. Der WHO zufolge verwenden 25-80 Prozent der Frauen in Afrika, Asien, dem Nahen Osten und der Karibik regelmäßig Produkte zur Hautaufhellung. Allein in Indien machen solche Produkte mehr als 60 Prozent des Marktes für dermatologische Produkte aus. Doch diese Produkte enthalten Inhaltsstoffe wie Quecksilber, Hydrochinon und Kojisäure. Sie werden angewandt mit dem Ziel, die Melaninkonzentration bzw. -produktion in der Haut zu verringern. Die größten Gesundheitsrisiken bringt Quecksilber mit sich. In China und in Indien werden regelmäßig Fälle von nephrotischem Syndrom in Zusammenhang mit der Verwendung solcher Produkte gemeldet. In den meisten Fällen liegt eine Phospholipase-A2-Rezeptor-negative membranöse Nephropathie (MGN) vor.5-7
Gesichtskosmetik: Giftcocktail auf der Haut für den perfekten Teint
Die am häufigsten von Frauen verwendeten Produkte sind Gesichtskosmetika. Doch diese können mit verschiedenen toxischen Elementen kontaminiert sein. Nach Absorption durch die Gesichtshaut wandern sie dann über die Blutgefäße weiter durch den Körper und können so an unterschiedlichen Orten Schaden anrichten. Im Jahr 2022 wurde eine Studie publiziert, die sich mit der Evaluierung toxischer Elemente (Arsen, Blei, Nickel, Quecksilber und Kadmium) in häufig verwendeten Kosmetika für das Gesicht (Gesichtspuder, Grundierung, Blitzcremes, Feuchtigkeitscreme, Lidschatten, Lippenstifte, Eyeliner, Rouge, Wimperntusche und Sonnenschutzmittel) auseinandergesetzt hat. Sie bestimmten unter anderem die Sicherheitsmarge (Margin of Safety, MoS) für die von ihnen erforschten Kosmetika. Die Sicherheit eines kosmetischen Mittels beruht in erster Linie auf der Sicherheit der Bestandteile, aus denen es besteht. Die Berechnung einer Sicherheitsmarge (Margin of Safety, MoS) stellt hier ein wichtiges Tool dar: Sie dient als Sicherheitspuffer, der die Sicherheit der Verbraucher gewährleisten soll. Es ist allgemein anerkannt, dass die Sicherheitsspanne mindestens 100 betragen sollte. Nur dann kann diese Substanz für die Verwendung in Kosmetika als sicher bewertet werden. Der MoS-Wert ausgewählter toxischer Elemente in allen Gesichtskosmetika - mit Ausnahme von Eyeliner – lag jedoch in der vorliegenden Studie um das 3 bis 4-fache unter dem von der WHO festgelegten Mindestwert von 100.3,8,9
Wer schön sein will muss leiden? Wo hört der Beauty-Wahn auf und fängt die menschliche Vernunft an Welchen Wert besitzen Frauen eigentlich wirklich für die Kosmetikindustrie? Es gibt unzählige wissenschaftliche Fallberichte zu unterschiedlichen Kosmetikartikeln, die zeigen, auf welche Weise diverse Kosmetika die Frauengesundheit gefährden. Der Beauty-Wahn wird Frauen bereits in jungen Jahren "aufgedrückt"- und das bereits seit Jahrzehnten. Werbeplakate sind TikTok-Influencern gewichen. Diese sollen junge Konsumenten anwerben, die möglicherweise nicht unbedingt die Inhaltsstoffe der vielversprechenden Produkte hinterfragen. Als Arzt stellt man sich die Frage, wieso weiterhin Kosmetikprodukte in den Umlauf kommen, die das Heil der Umwelt und die Gesundheit der Menschen aufs Spiel setzen? Sollte hier nicht jemand das Ganze regulieren? Ist es nicht in der Verantwortung des Staates Primäre Prävention für seine Bürger zu betreiben und sie vor gesundheitlicher Schädigung zu bewahren? Gesundheit und körperliche Unversehrtheit sind doch ein Menschenrecht: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" (Artikel 2, persönliche Freiheitsrechte).10 Der Staat ist als "vorrangiger Träger menschenrechtlicher Pflichten" dafür verantwortlich, dass die Gesundheit seiner Bürger nicht beeinträchtigt wird. Dies ist doch die Grundidee des Menschenrechts auf Gesundheit? Gilt das nicht auf für Frauen?11
- Robert T. et al. (2024). Kidney Injury and Hair-Straightening Products Containing Glyoxylic Acid. N Engl J Med. 2024 Mar 21;390(12):1147-1149.
- Bnaya A. et al. (2023). Acute kidney injury and hair-straightening products: a case series. Am J Kidney Dis 2023;82(1):43-52.e1.
- Akhtar A, Kazi TG, Afridi HI, Khan M. Human exposure to toxic elements through facial cosmetic products: Dermal risk assessment. Regul Toxicol Pharmacol. 2022 Jun;131:105145.
- Abu-Amer N. et al. (2022). Acute Kidney Injury following Exposure to Formaldehyde-Free Hair-Straightening Products. Case Rep Nephrol Dial. 2022 Jul 11;12(2):112-116.
- Meena P. et al. (2024). The unfairness of fairness creams: unveiling the toxic impact on kidneys of mercury in beauty products. Kidney Int. 2024 Sep;106(3):337-340.
- Chan TYK. et al.(2020). Nephrotic syndrome caused by exposures to skin-lightening cosmetic products containing inorganic mercury. Clin Toxicol (Phila). 2020 Jan;58(1):9-15.
- Abraham Tharakan PK. et al. (2022). Beautification Gone Awry: Membranous Glomerulonephritis Following Use of Skin Lightening Cream Containing Mercury. Indian J Dermatol. 2022 Nov-Dec;67(6):837.
- https://www.cosmedesk.com/blog/posts/safety-evaluation-of-cosmetic-ingredients-risk-characterisation/
-
https://www.sgs.com/en/-/media/sgscorp/documents/corporate/brochures/understanding-cpsr-personal-care-magazine-march-2014.cdn.en.pdf
- https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte-der-bundesregierung/75-jahre-grundgesetz/artikel-2-gg-2267590#:~:text=(1)%20Jeder%20hat%20das%20Recht,Freiheit%20der%20Person%20ist%20unverletzlich.
- https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/weltgesundheit-2020/318302/gesundheit-als-menschenrecht/#footnote-target-1