Wenn der Boden unter den Füßen wegbricht: Schwindel in der HNO

Akuter Schwindel kann die Betroffenen erheblich aus dem Gleichgewicht bringen. Das gilt auch für die Psyche: Den Boden unter den Füßen zu verlieren, macht Angst.

Wie funktioniert das Gleichgewicht?

Schwindel: ein zutiefst verunsicherndes Gefühl

Das Gleichgewicht gehört zu den vielen Körperfunktionen, die wir wie selbstverständlich hinnehmen und uns oft erst dann bewusstmachen, wenn sie nicht mehr funktionieren. Kein Wunder, dass eine plötzliche vestibuläre Krise die Betroffenen zutiefst verunsichert. Auch bei primär organischer Genese enthält sie meist eine reaktive psychische Dimension, die aus dem empfundenen Kontrollverlust resultiert. Sie kann die Symptomatik vor allem im Verlauf aufrechterhalten oder sogar verschlimmern. 

Häufige organische Gründe für eine Gleichgewichtsstörung in der HNO-Heilkunde sind Vestibularisausfälle, Morbus Menière, vestibuläre Migräne und der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPLS). Bei solchen Krisen des Gleichgewichts kann das ZNS dysfunktionale Impulse aus dem betroffenen Anteil hemmen. Was in der Akutsituation sinnvoll ist, kann auf lange Sicht zu Problemen führen: Bleibt eine "Re-Adaptation" aus, kann sich ein anhaltender Schwindel entwickeln. 

Prinzipien des "Persistent Perceptual and Postural Dizziness"

Auf diesem Erklärungsansatz beruht das Prinzip des sogenannten "Persistent Perceptual and Postural Dizziness" (PPPD). Zu den Kernkriterien gehören:

Zur primären Hemmung der organisch bedingten Störung kann eine weitere aufrechterhaltende Komponente hinzukommen, die auf denselben Prinzipien beruht: die Angst. Schwindel geht oft mit Angstgefühlen einher. Diese wiederum erhöhen im limbischen System die Schwelle für Impulse aus den Gleichgewichtsorganen. So kommt eine weitere, psychisch bedingte Hemmung hinzu.

Bleibt die Angst bestehen, kann es zu einem anhaltenden Vermeidungsverhalten kommen: Aus Angst vor dem Schwindel, den Bewegungen auslösen, regen sich die Betroffenen möglichst wenig, wodurch die erforderliche Adaptation verhindert wird – ein Teufelskreis. 

Was kann der HNO-Arzt tun?

Empfohlen werden folgende drei Maßnahmen:

1. hinreichende Untersuchung

In den meisten Fällen führen Anamnese und basale Untersuchungen zur richtigen Diagnose. Da der BPLS der häufigste organische Schwindel ist, sollte er immer mit einem Lagerungsmanöver abgeklärt werden. Zur Diagnostik einer möglichen Depressivität gehört die Frage nach den Kernsymptomen Traurigkeit, Interesse- und Antriebslosigkeit. Erste Hinweise auf eine Angststörung kann ein Vermeidungsverhalten liefern.

2. hilfreiche Erklärung

Für die Betroffenen kann es ungemein hilfreich sein, eine Erklärung für ihren als bedrohlich empfundenen Dauerschwindel zu bekommen. Das Konzept des PPPD kann dabei helfen, indem es die "doppelte Hemmung" aus organischen Impulsen und Angstreaktion erläutert. 

3. üben, üben, üben

Ziel ist es, die Patienten zum Handeln und Üben zu ermutigen, um ihre Gleichgewichtsfähigkeiten zu stärken. Ein physiotherapeutisch angeleitetes Gleichgewichtstraining (extrabudgetär zu verschreiben) kann dabei hilfreich sein. Bei einem überwiegend psychogenen Schwindel ist eine Psychotherapie mit "systematischer Desensibilisierung" Mittel der Wahl. Dabei werden die Betroffenen schrittweise mit angst- und schwindelauslösenden Reizen konfrontiert, um sich nach und nach zu habituieren. 

Dem HNO-Arzt kommt somit beim psychosomatischen Schwindel eine bedeutsame Rolle zu. Er sollte die Beschwerden sorgfältig abklären, dem Patienten die Mechanismen dahinter vermitteln und ihn zum aktiven Handeln ermutigen.
 

Quelle:

1. Schaaf H. Psychosomatischer Schwindel in der HNO-Heilkunde. Einfluss der seelischen Verfassung auf das Gleichgewichtsempfinden. HNO-Nachrichten 2024; 54 (5): 42-46.

2. Staab JP et al. Diagnostic criteria for persistent postural-perceptual dizziness (PPPD): Consensus document of the committee for the Classification of Vestibular Disorders of the Barany Society. J Vestib Res. 2017; 27(4): 191-208.