Personen mit Trisomie 21 sind anfälliger für Leukämien; dies trifft besonders für Kinder in den ersten Lebensjahren zu: So steigt das Risiko für die akute lymphatische Leukämie (ALL) zwischen dem ersten und vierten Lebensjahr um das 27-fache, für die akute myeloische Leukämie (AML) bis zum vierten Lebensjahr sogar um das 153-fache im Vergleich zur Inzidenz bei Kleinkindern ohne Downsyndrom. Der Grundstein für die malignen Erkrankungen wird aber schon vor der Geburt gelegt. So ist bekannt, dass die Chromosomenanomalie die fetale Hämatopoese durch eine genom-weite genetische und epigenetische Dysregulation stört.
Vor der manifesten myeloischen Leukämie bei Downsyndrom (ML-DS) kommt es bereits in den ersten Lebensmonaten zu einer präleukämischen Phase, die als vorübergehende myeloide Proliferation (transiente abnormale Myelopoese, TAM) bezeichnet wird. Sie beruht auf einer Mutation des GATA1-Gens (GATA1s), die zu einer fehlerhaften Entwicklung der Erythrozyten und Megakaryozyten führt. Kennzeichnend für die TAM sind zahlreiche Blasten im Blutausstrich. Die abnorme Zellentwicklung tritt nur bei Neugeborenen mit Trisomie 21 auf und ist etwa bei 27% der Kleinkinder mit Downsyndrom von der Geburt bis zum dritten Lebensmonat nachweisbar. Die TAM ist somit nur bei Personen mit Downsyndrom ein pathogenetischer Faktor für die Leukämieentstehung.
Allerdings ist dies noch nicht ausreichend, um eine AML bei Downsyndrom zu verursachen. Tatsache ist, dass es in 90% der Fälle innerhalb der ersten Lebensmonate zu einer spontanen Remission der TAM durch Zelltod oder weitere Differenzierung kommt. Nur falls weitere Mutationen vor dem vierten Lebensjahr auftreten, wird aus der transienten abnormalen Myelopoese ein persistentes Leukämierisiko und schließlich eine manifeste ML-DS. Als entscheidender Faktor bei der Pathogenese der myeloischen Leukämie gelten die Genmutationen von Cohesin- und cTCF. Diese zählen zu den häufigsten Veränderungen, die bei Kindern mit Trisomie 21 und TAM nachgewiesen wurden, welche schließlich an einer ML-DS erkrankten.
Ähnlich wie bei der Pathogenese der ML-DS, wird eine Trisomie-21-vermittelte genom-weite Störung der Genexpression in der embryonalen bzw. fetalen Entwicklungsphase für die lymphatische Leukämie verantwortlich gemacht: Es kommt zu einer gestörten Bildung insbesondere der B-Vorläuferzellen, die schließlich aufgrund postnataler Faktoren, wie etwa einer Infektion, zu einer Expansion abnorm programmierter Zellen führt. Treten im weiteren Verlauf Genmutationen (z. B. RAS, JAK2 oder cRLF2) auf, entwickelt sich ab dem 12. Lebensmonat die DS-ALL.
Der Zusammenhang zwischen Trisomie 21 und einer leukämischen Erkrankung ist ein viel erforschtes Thema. Das zunehmende Wissen rund um die Leukämogenese und die Entschlüsselung der verantwortlichen Genmutationen bei Kleinkindern mit Downsyndrom könnte möglicherweise in Zukunft zur Entwicklung eines Screeningverfahrens dienen und eine frühzeitige Diagnose und Therapie möglich machen.
Quelle:
Roberts, Irene, Prof. Dr. med., University of Oxford (England), Vortrag: Down syndrome and leukemia predisposition: An overview. Sitzung: Genetic predisposition to blood cancer (rare diseases): Leukemia predisposition in down syndrome: Focus on the clinical and biology aspects of acute megakaryoblastic leukemia (AMKL), EHA Kongress 2022, Wien, 11.06.2022.