- Albrecht K, Strangfeld A. Geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen. Innere Medizin 2023; 64:744–751. https://doi.org/10.1007/s00108-023-01484-3.
Es fängt bei der Diagnosestellung an. Bei Frauen mit systemischer Sklerose etwa dauert sie einer Untersuchung zufolge durchschnittlich ein Jahr länger als bei Männern. Das mag daran liegen, dass die Erkrankung im Frühstadium bei Männern häufig aktiver ist und dadurch eher auffällt.
Grundsätzlich präsentieren sich entzündlich-rheumatische Erkrankungen bei den Geschlechtern oft unterschiedlich. Etwa bei der Psoriasisarthritis: Hier weisen Männer eher das typische Bild einer Oligoarthritis auf, Frauen dagegen oft eine Polyarthritis. Oder bei der Spondyloarthritis: Während Männer häufiger und früher charakteristische radiologische Veränderungen und erhöhte Entzündungsmarker zeigen, sind bei Frauen vermehrt periphere Gelenke betroffen.
Aber nicht nur das. Auch die ärztliche Erwartungshaltung kann bei männlichen und weiblichen Patienten unterschiedlich sein, wie eine spanische Studie eindrücklich zeigt. Bei vergleichbaren Symptomen dokumentierten die behandelnden Ärzte bei Männern häufiger Rückenschmerzen, bei Frauen dagegen periphere Symptome.
Dass Geschlechtsunterschiede nicht nur bei Patientinnen und Patienten zutage treten, sondern auch bei Ärzten, belegt eine weitere Untersuchung aus Kanada, bei der Hausärztinnen schneller in die Fachsprechstunde überwiesen als ihre männlichen Kollegen. Eine gute rheumatologische Versorgung könnte demnach auch vom Geschlecht der Mediziner abhängen.
Zurück zu den Betroffenen. Wenn die Diagnose einer rheumatischen Erkrankung bei einer Frau endlich steht, geht es mit der Ungleichheit der Geschlechter weiter. Frauen werden oft später und in niedrigerer Dosierung behandelt als ihre männlichen Leidensgenossen. Das Therapieziel einer minimalen Krankheitsaktivität bzw. Remission erreichen sie deutlich seltener. Zudem treten Nebenwirkungen bei ihnen fast doppelt so häufig auf, was mit der Pharmakokinetik und dem Körpergewicht zusammenhängen könnte. Doch es gibt noch zu wenig genderspezifische Forschung, die diesen eklatanten Differenzen nachspürt.
Wie wichtig sie wäre, zeigt auch die subjektive Krankheitsbelastung, die bei Frauen ausgeprägter ist als bei Männern. Sie haben stärkere Schmerzen, eine höhere Krankheitsaktivität und größere Einschränkungen in Lebensqualität und sozialer Teilhabe. Dahinter könnten zum Teil auch soziokulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung von Schmerzen und im Umgang mit der Erkrankung stecken, was aber bislang hypothetisch bleibt. Dabei sind gerade die Funktionsverbesserung und der Erhalt von Lebensqualität wichtige Therapieziele in der Rheumatologie. Diese gendersensiblen Aspekte erfordern womöglich eine gezielte Therapieauswahl für beide Geschlechter.
Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, was Symptomatik, Diagnostik und Therapie anbelangt. Diese Differenzen bilden sich im klinischen Alltag allerdings noch nicht adäquat ab. Der genderspezifische Forschungsbedarf in der Rheumatologie ist groß.