Nach dem letzten Blogbeitrag zur perioperativen Antibiotikaprophylaxe erreichte uns der Kommentar eines Arztes, der danach fragte, ob es Studien dazu gibt, welche Auswirkungen beispielsweise verzögerte antibiotische Single Shots haben? Oder auch, ob diese am Ende nicht viel weniger nützen? Spannende Fragen!
Die folgenden vier aktuellen Arbeiten aus 2019 möchten wir Ihnen allerdings nicht vorenthalten. Insgesamt betrachtet, fällt auf, dass es das eine Protokoll für alle Eventualitäten natürlich nicht geben kann. So hängen die Notwendigkeit für eine Antibiose, ebenso wie die Therapiedauer und die Auswahl eines geeigneten Antibiotikums vor allem von der Art des urologischen Eingriffes und von der jeweiligen örtlichen Resistenzsituation ab.
Es stehen etwa auf der einen Seite der rationale Antibiotikagebrauch und strikte Regeln zur Resistenzvermeidung. Auf der anderen Seite jedoch müssen im Praxisalltag die Leitlinienempfehlungen an die jeweilige Resistenzsituation angepasst werden.
In einer multizentrischen Studie untersuchten ForscherInnen unlängst die Rate der Harnwegsinfektionen (HWI) in Abhängigkeit von der Bakterienspezies, der Art und Dauer der Antibiotika-Anwendung sowie von den Risikofaktoren bei radikaler Zystektomie.1 Von den dabei beobachteten 217 PatientInnen entwickelten 19,4% postoperativ eine HWI, von denen wiederum 50% sogar in eine Urosepsis mündeten.1 Größter Risikofaktor für HWI schien darüber hinaus eine kontinente Harnableitung zu sein.1
Interessant war zudem, dass eine kurze Dauer einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe nicht mit einem höheren HWI-Risiko assoziiert war. Als die am häufigsten nachgewiesene Bakterienspezies fand sich Enterococcus spec. (25,7%), was jedoch nicht über das derzeit empfohlene Antibiotikaregime zur HWi-Vermeidung abgedeckt wurde.1
Die StudienautorInnen schlussfolgerten aus diesen Daten, dass
Die Notwendigkeit für eine Antibiotikaprophylaxe nach radikaler Zystektomie wird unabhängig vom HWI-Risiko ebenso in einer aktuellen Arbeit aus Israel empfohlen.2 Hier entwickelten insgesamt 23,7% der 405 PatientInnen der Studie postoperativ eine Infektion der Operationswunde.2 Interessant ist dabei der erneute Befund, dass bis zu 16,7% der gefundenen Erreger gar nicht auf die perioperativen Antibiotika ansprachen.2 Die StudienautorInnen empfehlen daher ebenfalls, dass präoperative und perioperative Antibiotikaregime optimiert und an die jeweiligen lokalen Resistenzbefunde angepasst werden müssen. Denn bei teils wirkungsloser Medikation bleibt auch die Frage nach der Dauer der optimalen Antibiotikaprophylaxe überflüssig, da keine Schutzwirkung zu erwarten ist.2
Einige Studien beschäftigten sich überdies mit der diskutierten Notwendigkeit für eine Antibiotikaprophylaxe nach TURBT. Kohada und KollegInnen fassten den Wissensstand dazu kürzlich wie folgt zusammen3:
Ein weiteres sehr häufiges Problem ist die Frage nach der antimikrobiellen Intervention bei der Steintherapie. Auch hierzu gibt es eine aktuelle Übersichtsarbeit4, welche die in der Literatur derzeit zu findenden Studien zu diesem Thema ausgewertet hat. Allerdings, so die AutorInnen, ist die Studienlage zum Einsatz von Antibiotika bei der Behandlung der Urolithiasis als sehr dünn anzusehen.
Dennoch decken sich die Befunde weitestgehend mit den Empfehlungen der AUA sowie der EAU für ein Risiko-adaptiertes Minimalregime bei der Antibiotikaprophylaxe.4 Das bedeutet, dass Niedrig-Risiko PCNL und URS lediglich einer Einzeldosis-Prophylaxe bedürfen, während Patienten bei der SWL keinerlei Antibiotikaprophylaxe benötigen.4
Wie Sie sehen, gibt es keine allgemeingültige Regel, wann und für wie lange Antibiotika prophylaktisch prä-, post- oder perioperativ eingesetzt werden sollen. Die Leitlinien geben hier allerdings wichtige Empfehlungen, auf deren Grundlage eine individuelle Entscheidung möglich wird.
So gilt beispielsweise, dass je höher das Kontaminationsrisiko eines Eingriffes ist, desto obligatorischer wird der Einsatz von Antibiotika zur Infektionsvermeidung. Daneben gilt aber ebenso, dass alle Empfehlungen seitens der Leitlinien immer auch den örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der jeweiligen Resistenzsituation, angepasst werden müssen. Feste Protokolle erleichtern zusätzlich dieses Vorgehen.
Eines zeigt sich überdies in allen Studien zu diesem Thema deutlich: Ohne Kenntnis der Resistenzsituation vor Ort und damit ohne Kenntnis der Wirksamkeit der Antibiotikaprophylaxe, ist eine Weiterbehandlung über die kürzest notwendige Anwendungsdauer hinaus, keineswegs sinnvoll.
Quellen:
1 Haider M et al., Urologic Oncology: Seminars and Original Investigations 2019; 37(5): 300.e9-300.e15
2 Goldberg H et al., World J Urol 2019; 37:1137–1143
3 Kohada Y et al., World J Urol 2019; doi:10.1007/s00345-019-02737-3
4 Schnabel MJ et al., Curr Opin Urol 2019; 29(2): 89–95