Die aktuelle Ausgabe der European Urology widmete sich in einem Beitrag einem sehr aktuellen Thema. Nämlich dem Klimawandel und unser aller Anteil daran, wenn Konferenzen wieder allein in Präsenz stattfinden würden. Die Coronavirus-Pandemie zeigte es: Virtuelle Veranstaltungen verbessern die CO2-Bilanz. Heißt es also ab jetzt "Urology for Future"?
Noch Anfang 2020 war es nahezu unvorstellbar, die großen Fachkongresse lediglich als virtuelle Veranstaltungen abhalten zu wollen. Doch Corona hat uns schlichtweg dazu gezwungen, die veränderte Situation anzunehmen und das Beste daraus zu machen.
Nun zeigt sich rückblickend jedoch, dass es durchaus seinen Wert hätte, dieses aufgezwungene Prozedere zur Gewohnheit werden zu lassen, denn: Der klimaschädliche CO2-Abdruck, den große Präsenzveranstaltungen bisher verursachten, wird durch virtuelle Veranstaltungen oder auch Hybrid-Kongresse deutlich verringert. Werden wir also trotz des Verzichts auf liebgewonnene Präsenzveranstaltungen gerade Zeugen, wie es auch "grüner" und damit deutlich zukunftsgerichteter gehen kann?
Die Forschenden wollten in ihrer kleinen Studie berechnen, welchen Klima-Impact die beiden größten urologischen Kongresse in den USA bzw. in Europa im Jahr 2019 hatten. Als Vergleichsgröße sollte der CO2-Klimaabdruck pro Kopf dienen.
Insgesamt nahmen im Jahr 2019 etwa 11.000 Urologinnen und Urologen am AUA-Kongress teil, beim EAU waren es knapp 9.000. Zusammen produzierten die Teilnehmer:innen dabei bis zu 16.000 bzw. 11.000 Tonnen CO2. Insbesondere Delegierte aus Asien und Europa hatten mehrheitlich den größten Anteil an der CO2-Menge.
Anders ausgedrückt, produzierten beide Jahrestreffen zusammen in etwa soviel klimaschädliches CO2 wie 5.872 PKW in einem gesamten Jahr ausstoßen würden. Dies entspricht circa 3 Millionen Gallonen (rund 13 Millionen Liter) an verbranntem Benzin.
Führen wir uns dabei vor Augen, dass die Studie lediglich die beim Transport der Delegierten zum und vom Veranstaltungsort anfallenden CO2-Mengen berückstichtigte, wird die tatsächliche Klima-Bilanz wohl noch deutlich schlechter ausfallen.
Denn neben dem Reiseverkehr tragen ebenso Catering, Unterbringung, Klimaanlagen sowie gedruckte Unterlagen und Handouts sowie das Programm der Veranstaltung zur schlechten Klimabilanz bei. Dem gegenüber stehen selbstverständlich der Wille zum persönlichen Austausch vor Ort und das Netzwerken in der internationalen Forschungslandschaft.
Anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass die Gesundheitsbranche insgesamt einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten könnte. Dazu zählen nicht nur Präsenz-Kongresse, sondern auch viele weitere Versorgungspunkte in der täglichen Praxis. Zu denken ist hier vor allem an die Telemedizin, denn nicht jeder Patient muss immer gleich in die Praxis kommen.
Die Urologie wird in naher Zukunft sogar doppelt vom Klimawandel betroffen sein. Zum einen stellt sich tatsächlich die Frage, ob immer jede Reise zu einem Kongress zwingend notwendig ist. Oder reicht nicht auch einmal eine virtuelle Teilnahme aus? Zum anderen, und das ist gleichermaßen bedeutsam, wird der Klimawandel zu einer Zunahme der urologischen Erkrankungen führen. Höhere Durchschnittstemperaturen führen zu schlechterer Wundheilung, zu mehr Infektionen und auch zu einer größeren Belastung mit Nieren- und Harnsteinen. Aktuelle Studien warnen davor bereits seit Jahren.
Virtuelle Kongresse bieten die Möglichkeit, Zeit zu sparen, da die An- und Abreise wegfallen, Geld zu sparen, da Reisekosten und Übernachtungen eingespart werden und gleichzeitig reduzieren sie noch den CO2-Ausstoß pro Kopf. Denn virtuell bedeutet auch, weniger Catering, weniger gedruckte Kongressmaterialien und weniger Müllaufkommen.
Aber: Virtuelle Kongresse ermöglichen kein adäquates Netzwerken und auch keinen persönlichen Kontakt, wie z. B. sich auf einen Kaffee zu treffen oder abends an einem der zahlreichen Begleitprogrammpunkte teilzunehmen. Daher wird der Präsenz-Kongress sicher so schnell nicht zu ersetzen sein. Jedoch können in Zukunft neue Wege beschritten werden, auch den Präsenzveranstaltungen zu mehr Klimaneutralität zu verhelfen.
Denkbar sind beispielsweise Kongressorte, die gut und schnell zu erreichen sind, die Zusammenarbeit mit ökofreundlichen Hotels in der Nähe zum Veranstaltungsort, sodass Teilnehmende auch zu Fuß gehen können. Darüber hinaus kann das Catering mehr vegetarische Küche und regionale Produkte anbieten, Delegierte können Licht und Klimaanlage ausschalten, wenn sie das Hotelzimmer verlassen und so weiter und so fort. Es gibt noch viele Möglichkeiten, die persönliche Bilanz zu verbessern.
Doch bei aller Euphorie für Digitalisierung und virtuelle Kongressveranstaltungen darf eines nicht vergessen werden: Auch das virtuelle Wohlfühlpaket gibt es derzeit noch nicht klimaneutral. Denn Rechnerleistung und Server zur Ausstrahlung der Veranstaltungen kosten Energie und verursachen somit am Ende ebenfalls CO2. Daher meint heute "virtuell" (noch) nicht immer gleichzeitig auch "klimaneutral" oder "CO2-neutral". Jedoch können wir den Gedanken weiterdenken und die Folgen der Coronapandemie in der Kongresswelt als einen möglichen ersten Schritt auf dem Weg zu echter Klimaneutralität sehen.
Originalpublikation:
Patel S et al., Climate change impact of virtual urology meetings. Eur Urol 2021; 80(1): 121-122