Sommer ohne Hitzewallung: möglichst wenig Hormontherapie oder besser adäquat?

Im Sommer sind klimakterische Hitzewallungen eine besondere Belastung für die betroffenen Frauen. Bei der Hormonersatztherapie stellt sich angesichts einer aktuellen EMA-Empfehlung die Frage: So niedrig dosiert und so kurz wie möglich oder lieber individuell und adäquat? Und was bietet sich als Option für eine – häufig präferierte – postmenopausal, blutungsfreie Hormontherapie an?

Im Sommer sind Hitzewallungen, die neben Schlafstörungen zu den häufigsten klimakterischen Beschwerden zählen, besonders belastend. Die saisonalen Effekte auf das klimakterische Beschwerdebild wurden bisher aber nur in wenigen Studien untersucht. In einer aktuellen Teilauswertung der SWAN-Studie (Study of Women's Health Across the Nation) zeigt sich, dass die prämenopausalen Hitzewallungen – und Nachtschweiß als Vorläufersymptom – saisonalen Schwankungen unterliegen und zum Menopause-Zeitpunkt hin beträchtlich zunehmen.1

SWAN-Studie: Häufigkeitsgipfel der Symptome im Sommer, lange Beschwerdedauer

Knapp 1.000 Teilnehmerinnen der SWAN-Studie trugen über einen Zeitraum von 10 Jahren in einem Menstruationskalender ein, ob sie menopausale Beschwerden erlitten hatten oder nicht. In einer statistischen Modellierung ermittelten die Wissenschaftler jeweils die monatliche Präsenz eines bestimmten Symptoms. Im Zeitraum von 5–10 Jahren vor der letzten Menstruation berichtete rund ein Fünftel der Frauen über Hitzewallungen und Nachtschweiß (~ 20 %) und doppelt so viele über Schlafstörungen (~ 40 %). Die Prävalenz erhöhte sich etwa 4 Jahre vor dem letzten Zyklus und stieg zeitgleich mit diesem sprunghaft an (Hitzewallungen: 60 %; Nachtschweiß: 40 %).1

Im SWAN-Kollektiv traten Hitzewallungen und Schlafstörungen am häufigsten im Juli auf. Der Tiefststand war im Januar zu verzeichnen, mit einer um 66 % bzw. 50 % geringeren Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Beschwerden. Nachtschweiß erwies sich als Vorläufersymptom bei den saisonalen Schwankungen. Die Spitzen- und Tiefstwerte waren jeweils einen Monat früher zu verzeichnen, mit einer Wahrscheinlichkeitsdifferenz von 24 %.1

Im Rahmen der 1996 in den USA begonnenen SWAN-Studie, einer großen, multiethnischen Beobachtungsstudie zum menopausalen Übergang, wurden über 3.300 Frauen an sieben Standorten über 16 Jahre hinweg nachverfolgt. Mehr als 1.400 Teilnehmerinnen litten unter häufigen vasomotorischen Beschwerden. Sie hatten durchschnittlich 7,4 Jahre mit den Problemen zu kämpfen, davon 4,5 Jahre nach der Menopause. Die mittlere Beschwerdedauer war mit dem Zeitpunkt des Auftretens der ersten Hitzewallungen assoziiert: etwa 12 Jahre bei prämenopausalem und 3–4 Jahre bei postmenopausalem Symptombeginn.2

Vier VMS-Verlaufsgruppen identifiziert

Die Dauer vasomotorischer Symptome (VMS) wurde lange Zeit unterschätzt. In der SWAN-Studie konnten dank individueller Verlaufsanalyse vier Gruppen mit etwa gleicher Häufigkeitsverteilung identifiziert werden:

  1. „Early onset“: Hitzewallungen und Schweißausbrüche treten bereits frühzeitig in der Prämenopause auf und nehmen nach der letzten Monatsblutung ab.
  2. „Late onset“: Der VMS-Verlauf beginnt später, gipfelt zum Zeitpunkt der letzten Periode und zieht sich mit abnehmenden Beschwerden bis in die Postmenopause.
  3. Es werden nur wenige oder keine VMS während der Perimenopause beobachtet.
  4. „Super flashers“: Der VMS-Verlauf erstreckt sich von der Prämenopause bis weit in die Postmenopause.3

Die Daten untermauern den bekannt großen Behandlungsbedarf, der sich aus dem beträchtlichen Anteil an Frauen mit klinisch relevant eingeschränkter Lebensqualität ergibt. Dass dabei der Hormonersatztherapie bzw. menopausalen Hormontherapie (HRT bzw. MHT) die größte Wirksamkeit zukommt, ist angesichts der breiten Evidenzbasis unstrittig. Zur Anwendungsdauer gibt es allerdings widersprüchliche Empfehlungen.

EMA-Empfehlung zur Änderung von HRT-Produktinformationen

Gerade erst im Mai hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA ihre Sicherheitsinformationen zur HRT modifiziert.4 Der Grund ist die Auswertung von Ergebnissen einer 2019 in The Lancet publizierten Metaanalyse5. Der damit befasste EMA-Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) empfiehlt Änderungen der Produktinformationen, die durch die jeweiligen Behörden umzusetzen sind. Dadurch soll gemäß BfArM-Wortlaut6 den folgenden Aktualisierungen Rechnung getragen werden:

Der EMA-Ausschuss rät zur regelmäßigen Brustkontrolle und betont die bereits in den Produktinformationen von HRT-Arzneimitteln enthaltene Vorgabe, „dass Frauen eine Hormonersatztherapie zur Behandlung von Symptomen der Wechseljahre nur in der niedrigsten Dosis und für die kürzest mögliche Zeit anwenden sollten, die bei ihnen wirkt“.6

Wie ist diese „Aktualisierung“ einzuordnen?

Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings die kritische Einordnung der „neuen Erkenntnisse“ der Lancet-Publikation durch eine internationale Phalanx von Vertretern der klinischen Praxis, in die sich auch bekannte Experten der deutschen Fachgesellschaft und des Berufsverbands einreihen. Die Präsidentin der Internationalen Menopause Gesellschaft (IMS), Prof. Susan Davis, erklärt dazu: „Auf Populationsebene hat die Adipositas einen größeren Einfluss auf das Brustkrebsrisiko als die Anwendung der MHT. Das ist eine wichtige Public-Health-Botschaft.“7

In einer aktuellen CME-Fortbildung8 heißt es: „Das bisherige Konzept ‚niedrigste Dosis für die kürzest mögliche Dauer‘ wird als unpassend oder gar nachteilig für einige Frauen beurteilt. In dem neuen Konzept stehen die adäquate Dosis, Therapiedauer und der Applikationsweg im Vordergrund.“ Der Autor Prof. Thomas Römer, Vizepräsident der Deutschen Menopause Gesellschaft (DMG), fasst zusammen: „State of the art ist heute der individualisierte Einsatz von vorzugsweise niedrig dosierten Östrogenen, Östrogenen kombiniert mit Gestagenen oder Tibolon, wobei die Applikation, Dosierung und Behandlungsdauer gemeinsam mit der Patientin festgelegt wird.“

Häufige Patientinnen-Präferenz: blutungsfreie Therapie

Zu den Präferenzen der meisten Frauen zählt die Blutungsfreiheit der Therapie. Neben der Möglichkeit einer kontinuierlichen kombinierten Gabe von Östrogen und Gestagen bietet sich Tibolon als Alternative an.8 Bei diesem Wirkstoff handelt es sich um ein gewebeselektives synthetisches Steroid, das zur Behandlung von Östrogenmangel-Symptomen bei postmenopausalen Frauen zugelassen ist, deren letzte natürliche Monatsblutung mehr als ein Jahr zurückliegt. Bei operativ bedingter Menopause kann die Behandlung mit Tibolon sofort begonnen werden.9

Umstieg auf Tibolon nach sequenzieller HRT

Seine Wirkung entfaltet Tibolon (z. B. Tibolon Aristo®) nach enteraler Absorption über drei aktive Metaboliten mit östrogenen, gestagenen und androgenen Eigenschaften. Während das Medikament in Deutschland möglicherweise unterschätzt wird, erfreut es sich u. a. in Australien großer Beliebtheit.7 Auch die Britische Menopause Gesellschaft (BMS) weist auf ihrer Website für Patientinnen darauf hin, dass viele Frauen nach einer sequenziellen HRT auf diese blutungsfreie Therapieoption umsteigen.

Tibolon zeigt eine gute Wirksamkeit bei klimakterischen Beschwerden wie Hitzewallungen, induziert am Endometrium keine Hyperplasien und wird u. a. besonders bei Frauen mit schwerer Endometriose oder Libidostörungen empfohlen. Weitere Vorteile sind die beobachtete Verbesserung der Knochendichte und das reduzierte Frakturrisiko bei Osteoporose. Da der Wirkstoff die mammografische Dichte nicht erhöht, treten Brustschmerzen seltener auf. Auch Stimmungsveränderungen können günstig beeinflusst werden. Die Risiken einer Tibolon-Therapie sind in etwa mit denen anderer oraler Kombinationspräparate vergleichbar.8,10

Gute Wirksamkeit, niedrigeres VTE-Risiko, neuroprotektives Potenzial

Eine Anfang 2019 im British Medical Journal publizierte Arbeit bekräftigte anhand neuer Daten aus zwei Fall-Kontroll-Studien die Kenntnis, dass unter der oralen Anwendung von Tibolon – ebenso wie bei der transdermalen Applikation von reinen oder kombinierten Östrogenen – kein erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) ableitbar ist.11 Um den Vergleich mit transdermalem Östrogen ging es auch in einer kleinen klinischen Studie, die Ende des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse bestätigen die gute Wirksamkeit von Tibolon, das die menopausalen Beschwerden bei Frauen mit intaktem Uterus nach 6-monatiger Anwendung signifikant verbesserte.12

Das starke klinische und wissenschaftliche Interesse an dem gewebeselektiv wirksamen Regulator der östrogenen Aktivität (Selective Tissue Estrogenic Activity Regulator = STEAR) wird durch einen ganz aktuellen Review bezeugt. Die Autoren beschäftigen sich mit den systemischen Effekten von Tibolon bei peri- und postmenopausalen Frauen und seiner Rolle im Gehirn. Ihr Fazit: „Tibolon ist eine Hormontherapie mit vielversprechenden neuroprotektiven Eigenschaften.“13

Service von Aristo

Die Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause wird bei entsprechender Indikationsstellung wieder klinisch empfohlen (siehe CME-Fortbildung9). Dabei sollten das Beschwerdebild und mögliche Risikofaktoren möglichst gut erfasst und potenzielle Arzneimittelinteraktionen ausgeschlossen werden. Ein hilfreiches Instrument für die sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung und zur Abfrage der Patientinnen-Präferenzen ist der Anamnesefragebogen für Frauen mit Wechseljahresbeschwerden von Aristo.

Referenzen:

  1. Harlow SD et al. Monthly Variation of Hot Flashes, Night Sweats, and Trouble Sleeping: Effect of Season and Proximity to the Final Menstrual Period (FMP) in the SWAN Menstrual Calendar Substudy. Menopause 2020 Jan;27(1):5-13
  2. Avis NE et al. Study of Women's Health Across the Nation. Duration of menopausal vasomotor symptoms over the menopause transition. JAMA Intern Med 2015;175:531-9
  3. El Khoudar SR et al. The menopause transition and women's health at midlife: a progress report from the Study of Women's Health Across the Nation (SWAN). Menopause 2019;26(10):1213-27
  4. Meeting highlights from the Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) 11-14 May 2020. EMA News 15/05/2020 (ema.europa.eu; Zugriff am 15.06.2020)
  5. Collaborative Group on Hormonal Factorsin Breast Cancer (2019). Type and timing of menopausal hormone therapy and breastcancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence. Lancet 2019;394(10204):1159-68
  6. Hormonersatztherapie: PRAC schließt die Überprüfung neuer Informationen über das bekannte Brustkrebsrisiko ab. Mitteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 15.05.2020 (bfarm.de; Zugriff am 15.06.2020)
  7. Davis S. Menopausal hormone therapy and breast cancer: no need for panic. InSight+, Issue 35, 9 September 2019 (insightplus.mja.com.au; Zugriff am 15.06.2020)
  8. Römer T. Differenzierte Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause. CME-Verlag 2019 (cme-kurs.de; Zugriff am 12.06.2020)
  9. Fachinformation Tibolon Aristo® 2,5 mg Tabletten. Stand: 4/2018
  10. S3-Leitlinie Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen. AWMF-Registernummer 015-062. 2018. Version 2.0
  11. Vinogradova Y et al. Use of hormone replacement therapy and risk of venous thromboembolism: nested case-control studies using the QResearch and CPRD databases. BMJ 2019;364:k4810. doi:10.1136/bmj.k4810
  12. Kim HK et al. Comparison of the Efficacy of Tibolone and Transdermal Estrogen in Treating Menopausal Symptoms in Postmenopausal Women. J Menopausal Med 2019;25(3):123-9
  13. Del Río JP et al. Tibolone as Hormonal Therapy and Neuroprotective Agent. Trends Endocrinol Metab 2020;S1043-2760(20)30098-9