Gefängnisarzt: Ein empfehlenswerter Job

Er ist Hausarzt, Psychologie und Drogentherapeut zugleich. Im Interview erzählt Dr. Hans-Georg Schwarzer von seinem Alltag als Gefängnisarzt in der JVA.

Interview mit Gefängnisarzt Dr. Hans-Georg Schwarzer

esanum: Dr. Schwarzer, warum machen Sie diesen Job?

Dr. Schwarzer: Ich bin Facharzt für Arbeitsmedizin und habe unter anderem auch lange die JVA betreut. Daher war ich hier 20 Jahre als Urlaubsvertretung tätig. Die Arbeit als Anstaltsarzt hat mir gleich gefallen. Anstaltsarzt bin ich jetzt im achten Jahr. Das ist sehr herausfordernd. Jeden Tag steht ein buntes Bild an Aufgaben vor mir. Die Patienten gehören zu einer eher jüngeren Klientel. Jeden Tag gibt es Fälle, über die ich tiefer nachdenken muss. Und ich muss bei Notfällen schnell reagieren. Etwa 40 Patienten sehe ich am Tag.

esanum: Was gehört zu ihren Kernaufgaben als Gefängnisarzt?

Dr. Schwarzer: Ich bin quasi der Hausarzt von 450 Gefangenen, davon 50 Frauen. Sie kommen mit allem zu mir, was auch Patienten draußen haben. Von Magen-Darm bis Kopfschmerzen und Problemen im Bewegungsapparat. Die häufigsten gesundheitlichen Belastungen sind Rückenschmerzen und Schlafstörungen. Das liegt meist an der Immobilität, und daran, dass viele am Tag schlafen - obwohl ich jedem ein Übungsschema an die Hand gebe und empfehle, tagsüber nicht zu schlafen.

esanum: Wie sieht es mit drogeninduzierten Problemen aus?

Dr. Schwarzer: Im Zusammenhang mit dem Drogenkonsum, der vor der Inhaftierung stattgefunden hat, treten viele Probleme auf. Meist geht es um Entzugserscheinungen. Jeder der hier aufgenommen wird, durchläuft eine medizinische Untersuchung, für die ich zuständig bin. In dem Zusammenhang wird auch auf Drogen getestet. Etwa jeder zweite Häftling weist Drogenkonsum auf, wobei die meisten THC-Konsumenten sind.

esanum: Was machen Sie bei Entzugsproblemen in der Anstalt?

Dr. Schwarzer: Wir können unterstützend eingreifen. Etwa mit schlaffördernden Medikamenten. Wer vorher in einem Substitutionsprogramm war, der wird weiter substituiert. Ich kann aber auch eine Substitution neu beginnen. Oder auch eine Entgiftung vornehmen - unter sehr moderaten Bedingungen. Denn es geht in der Regel um eine Polytoxikomanie.

esanum: Wie ist die Compliance im Gefängnis?

Dr. Schwarzer: Bei Psychopharmaka bekommen die Betroffenen das Medikament von Vollzugsbeamten an die Zelle gebracht und die Einnahme wird kontrolliert. Bei Schmerzmedikationen geht die Medikation mit auf die Zelle und wird dort auch eingenommen.

esanum: Was ist anders als Arzt hinter Gittern?

Dr. Schwarzer: Positiv ist die große Therapiefreiheit. Ich kann verordnen, was ich für richtig und erforderlich halte – ohne Restriktionen durch die Kassenärztliche Vereinigung. So gesehen habe ich im Gefängnis mehr Freiheiten. Sonst gibt es nicht viele Unterschiede.

esanum: Gehen Ihnen manche Schicksale sehr nahe?

Dr. Schwarzer: Es gibt viele Gefangene, die immer wieder hinter Gitter kommen, da kennt man dann den Lebenslauf. Auch dramatische Ereignisse sind nicht selten. Zuletzt hatten wir einen Suizidversuch, da hat sich jemand am Hals verletzt und wurde stark blutend aufgefunden. Die Verletzung war so beschaffen, dass die Blutung nur unzureichend zu stoppen war, dann wurde der Patient per Rettungshubschrauber in die Klinik eingeliefert. Einige Tage später ist er verstorben. So etwas vergisst man nie.

esanum: Welchen Anteil haben psychische Probleme an den Erkrankungen der Insassen?

Dr. Schwarzer: Das ist ein großes Kapitel bei unserer Klientel. Jede Abteilung hat zwei Psychologen und es kommt regelmäßig ein Psychiater ins Haus.

esanum: Welche Rolle spielt die Aggressivität Ihrer Patienten?

Dr. Schwarzer: Ich bin noch nie tätlich angegriffen worden – und bin auch nicht allein im Behandlungsraum. Außerdem habe ich ein Alarmgerät bei mir. Wenn jemand aggressiv ist, kommt es eher zu verbalen Entgleisungen. Damit kann ich umgehen.

esanum: Welche Rolle spielt Tuberkulose heute noch hinter Gittern?

Dr. Schwarzer: Diese Fälle sind ganz selten. Jeder Neuankömmling wird geröntgt, außer, wenn Gründe dagegensprechen. Dann gibt es einen Bluttest auf Tuberkulose. Hier rutscht keine versteckte Tuberkulose durch. Wir hatten schon einmal einen Befund, da bleiben wir dann am Ball, um kein Risiko einzugehen.

esanum: Wieviel Spaß macht Ihre Arbeit? Würden Sie sie Kollegen empfehlen?

Dr. Schwarzer: Mir macht diese Arbeit sehr viel Spaß. Ich bin mein eigener Herr und niemand macht mir Vorschriften. Ich würde die Arbeit durchaus weiterempfehlen. Man sollte seinen Facharzt machen, am besten in Allgemeinmedizin und dann viele Jahre in einer Klinik oder Praxis arbeiten, um Erfahrung und Sicherheit aufzubauen. Dann ist das ein sehr empfehlenswerter Job.