Dr. Petra Sandow, Hausärztin in Berlin-Charlottenburg, seit über 20 Jahren Referentin bei Fortbildungen, erklärt ihr Vorgehen beim esanum-Hausarzt-Tag.
esanum: Frau Dr. Sandow, es ist gar nicht so leicht, Sie dieser Tage zu erreichen, ist das Covid-19-Virus bei Ihnen in der Praxis angekommen?
Sandow: Derzeit noch nicht. Es kommen aber sehr viele Infizierte mit allen möglichen Viren. Und im Nebensatz stellen sie dann die Fragen: wie können wir uns gegen Corona schützen? Was darf ich, was darf ich nicht? Kann ich heute Abend ins Konzert gehen? Das diskutiere ich mit beinahe jedem Patienten, das kostet sehr viel Zeit.
esanum: Und was antworten Sie?
Sandow: Wir können im Moment klar sagen, dass man möglichst einen Meter Abstand zu anderen Menschen halten sollte. Das heißt, nicht ins Konzert, nicht ins Fußballstadion, nicht in den Supermarkt gehen, wenn alle da sind. Also man meide Menschenansammlungen. Händewasche ist völlig ausreichend, Desinfektion ist nicht erforderlich und Gesichtsmasken müssen nur Infizierte tragen.
esanum: Sie haben Ihre Hausarztpraxis mitten im Berlin-Charlottenburg - was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Sandow: Ich arbeite seit 31 Jahren als Hausärztin, seit 25 Jahren ist die Praxis sehr groß. Und die Patientenzahlen steigen immer weiter. Wir sind leider so etwas wie eine aussterbende Kaste, es gibt wenig Nachwuchs, und wenn einer von uns aufhört, müssen die Patienten anderswo unterkommen. Zugleich ist die Bürokratie erheblich gewachsen - man ist jeden Tag mit Anfragen und Fragebögen beschäftigt. Und die Patienten werden immer kritischer, oft kommen sie mit fertigen Ideen aus dem Internet. Man muss also viel mehr erklären und diskutieren. Die Arbeit ist intensiver und anstrengender geworden.
esanum: Wenn Sie als Referentin auf dem Hausarzt-Tag vor Kolleginnen sprechen – was ist Ihr Anliegen?
Sandow: Wir Hausärzte haben eine etwas andere Denkweise als ärztliche Kolleginnen. Meine Intention ist, die jeweiligen Indikationen immer aus der spezifisch hausärztlichen Sichtweise zu interpretieren. Wir sind nun einmal die Fachgruppe mit den meisten Indikationen. Es sind fast 250 Erkrankungen, die wir behandeln können. Also geht es bei der Fortbildung immer um den Praxisbezug, immer um die Fragen: Wie kann ich die Dinge, die sich in der Medizin verändern, in meine Praxis einbringen? Was ist wirklich wichtig für mich? Das muss ich als Referentin mundgerecht servieren, sodass die Kolleginnen das leicht übernehmen können.
esanum: Lernen Sie dabei auch selbst etwas?
Sandow: Ich mag es, über Fachthemen zu referieren. Lehrerin war mein zweiter Berufswunsch. Man lernt ganz viel dabei, denn ich gehe für meine Vorträge sehr tief in die jeweilige Materie hinein. Hinterher bin ich deutlich fitter als vorher.
esanum: Eines Ihrer Themen in diesem Jahr ist neu im Programm: Phytotherapie, was wollen Sie vermitteln?
Sandow: Ich spreche über leitliniengerechte Naturheilverfahren. Sie werden von vielen Patienten nachgefragt und wir wollen ja weg von zu vielen Antibiotika-Gaben. Darum sprechen wir zu den Fragen: Wo ist Phytotherapie angebracht, wo wird sie empfohlen, wo ist genug wissenschaftliche Evidenz dahinter? Was kann ich auf ein Kassenrezept schreiben?
esanum: Wie entscheiden Sie, wann Naturheilverfahren angebracht sind?
Sandow: Ich verbinde in meiner Praxis Naturheilverfahren und Allgemeinmedizin und darf in beiden Bereichen aus- und weiterbilden. Man kann natürlich nicht bei allen Indikationen mit pflanzlichen Mitteln, Akupunktur oder ähnlichem arbeiten. Aber es gibt Indikationen, bei denen man genau damit sehr gut klarkommt. Diese Medikamente sind extrem verträglich. Und es geht natürlich auch darum, was der Patient für Vorstellungen hat. Wenn jemand kommt und erklärt, er nehme keine Chemie, dann muss ich bei dem anderen Repertoire gucken, was geht.
esanum: Um welche Beispiele geht es in Ihrem Vortrag über akute Notfälle?
Sandow: Wenn ich zu einem Patienten nach Hause komme und er klagt über Bauchschmerzen, muss ich entscheiden, ob ich ihn einweisen muss. Die Frage ist, welche differenzialdiagnostischen Möglichkeiten gibt es mit Bordmitteln? Wenn wir irgendwo hingehen, haben wir im Regelfall nicht viel Technik zur Verfügung. Und ich muss schnell eine Entscheidung treffen: Ist es etwas Lebensbedrohliches, ein Herzinfarkt oder sind es einfach nur Rückenschmerzen?
esanum: Was haben Sie dazu zu sagen, was nicht jeder Hausarzt weiß?
Sandow: Ich berichte von Erfahrungen, die ich in 31 Berufsjahren gemacht habe und über das, was die Leitlinien besagen - zum Beispiel zum akuten Abdomen, bei akutem Thoraxschmerz oder akuter Atemnot. Man braucht für diese Entscheidungen ein bisschen Sicherheit und die kommt erst mit der Zeit. Dafür geben wir beim Hausart-Tag Handwerkszeug.
esanum: Wie erleben Sie als Referentin das neue Fortbildungs-Format, den esanum-Hausarzt-Tag?
Sandow: Der Hausarzt-Tag ist für mich die optimale Fortbildung für Hausärzte, sonst würde ich mich nicht mit ganzem Herzen einbringen. Auch alle anderen Referenten sind handverlesen und gezielt so ausgewählt, dass sie sich auf die spezifischen Bedürfnisse des Hausarztes einstellen können. Der möchte nicht eine halbe Stunde lang Studien zu einer Indikation hören. Bei Harnwegen zum Beispiel geht es uns nicht so sehr um das Nierenzell-Karzinom - das ist auch interessant, aber für den Nephrologen. Wir wollen wissen, was mache ich mit der Blasenentzündung, mit dem Nierenstein, mit der Inkontinenz? Hausärzte brauchen Handlungsanweisungen. Darum macht es den Hausarzt-Tag für mich so besonders, dass wir uns einmal durch den ganzen Körper arbeiten und grundsätzlich alles aus hausärztlicher Sicht gedacht wird.
Der Vortrag von Frau Dr. Petra Sandow beim Hausarzt-Tag 2020 in Berlin wird am 1. April im Livestream übertragen. Melden Sie sich hier an: www.esanum.de/live.