Eine Initiative der Berliner Charité ruft nun eine Studie ins Leben, die zu einer besseren Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit von Neurodermitispatienten beitragen soll.
Dem Robert Koch-Institut zufolge sind in Deutschland ein bis drei Prozent der Erwachsenen und 14,3 Prozent der Kinder von Neurodermitis betroffen. Die Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, im Rahmen der CAMATOP Studie alternative Behandlungsmethoden bei Neurodermitis zu erforschen. In einem Zeitraum von etwa zehn Wochen unterziehen sich Probanden Akupunktur- und Osteopathiebehandlungen. esanum spricht in einem Interview mit Studienleiter Prof. Dr. Benno Brinkhaus, der uns nähere Einblicke in diese Verfahren und die Hintergünde dieser Studie gewährt.
esanum: Neben genetischen Komponenten, werden für Neurodermitis Veränderungen im Immunsystem und in der Hautbarriere als potenzielle Ursachen angenommen. Was genau ist unter Letzterem zu verstehen?
Prof. Brinkhaus: Die Haut ist die äußere Begrenzung des menschlichen Körpers, aber auch Kontaktfläche zur Außenwelt. Sie schützt uns vor schädlichen Umwelteinflüssen wie giftigen Substanzen und Bakterien und bewahrt uns vor einem zu starken Flüssigkeitsverlust. Die Hautschicht, welche zuerst mit der Umwelt in Berührung kommt (äußere Schicht), ist die Hornschicht, sie besteht aus Fetten (epidermale Lipide) und Hornhautzellen. Bei Patienten mit Atopischer Dermatitis (AD, syn. Neurodermitis) ist der Hautaufbau verändert, der Zellverbund ist durchlässiger und die Haut wird empfindlicher und neigt zum Austrocknen.
esanum: Wie sieht aktuell der therapeutische Goldstandard aus und wie effektiv sind diese Therapiemaßnahmen?
Prof. Brinkhaus: Konventionelle Therapiemaßnahmen beinhalten je nach Schweregrad der AD aufsteigend eine lokale Basistherapie (Cremes, Salben), die Vermeidung und Reduktion von auslösenden Faktoren (Triggerfaktoren), die topische (lokal auf die Haut) Applikation von kortisonhaltigen Präparaten und / oder Calcineurin-Inhibitoren bis zur systemischen Gabe einer immunmodulierenden Therapie (z.B. Ciclosporin A). Zusätzlich können Arzneimittel zur Reduktion von Juckreiz und Infektionen gegeben werden. Nichtmedikamentöse Therapieverfahren beinhalten Immunabsorption, extrakorporale Photopherese, Laktobazillen, Phototherapie, Neurodermitisschulung, Eliminationsdiäten, essenzielle Fettsäuren, Hausstaubmilbenreduktion und psychotherapeutische Behandlungen. Vermeidung von Stress bzw. stressreduzierende Verfahren zeigen ebenfalls positive Wirkungen. Trotz Verbesserungen der konventionellen Therapie können derzeit nicht alle Symptome von AD Patienten ausreichend gelindert werden. Eine kurative Therapie der AD ist bisher nicht bekannt, etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen nehmen Verfahren der komplementären Therapie (CM) in Anspruch, insbesondere auch Akupunktur. Nichtmedikamentösen und nichtinvasiven Therapieansätzen kommt eine große Bedeutung zu, da sie häufig risikoarm und ggf. auch kostengünstig durchgeführt werden können.
esanum: Im Rahmen der CAMATOP-Studie erforschen Sie Osteopathie- und Akupunkturbehandlungen bei Neurodermitis. Wie ist diese Idee entstanden? Gibt es bereits Studien, die zur Hoffnung berechtigen?
Prof. Brinkhaus: Wir wollen in der aktuellen randomisierten kontrollierten Pilotstudie bei insgesamt 120 Patienten bestehende Hinweise zur Wirksamkeit von Akupunktur und Osteopathie aufgreifen und eine gute Ausgangsposition für dann größere konfirmatorische Studien schaffen. Im Bereich der Akupunktur ist die Studienlage umfangreich, da bei diesem Verfahren bereits sehr gute Vorstudien vorliegen, die für eine Wirksamkeit der Akupunktur sprechen. So weisen kleinere experimentelle bzw. experimentell-klinische Studien darauf hin, dass Akupunktur in der Behandlung von AD-Symptomen, insbesondere Juckreiz, wirksam ist. Bisher stehen hochwertige randomisiert kontrollierte Studien zur osteopathischen Behandlung bei Erwachsenen mit AD aus. Aktuell liegen zwei kleinere Studien dazu vor: So fand eine einarmige Interventionsstudie im Rahmen einer Bachelorarbeit eine Reduktion der Symptomatik der AD nach dem SCORAD Index bei 5 von 6 Erwachsenen mit AD im Prä- Post-Vergleich. Autoren einer früher durchgeführten und ebenfalls als Abschlussarbeit publizierten randomisiert kontrollierten Studie berichten bei 37 Kindern über eine Symptomlinderung der AD nach dem SCORAD Index nach dreimaliger osteopathischer Behandlung sowohl im Prä-Post Vergleich als auch im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe. Insgesamt ist die wissenschaftliche Evidenz zur AD Therapie mit Osteopathie der AD mittels hinsichtlich krankheitsspezifischer subjektiver Parameter derzeit nicht ausreichend, daher möchten wir die Wirksamkeit in einer größeren Pilotstudie randomisiert kontrolliert untersuchen.
esanum: Erklären Sie bitte den Wirkungsmechanismus, den Sie sich erhoffen. Spekulieren Sie auf den Placebo-Effekt?
Prof. Brinkhaus: Bei der Wirksamkeit beider Verfahren kann natürlich auch der sogenannte Placebo-Effekt, wir sprechen eher von unspezifischen Effekten oder sogenannten Kontexteffekten, eine Rolle spielen. Placebo-Effekte können bei jeder Therapieform auftreten und maximieren zumeist die spezifischen Therapieeffekte. Akupunktur und Osteopathie sind so genannte Reiz-Reaktions Verfahren und wirken unter anderem über die Verbesserung der Selbstregulation und über Veränderungen des autonomen Nervensystems, wobei mehr über den Wirkmechanismus der Akupunktur bekannt ist. Als möglicher Mechanismus für die Juckreiz-reduzierende Wirkung von Akupunktur bei AD-Patienten wird unter anderem eine Reduktion der in vitro Allergen-induzierten Basophilen-Aktivierung postuliert. Möglicherweise moduliert Akupunktur ebenfalls Neurotransmitter und periphere Hormonspiegel, wie z.B. Beta-Endorphin, adrenocorticotropes Hormon und Somatostatin. Zusätzlich wurden Veränderungen des autonomen Nervensystems im Sinne auch eine Aktivierung des Parasympathikus beschrieben. Die Osteopathie benutzt manuelle ("mit den Händen") Diagnostik- und Therapieverfahren und kann sowohl bei pathophysiologisch und organisch nachvollziehbaren Erkrankungen als auch bei sogenannten funktionellen Störungen des Körpers hilfreich sein. Die Osteopathie kann so zu einer Linderung von körperlichen Beschwerden beitragen. Organische Veränderungen wie beispielsweise Narben oder seit Jahren bestehende Hautveränderungen können mit dieser Methode nicht beseitigt werden. Trotz osteopathischer Theorien zu den Wirkmechanismen über eine Regulation des autonomen Nervensystems, der Immunreaktionen und des Lymphabflusses, stehen Beweise aus der Grundlagenforschung für diese Wirkmechanismen noch aus.
esanum: Im Rahmen von Akupunkturbehandlungen kam es bei Patienten bereits zu Schwindelanfällen, Bewusstlosigkeit und kollabierenden Lungenflügeln. Wie bewerten Sie das Risikopotenzial Ihrer Therapie?
Prof. Brinkhaus: Die Akupunktur ist eine im Vergleich zu vielen anderen Therapieverfahren relativ risikoarme Therapiemethode. Dies ist gut untersucht, wir haben dazu Studien bei mehr als 200.000 Patienten mit mehr als 2 Millionen Behandlungen durchgeführt. Häufiger treten kleine Hämatome auf, auch lokale Entzündungsreaktionen sind möglich, aber sehr selten. Zur Vermeidung einer lokalen oder generalisierten Infektion werden ausschließlich sterile Einmalnadeln verwendet. Andere, seltene Nebenwirkungen der Akupunktur, die gelegentlich beschrieben wurden, sind vorübergehende Kreislaufsymptome oder Verschlechterungen allgemeinen Befindens, wie Schwindel, Schwitzen und Übelkeit. Ernsthafte Komplikationen (Organverletzungen wie Lungenkollaps) sind extrem selten und treten nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand seltener als bei einer von 1.000.000 Behandlungen auf. Trotzdem informieren wir unsere Studienteilnehmer natürlich über möglicherweise auftretende Begleitsymptome und Nebenwirkungen.
esanum: Was erhoffen Sie sich von künftigen Therapieverfahren? Könnte Neurodermitis eines Tages vollständig geheilt werden oder ist das Wunschdenken?
Prof. Brinkhaus: Eine Heilung der AD ist derzeit noch nicht möglich, auch wenn ein spontanes Sistieren der Erkrankung in verschiedenen Lebensabschnitten beschrieben ist. Für die Patienten, bei denen die Symptome nicht spontan sistieren, kann eine effektive Reduktion der Symptome wie sichtbare Hautveränderungen und Juckreiz mit einer Verbesserung der Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit einhergehen. Das zu erreichen ist das primäre Ziel unserer Studie. Wenn dazu traditionelle Therapieverfahren zu etablierten konventionellen Methoden beitragen, wäre dieses Ziel erreicht.