Das Impfen mit dem Präparat von Astrazeneca ist vorerst auch in Deutschland gestoppt. Ob der Impfstoff wieder zum Einsatz kommt, ist ungewiss. Das geplante Bund/Länder-Treffen zum Impfen soll wohl verschoben werden.
Deutschland setzt die Corona-Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca vorerst aus. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach am Montag von einer "reinen Vorsichtsmaßnahme", um gesundheitliche Komplikationen in seltenen Fällen wissenschaftlich zu überprüfen. Die meisten Bundesländer kündigten an, die Impfungen mit Astrazeneca unverzüglich einzustellen. Bereits vereinbarte Termine sollten in vielen Fällen abgesagt werden. Das für Mittwoch geplante Spitzentreffen von Bund und Ländern zur Impfstrategie wird voraussichtlich verschoben.
Laut Spahn gehe die Entscheidung gehe auf sieben Fälle zurück, bei denen Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung stünden. "Es ist sehr selten aufgetreten", sagte er und wies darauf hin, dass hierzulande mittlerweile über 1,6 Millionen Impfungen mit dem Astrazeneca-Impfstoff verabreicht wurden. "Es geht um ein sehr geringeres Risiko - aber, falls es tatsächlich im Zusammenhang mit der Impfung stehen sollte, um ein überdurchschnittliches Risiko."
Den vorläufigen Stopp empfohlen hatte das zuständige Paul-Ehrlich-Institut. Bei der Analyse neuer Daten sahen die Experten eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Thrombosen in Hirnvenen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit Astrazeneca, so das Institut. Die Daten würden von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) weiter analysiert und bewertet.
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Thrombose war bisher in keinem Fall festgestellt worden. Dies war auch in anderen Staaten betont worden, die die Impfungen bis zum Abschluss von Prüfungen vorsorglich aussetzten. "Astrazeneca wird in vielen Ländern der Welt millionenfach verimpft", sagte Spahn. "Es ist eine fachliche Entscheidung und keine politische", versicherte er.
Das Aussetzen von Astrazeneca-Impfungen ist aus Sicht der WHO noch kein Alarmzeichen. Die Vorfälle seien nicht notwendigerweise aufs Impfen zurückzuführen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf. "Es ist eine Routine-Praxis, das zu untersuchen." Außerdem zeige es, dass das Überwachungssystem funktioniere und wirksame Kontrollen stattfänden.
In Deutschland erlebt die Impfkampagne mit dem Schritt einen empfindlichen Rückschlag. Bis Sonntag waren laut Robert Koch-Institut 1,65 Millionen Dosen Astrazeneca-Impfstoff in Deutschland verabreicht worden. Insgesamt wurden 9,4 Millionen Dosen gespritzt - außer von Astrazeneca kommen die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna zum Einsatz. Bis auf wenige hundert Fälle betreffen alle Astrazeneca-Impfungen die erste von zwei für den Impfschutz nötige Impfungen. Die Aussetzung betreffe nun auch alle Folgeimpfungen, sagte Spahn.
Nun ist die EMA am Zug. Dort wird an einer erneuerten Bewertung des Impfstoffs des britisch-schwedischen Pharmakonzerns gearbeitet. Die Sicherheitsexperten wollten am Donnerstag über mögliche weitere Schritte entscheiden, teilte die EMA mit. Der für Mittwoch geplante "Impfgipfel" von Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder, wird voraussichtlich verschoben, bis die Entscheidung am Donnerstag da ist. Spahn sagte, falls der Impfstoff zugelassen bleibe, wolle man für die Impfungen auch wieder werben.
Die EMA hält vorerst daran fest, dass die Impfungen fortgesetzt werden könnten. Die Vorteile durch den Schutz vieler Menschen vor einer schweren Covid-19-Erkrankung seien höher einzuschätzen als die Risiken möglicher Nebenwirkungen. Bereits vergangene Woche hatte die EU-Behörde erklärt, dass es keine auffällige Häufung von Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gebe. Der Anteil der Thrombose-Kranken nach einer Impfung mit dem Präparat entspricht demnach dem spontanen Auftreten dieser Erkrankung in der Normalbevölkerung. Laut dem zuständigen Paul-Ehrlich-Institut solle man sich in ärztliche Behandlung begeben, wenn man sich mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühlen sollte, etwa mit starken oder anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen.
Die Auswirkungen auf die Impfkampagne müssten nun geprüft werden, kündigte Spahn an. Seit den Beratungen des PEI unter anderem mit Thrombose-Experten vom Mittag sei dazu zunächst noch keine Zeit gewesen.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisierte den Impfstopp: "Das schafft nur große Verunsicherung und Misstrauen in einer Situation, in der es auf jede Impfung ankommt", sagte Lauterbach der "Rheinischen Post" (Dienstag). Der designierte Hauptgeschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, für die Kliniken sei die Lage jetzt schwierig. "Wir haben es geschafft, dass 70 bis 80 Prozent der Mitarbeiter impfbereit sind. Eine solche Entscheidung zu AstraZeneca kann das zunichtemachen." Ärztepräsident Klaus Reinhardt nannte die Aussetzung dagegen "richtig und wichtig". Schnelle Klärung und völlige Transparenz seien wichtig. "Ansonsten geht Vertrauen verloren."
Die Impfungen mit dem Mittel wurden vergangene Woche zuerst in Dänemark für zunächst 14 Tage gestoppt. Hintergrund waren mehrere Fälle von Blutgerinnseln bei geimpften Personen, darunter ein Todesfall. Auch Norwegen und die Niederlande setzten die Impfungen aus. Gesundheitsminister Hugo de Jonge teilte am Sonntag mit: "Wir müssen immer auf Nummer sicher gehen." Italien stoppte die Verabreichung des Impfstoffes von Astrazeneca am Montag landesweit. Dort waren in der vergangenen Woche und am Wochenende Menschen gestorben, die zuvor mit dem Vakzin von Astrazeneca geimpft worden waren. Auch Frankreich vollzog einen vorläufigen Stopp bis zur erwarteten EMA-Einschätzung - auch hier eine reine "Vorsichtsmaßnahme", wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte.
Großbritannien nutzt den Impfstoff weiter. "Wir prüfen die Berichte genau, aber angesichts der großen Anzahl verabreichter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinnsel auf natürliche Weise auftreten können, deuten die verfügbaren Beweise nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist", sagte Phil Bryan von der britischen Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA). Astrazeneca selbst hatte nach einer Analyse von Impfdaten Zweifel an der Sicherheit zurückgewiesen. Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Geimpften in der EU und Großbritannien hätten keine Belege für ein höheres Risiko für Lungenembolien, tiefen Venenthrombosen und Thrombozytopenie geliefert, so der Konzern.
Auch Tschechien und Polen setzen die Verabreichung des Corona-Impfstoffs vorerst nicht aus. "Der positive Nutzen des Impfstoffs ist unleugbar - und es gibt keinen Grund für Befürchtungen", sagte Gesundheitsminister Jan Blatny.