Zu wenig Geld oder kein Wohnsitz - es gibt eine Reihe von Gründen, warum Menschen nicht krankenversichert sind. Im Krankheitsfall sind sie dann meist auf ehrenamtliche Hilfe angewiesen. Manchmal geschieht dies gerade noch rechtzeitig.
Mit mehreren offenen Wunden am Bein kam der Mann in die Sprechstunde. "Das war höchste Eisenbahn", sagt Arzt Matthias Zimmer. Erst nach sechs Wochen sei es dem herzkranken Patienten besser gegangen. Längst hätte der Mann versorgt werden müssen, doch er habe keine Krankenversicherung, berichtet Zimmer. Für Fälle wie diesen baut der Internist gerade ehrenamtlich mit weiteren MedizinerInnen ein Notfallangebot in Offenbach auf. Wie viele Menschen bundesweit ohne Krankenversicherungsschutz leben, ist nicht bekannt. Möglicherweise sind es Hunderttausende.
Werden sie krank, stehen sie vor großen Problemen. Das neue Angebot in Offenbach gehört zum Malteser Hilfsdienst, der damit in insgesamt 20 Städten für unversicherte PatientInnen im Einsatz ist. Die größten Angebote befinden sich in Berlin, Köln und Duisburg. Im Rhein-Main-Gebiet kümmern sich zudem weitere Hilfsorganisationen um die Versorgung von PatientInnen ohne Versicherung, in Frankfurt sogar das Gesundheitsamt und die Universität.
"Der Bedarf hier in der Stadt und im Landkreis ist groß", schätzt der Gastroenterologe Zimmer mit Blick auf das finanzschwache Offenbach. Jeden Mittwoch öffnet die Praxis im Ketteler-Krankenhaus für zwei Stunden, mehr als 40 PatientInnen sind seit April gekommen. Darunter seien beispielsweise EU-Ausländer, die am Bau oder in der Gastronomie schwarz arbeiteten, sagt Zimmer. Und deren Angehörige. Oder überschuldete BundesbürgerInnen. Auch ein Patient, der sich illegal in Deutschland aufhalte, habe sich an die MedizinerInnen gewandt, die kostenlos und anonym behandeln. Bei Sprachproblemen können sie auf spezielle Bilderbücher zurückgreifen.
Unter den PatientInnen seien viele Schwangere, berichtet Zimmer. Auch am 14.08. kommt eine schwangere Frau in die Sprechstunde. Es gebe Komplikationen, nun seien weitere Untersuchungen bei Fachärzten nötig. Dazu gebe es ein Praxis-Netzwerk unter anderem mit GynäkologInnen, KardiologInnen und KinderärztInnen.
Neben Frankfurt verfügt auch Mainz über ein etabliertes Hilfsangebot. So ist ein 49-jähriger Wohnungsloser wegen neuer Verbände für seine Füße in die Medizinische Ambulanz des Vereins Armut und Gesundheit gekommen. "Ich habe da Pilz und offene Wunden", erzählt der Spanier. Obwohl der Sohn eines Gastarbeiters schon als Kleinkind nach Deutschland kam und die Sprache akzentfrei spricht, hat er keinen deutschen Pass - und auch keine Krankenversicherung.
Eine schwangere Somalierin und ein Pole mit Diabetes, Bluthochdruck und Knieproblemen waren vor ihm an der Reihe. Die Mainzer Ambulanz behandelte im vergangenen Jahr zwischen 410 und 480 PatientInnen pro Quartal, darunter deutlich mehr Männer als Frauen. Knapp die Hälfte hatte einen deutschen Pass, viele keine Krankenversicherung.
Zur deutschlandweiten Dimension verweist das Bundesgesundheitsministerium auf das Statistische Bundesamt. Dieses ging für 2015 von rund 79.000 Personen aus - was im Vergleich zu der Erhebung vier Jahre zuvor einen deutlichen Rückgang bedeute, damals seien rund 128.000 Nichtversicherte gezählt worden. Die Bundeskoordinatorin des Malteser-Angebots, Sabrina Odijk, geht von einer zusätzlichen Dunkelziffer aus. Denn viele der Betroffenen seien nicht bei den Behörden gemeldet. Die Bundesärztekammer hatte im Jahr 2013 von möglicherweise Hunderttausenden Betroffenen berichtet.
Mit unterschiedlichen Ansätzen werde versucht, das Problem politisch anzugehen, etwa durch die Ausgabe anonymer Krankenscheine oder Clearingstellen, die versuchten, die Menschen in die Krankenversicherung zu bringen, sagt Odijk. Doch die Patientenzahlen seien seit etwa zehn Jahren stabil geblieben. Gegründet worden sei das Angebot ursprünglich für Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhielten. Doch derzeit stellten EU-BürgerInnen wie RumänInnen oder BulgarInnen die größte Gruppe.
Die Malteser versuchten, notfallmäßig und mit überschaubarer Technik zu helfen, sagt Odijk. PatientInnen mit chronischen Krankheiten oder Krebs könne man angesichts begrenzter Mittel nicht behandeln. Oft probierten dann die Familien der Betroffenen, das Geld aufzubringen.
Um zu helfen, prüft die schwarz-grüne Landesregierung in Wiesbaden die Einrichtung eines Fonds zur anonymen Krankenbehandlung, wie Minister Kai Klose (Grüne) dem Hessischen Ärzteblatt sagte. Interessant sei auch die Idee eines anonymen Krankenscheins, die es in anderen Bundesländern gebe, sagte seine Sprecherin. Die Landesärztekammer hatte das Vorhaben mit Blick auf Menschen angeregt, die "große Schwierigkeiten hätten, bei gesundheitlichen Problemen adäquat versorgt zu werden". Diese Lücke müsse geschlossen werden.
Ein Fonds könne helfen, sagt der Offenbacher Arzt Matthias Zimmer. Solange es unbürokratisch zugehe. Die Betroffenen seien schließlich krank und bräuchten rasch Unterstützung. "Bei uns ist es so: Jedem, der durch die Tür kommt, wird geholfen", sagt der 37-Jährige.