In Pandemiezeiten wandeln sich auch die klassischen die Aufgaben und Themen der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Deshalb fragt esanum deren Vorstand, Eugen Brysch, nach seinen Kommentaren zur derzeitigen Corona-Lage und zur Impfpolitik.
esanum: Herr Brysch, die Aufgaben und Ziele der Deutschen Stiftung Patientenschutz stehen deutlich in ihrem Namen. Daher die Frage: Um welche Patienten machen Sie sich als Vorstand der Stiftung am meisten Sorgen?
Brysch: Pflegebedürftige und Schwerstkranke werden von COVID-19 am stärksten bedroht. Die meisten der an und mit dem Virus Verstorbenen sind Pflegeheimbewohner. Daher ist es auch kein Zufall, dass in der aktuellen Corona-Sterbestatistik fast 90 Prozent älter als 70 Jahre alt sind. Doch Bund und Länder haben bisher beim Schutz dieser verletzlichen Gruppe kläglich versagt.
esanum: Die Corona-Pandemie stellt alle anderen gesundheitlichen Bedrohungen seit Monaten in den Schatten. Welche Aufgaben sehen Sie für Ihre Stiftung in diesem Zusammenhang?
Brysch: äglich erreichen uns Anrufe und Briefe etwa von verzweifelten Angehörigen, die ihre Verwandten im Pflegeheim nicht besuchen können oder die Angst um die ambulante Pflege haben. Diese Menschen brauchen auf sie zugeschnittene Hilfsangebote. Zudem haben solche Erfahrungsberichte für unsere Arbeit immensen Wert. Denn sie gewähren Einblicke in die Schwierigkeiten des Alltags in Krisenzeiten und machen deutlich, wo es am meisten brennt. Nur so können wir uns in der Politik und bei Entscheidungsträgern für ihre Belange stark machen. Ohne diese Vernetzung in die Praxis wäre die Öffentlichkeitsarbeit substanzlos. Alleine die zehntausenden Anrufe am Patientenschutztelefon jährlich weisen uns den Weg.
esanum: Wie zufrieden sind Sie mit dem Impfstart für Ältere und Heimbewohner?
Brysch: Der Impfstoff-Mangel wird immer größer. Viele Länder müssen beim Impfen jetzt eine Zwangspause einlegen. Das vom Bundesgesundheitsminister im Dezember gesteckte Ziel wird nicht zu erreichen sein. Denn es kann nicht gelingen, bis Ende Februar den rund acht Millionen Menschen in der ersten Prioritätsgruppe ein Impfangebot zu unterbreiten. Jetzt heißt es kleinlaut nur noch, bis Februar können die 900.000 Pflegeheimbewohner geimpft werden. Vor dem Hintergrund eines mutierten Virus ist das eine desolate Lage. Denn sowohl die über 80-Jährigen als auch die drei Millionen Pflegebedürftigen daheim und die sie mit versorgenden mobilen Altenpflegekräfte bleiben schutzlos.
esanum: Was kritisieren Sie hier am meisten?
Brysch: Ohne Zweifel sind Impfungen wichtig, um die Corona-Pandemie zu bewältigen. Auch ist klar, dass es viel zu wenig Impfangebote gibt. Für Impfungen in den Heimen rächt sich jetzt, dass nicht vorher PCR-Tests stattfinden oder der Immunstatus festgestellt wird. Viele Impftermine für Pflegeheime werden wieder abgesagt, weil es vorher zu Infektionsausbrüchen kommt. Nicht zu testen gefährdet daher die Impfkampagne.
Die erste Prioritätsgruppe war mit acht Millionen Menschen von Anfang an zu weitgefasst. Es darf nicht vergessen werden, dass nur rund elf Prozent davon in einem Pflegeheim leben. Das erschwert das Impfangebot deutlich. Denn praktisch sorgen jetzt zufällige Gegebenheiten und organisatorische Mängel für eine scheinbar willkürliche Priorisierung. Zudem war es unklug, den Deutschen Bundestag bei der Frage der Priorisierung nicht zu beteiligen. Dass die Impfkampagne verfassungsrechtlich angreifbar ist, schwächt sie unnötig.
esanum: Was sagen Sie zu der Vermutung, unter medizinischem Fachpersonal sei die Bereitschaft, sich selbst impfen zu lassen, derzeit zu wenig ausgeprägt? Es wird ja bereits das Wort „Impfzwang“ für das Personal in die Diskussion eingebracht.
Brysch: Aktuell ist unklar, ob Geimpfte immun sind oder das Virus weitergeben können. Deshalb lenkt die Diskussion über eine Impfpflicht für Pflegeberufe vom eigentlichen Problem ab. Vielmehr spielt eine solche Schärfe Impfgegnern in die Hände. Die Politik muss daher alles tun, um Pflegekräfte zu überzeugen. Hier braucht es Argumente und Transparenz. Die Frage einer Impflicht darf nicht zur politischen Machtfrage werden.
esanum: Was sind Ihre Forderungen, bzw. auch Änderungsvorschläge in der Impfpolitik für die nächsten Wochen und Monate?
Brysch: Für daheim lebende Hochbetagte ist das Impfangebot der Länder mangelhaft. Zwar wurde dieser Bevölkerungsgruppe die höchste Priorität eingeräumt. Sie bedroht das Virus schließlich mit am stärksten. Doch praktisch bleiben sie bei der Impfkampagne auf der Strecke. Es ist vollkommen inakzeptabel, diesen Impfberechtigten zu empfehlen, jetzt noch Monate auf ein leichter zu verimpfendes Serum zu warten. Dies gilt schon erst recht vor dem Hintergrund, dass wir es mittlerweile mit mehreren Mutationen zu tun haben. Es muss bundesweit wenigstens möglich sein, dass Senioren ein kostenloser Liegendtransport oder Fahrt per Taxi garantiert wird. Gut ist zwar, dass die Pflegepersonen jetzt in der Kategorie 2 sind. Doch es ist ein Versäumnis, pflegende Begleitpersonen Hilfsbedürftiger der Schutzkategorie 1 nicht gleichzeitig mit zu impfen. Hier muss dringend nachgebessert werden.