Sie müssen 100-Kilo-Patienten aus dem fünften Stock tragen, an Weihnachten arbeiten oder werden als Helfer angegriffen. Zum Beruf des Notfallsanitäters gehört eine Portion Idealismus dazu. Dieser wird aber derzeit in Hessen aus Sicht der Gewerkschaft ausgenutzt.
Dienste weit über zwölf Stunden hinaus, keine Pausen und anstrengende Einsätze für die Lebensretter: Die Gewerkschaft Verdi hat von der Politik in Hessen deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen für Notfallsanitäter gefordert. "Wir haben versucht, mit der Politik zu reden, konkret mit dem Ministerium, es ist nur nach diesen Gesprächen nichts geschehen", kritisierte der zuständige Gewerkschaftssekretär Stefan Röhrhoff am Montag in Frankfurt. Es gehe nicht um mehr Geld, "sondern dass man konkret überlegt, wie kann man die Arbeitsbedingungen im Rettungsdienst so verbessern, dass die Arbeit nicht krank macht."
Konkret wünscht sich Verdi, über eine landesweit einheitliche Regelung die Arbeitsbedingungen für hessische Notfallsanitäter zu verbessern. Bisher haben die Landkreise diese Befugnisse, was zu hessenweit uneinheitlichen Bedingungen führe. Im Arbeitsalltag werde regelmäßig Arbeitsrecht verletzt, waren sich die anwesenden Retter einig: Es sei nicht möglich, eine Pause zu machen und erschöpfte Sanitäter müssten auch nach 12-Stunden-Schichten noch Einsätze fahren, wenn die Leitstelle es anordnet.
Zudem sei der Arbeitsalltag körperlich so anstrengend, dass kaum ein Notfallsanitäter das gesetzliche Rentenalter erreiche. Mögliche technische Erleichterungen wie ein Treppensteiger zum Patiententransport zahlten die Krankenkassen nicht. Auch ein Nachwuchs- und Personalmangel plagt den Berufsstand laut Gewerkschaft: Obwohl sich viele junge Menschen für den Beruf interessieren, bleiben ihm nach der inzwischen dreijährigen Ausbildung nur wenige lange erhalten. Bessere Bedingungen könnten die Attraktivität steigern.
Das hessische Sozialministerium würdigte den Rettungsdienst in einer Erklärung als wichtiges Fundament der Gesellschaft. "Die rechtlichen Grundlagen zu Grenzen der täglichen Arbeitszeit, der Ruhezeiten und der Ruhepausen sind bundesgesetzlich einheitlich im Arbeitszeitgesetz geregelt", teilte das Ministerium mit. "Landesrechtliche Regelungen zur Arbeitszeit bestehen nicht, da der Landesgesetzgeber keine Befugnis zur Rechtsetzung in diesem Bereich hat."
Der Notfallsanitäter Martin Haunold berichtete, durch die starke Arbeitsbelastung würden die Retter häufiger krank, könnten sich aber nicht mehr richtig erholen, weil sie ihre durch Personalknappheit ohnehin schon belasteten Kollegen nicht weiter schwächen wollten. "Das soziale Gewissen der Mitarbeiter wird schamlos ausgenutzt", sagte er.
Auch für die Patienten haben die erschöpften Retter Folgen. Notfallsanitäter führen bei 13- oder 14-Stunden-Diensten mit bis zu sieben Tonnen schweren Fahrzeugen mit Blaulicht durch Innenstädte, wie der Notfallsanitäter Manfred Brasch sagte. "Die Konzentration ist schlichtweg nicht mehr da, geschweige denn für die Versorgung des Notfallpatienten, zu dem wir eigentlich hineilen." Es gebe beispielsweise einen erheblichen Anstieg von Sondersignalunfällen.
Brasch ist seit mehr als 30 Jahren Sanitäter im Main-Kinzig-Kreis, in dieser Zeit habe sich die Zahl der Einsätze von jährlich 3.000 auf 60.000 erhöht. Die Hemmschwelle, den Rettungsdienst zu rufen, sei gesunken - ein Drittel der Einsätze seiner Ansicht nach nicht notwendig. "Wir fahren heute auch zu Schnupfen, Husten und Liebeskummer", sagte der Retter.