Die Patientensicherheit auf der Intensivstation könnte entscheidend verbessert werden, wenn sich Fehlalarme stark reduzieren und kritische Komplikationen wie epileptische Krampfanfälle vorhersagen ließen. Hier setzt das Projekt "ICU-Cockpit" des Nationalen Forschungsprogramms "Big Data" (NFP 75) an: Die großen Datenmengen aus der Intensivmedizin werden genutzt, um Verfahren für Frühwarnsysteme und therapeutische Empfehlungen zu entwickeln.
Ein einziger kritischer Patient, der auf einer Intensiv- oder Notfallstation behandelt wird, generiert bis zu 100 GB Daten pro Tag. Die Daten stammen aus der Überwachung der PatientInnen, aber auch Untersuchungen wie Computer- und Magnetresonanz-Tomographien des Gehirns, Laborwerte und Biosensoren liefern viele Daten. Die Informationsflut kann oft nicht für die rechtzeitige Erkennung von Risikokonstellationen und zur raschen Entscheidungsfindung genutzt werden.
Herkömmliche Monitoring-Systeme lösen pro PatientIn und Tag rund 700 Alarme aus, also rund einen Alarm alle zwei Minuten. Ein beträchtlicher Teil davon sind Fehlalarme. Ließe sich die Zahl der Fehlalarme markant reduzieren, wäre die Datenmenge viel kleiner, was das Erkennen von kritischen Situationen erleichtern und damit die Patientensicherheit erhöhen würde. Daran arbeiten die Neurochirurgische Intensivstation des Universitätsspitals Zürich, die ETH Zürich und IBM Research im Projekt "ICU-Cockpit". Projektleiterin Emanuela Keller umschrieb das langfristige Ziel: "Wir möchten mit dem Projekt eine grundlegende Entwicklung in der Notfall- und Intensivmedizin anstossen – und damit die Arbeitsweise im Klinikalltag wesentlich verbessern."
Für das Projekt konnten bei mehr als 400 PatientInnen systematisch Daten aus verschiedenen Quellen gesammelt werden. Zudem wurden Videoaufnahmen eingesetzt. Alle Daten wurden vor der Weiterverarbeitung anonymisiert. PatientInnen auf der Intensivstation sind in verschiedener Hinsicht sehr verletzlich, sodass deren Daten besonders schützenswert sind. Aus den Daten haben die Forschenden Verfahren für drei Anwendungsfälle entwickelt:
1. Ausfiltern von Fehlalarmen,
2. Früherkennung epileptischer Krampfanfälle,
3. Früherkennung sekundärer Hirnschädigungen.
Die beiden letztgenannten Verfahren sollen zur Erkennung von Risikokonstellationen führen und vor drohenden kritischen Ereignissen warnen, im Sinne einer Prognostik. Dadurch kann früher therapeutisch eingegriffen werden, was die Behandlungsqualität verbessert.
Heute werden Therapieentscheidungen oft empirisch gefällt, basierend auf den Erfahrungen und dem Wissen der Beteiligten. Wünschenswert wäre es, die Entscheidungen durch in Echtzeit verfügbare eigene Datenanalysen sowie aktuellstes medizinisches Wissen aus weiteren Quellen, z.B. globalen harmonisierten Datenbanken, zu untermauern. Das Projekt zeigt, wie dies möglich wird.
Die Verfahren sollen noch mit weiteren Datensätzen geprüft und anschliessend im Rahmen einer nächsten Studie im Klinikalltag des Universitätsspitals Zürich direkt umgesetzt werden. Auf der Intensivstation bei den PatientInnen sollen die Erkenntnisse aus der Datenanalyse visuell dargestellt und damit Risikokonstellationen automatisch erkannt werden. Zudem sollen die Arbeiten mit IBM Research weitergeführt werden, bei denen Videoüberwachung für die Erkennung epileptischer Krampfanfälle und weiterer neurologischer Krankheitsbilder genutzt werden. Diese Verfahren basieren auf Videoaufnahmen und sind aus Sicht der Forschenden auch interessant für SchlaganfallpatientInnen mit einer Lähmung, um diese besser zu überwachen.