Die körpereigene Abwehr patrouilliert durch den ganzen Körper: Die Botenstoffe der Immunzellen dringen in jedes Organ und jedes Gewebe vor. Für ihre Aufgabe, die Infektabwehr, ist das nötig. Bei Autoimmunkrankheiten und chronischen Entzündungen führt diese Schrankenlosigkeit der Immunzellen jedoch dazu, dass oft nicht nur ein Organ betroffen ist, sondern mehrere oder der gesamte Körper.
Die Behandlung systemischer Entzündungen erfordert es daher, dass Mediziner unterschiedlicher Fachrichtungen eng zusammenarbeiten. Welche Möglichkeiten eine interdisziplinäre klinische Immunologie in Diagnostik und Differentialtherapie für Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen bietet und welche Herausforderungen damit verbunden sind, diskutierten Experten auf der heutigen Pressekonferenz in Mannheim anlässlich des 46. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh).
Bereits das Beispiel der häufigsten entzündlich-rheumatischen Erkrankung, der rheumatoiden Arthritis, zeigt, wie wenig sich das Immunsystem an Organgrenzen hält: Zu Beginn der Autoimmunerkrankung sind vor allem die Gelenke von der chronischen Entzündung betroffen. Im weiteren Verlauf der Krankheit können auch andere Organe wie Augen, Lunge, Blutgefäße oder Herz angegriffen werden. "Autoimmunerkrankungen sind daher immer als Entzündung zu betrachten, die den ganzen Körper betrifft ", sagt Professor Dr. med. Hanns-Martin Lorenz, Präsident der DGRh und Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Bei der Therapie müsse der behandelnde Rheumatologe daher immer den gesamten Körper im Blick behalten. Diese systemische Herangehensweise erfordere eine sehr umfassende Expertise breit ausgebildeter, internistischer Rheumatologen und Internisten unterschiedlicher Fachgebiete, die ihr Wissen einbringen.
Dass die Fächer bei der Behandlung von Entzündungsleiden näher zusammenrücken, liegt nicht nur in der Natur der Erkrankungen selbst. Auch die antientzündlichen Medikamente haben ein breites Wirkungsspektrum und entfalten es im ganzen Körper. Vor allem die in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelten Biologika und Immuntherapeutika, die sehr effektiv Entzündungszellen oder ihre Botenstoffe blockieren, wirken in der Regel an mehreren Zielorganen zugleich. Als Beispiel nennt Lorenz den gegen B-Zellen gerichteten Antikörper Rituximab: Er kann in der Therapie der rheumatoiden Arthritis ebenso eingesetzt werden wie bei der Behandlung des B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphoms, bei Gefäßentzündungen ebenso wie bei der Multiplen Sklerose, bei der die Entzündungsherde im zentralen Nervensystem liegen. "Die Immuntherapie ist daher immer eine interdisziplinäre Systemtherapie", sagt der DGRh-Präsident.
Auch der enorme Wissenszuwachs auf dem Gebiet der Immunbiologie und die damit einhergehende Zunahme der therapeutischen Möglichkeiten führt dazu, dass Mediziner einer Fachrichtung nicht mehr alle Feinheiten anderer Disziplinen überblicken können und daher auf Kooperationen angewiesen sind. "Viele Universitätsklinika tragen dem schon Rechnung, etwa indem sie interdisziplinäre Entzündungsboards einführen", sagt Lorenz. Hier arbeiten Rheumatologen unter anderem mit Hautärzten, Stoffwechsel-, Nieren- und Lungenfachärzten zusammen. So können die unterschiedlichen Facetten der jeweiligen Erkrankung berücksichtigt und eine für den Patienten optimale Therapie konsentiert werden. Jedes große Zentrum mit Entzündungsexpertise sollte ein solches interdisziplinäres Zentrum einrichten, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass chronisch entzündliche Erkrankungen Charakteristika einer Volkskrankheit haben und hohe Kosten verursachen, und dass sich die Entwicklung neuer Immuntherapeutika gerade für seltene Erkrankungen rasant fortentwickelt.