Wer krank oder pflegebedürftig ist, ist auf Hilfe angewiesen. Dass dabei betrogen wird, ist moralisch verwerflich und verursacht immense Schäden. Ermittler spüren Tätern nach - kein einfaches Unterfangen.
Viele Menschen in Rheinland-Pfalz sind auf Pflege oder ärztliche Betreuung angewiesen. Dahinter steckt ein großes Geschäft. Auch hier kommt es zu Betrügereien etwa bei Abrechnungen von Ärzten, Pflegediensten, Apothekern oder Sanitätshäusern - millionenschwere Schäden für Versicherungen sind die Folge. Fälle aufzudecken, gestaltet sich oft schwierig. Genau das versuchen spezielle Ermittlergruppen in den Polizeipräsidien. Im Mainzer Präsidium ist das die Arbeitsgruppe Gesundheitswesen um Joachim Faust. Er weiß um die Komplexität dieser speziellen Aufgabe.
In seiner Arbeitsgruppe, die es so seit Beginn der 2000er Jahre gibt, arbeiten Kriminalpolizisten und ehemalige Kollegen aus dem Streifendienst zusammen, sieben sind es insgesamt. Sie bleiben in der Regel mehrere Jahre, ein ausgiebiges Einarbeiten in die sehr eigene Thematik ist notwendig, wie Faust sagt. "Sonst macht es keinen Sinn." Man müsse sich regelrecht in die Thematik reinschaffen, genau darauf ausgerichtete Schulungen gebe es nicht. "Manchmal initiiert eine Staatsanwaltschaft auch eine Begutachtung durch Fachleute."
Faust sagt, die Arbeit sei "abseits der polizeilichen Norm", Verfahren zögen sich häufig über mehrere Jahre hin. Bei einer Durchsuchung werde in der Regel viel Papier beschlagnahmt, das müsse alles gesichtet werden. "Wir haben teilweise ganze Lkws voll mit Unterlagen aus Arztpraxen mitgenommen", erinnert sich Faust. In der Regel gehe es um Abrechnungsbetrug, wenn also beispielsweise ein Arzt oder ein Pflegedienst Leistungen abrechne, die nie erbracht worden seien. Oder es geht um Leistungen, die von nicht genügend qualifiziertem Personal erbracht worden sind. Verfahren beruhten vor allem auf Erkenntnissen aus vorangegangenen Vorgängen oder Anzeigen.
Diese könnten von Privatpatienten kommen, die ihre Arztrechnung durchforstet hätten, von Mitarbeitern von Praxen oder Pflegediensten oder auch von Arztkollegen. "Es gibt immer wieder Neider oder Unzufriedene, die sich über ihren Arbeitgeber oder Mitstreiter auslassen", weiß Faust. Auch Kontrollstellen von Versicherungen seien angehalten, bei Betrug oder anderen Straftaten Anzeige zu erstatten.
Ein Motiv für solche Betrügereien könne Habgier sein, aber auch Existenzangst. "Bei einer radiologischen Praxis müssen Geräte für horrende Summen gekauft werden", sagt Faust. Das müsse irgendwie wieder reingeholt werden. Um welche Beträge es im Gesundheitswesen gehen könne, zeige sich auch in der Intensivpflege. Hier könnten sich die monatlichen Kosten für einen Patienten auf 25.000 Euro summieren.
Die Krankenkassen bestätigen, dass es um immense Summen geht. Die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland sprach vor kurzem für die vergangenen beiden Jahre von einem Schaden von rund 2,8 Millionen Euro durch Abrechnungsbetrug und Korruption im Gesundheitswesen. Es sei das höchste Schadensniveau seit 2004 erreicht worden. Der Schwerpunkt liege auf dem Bereich der ambulanten Pflege.
Die Debeka-Versicherungsgruppe aus Koblenz registrierte in den Jahren 2016 und 2017 in der privaten Kranken- und Pflegeversicherung insgesamt 103 Betrugsfälle mit einem Gesamtschaden von etwa 2,6 Millionen Euro. Zwischen 2010 und 2015 habe man Schäden in Höhe von rund 4,8 Millionen Euro aufgedeckt. Die Steigerung in den vergangenen Jahren seien auch auf verbesserte Prüfmöglichkeiten zurückzuführen.
Für Ermittlungen sei viel Erfahrung nötig, sagt Faust vom Mainzer Polizeipräsidium. Man werde mit vielen Fachbegriffen konfrontiert, müsse sich mit der Sozialgesetzgebung auseinandersetzen. Ein Grundsatz für Faust ist: "Man darf nicht versuchen, den Wald zu sehen." Vielmehr müsse man auf den Baum achten, sich auf das Wesentliche konzentrieren, wie eben einen konkreten Vorwurf. "Man kann nicht den ganzen medizinischen Bereich kennen."
Doch wie kommt man Betrügern auf die Spur, zumal wenn die betroffenen Patienten etwa dement sind? Man schaue grob gesagt nach Hinweisen, erklärt Wolf. "Wenn der berufliche Alltag eines Arztes 36 Stunden hat nach den Abrechnungen, kann da zum Beispiel irgendwas nicht stimmen." Auch nicht plausible Zeitangaben für bestimmte Leistungen machten stutzig. Unter die Lupe genommen werden neben Abrechnungen beispielsweise auch Tourenpläne oder sogenannte Handzeichen-Listen, auf denen erbrachte Leistungen abgezeichnet werden müssen.
Vermutlich gebe es eine hohe Dunkelziffer, sagt Faust. Häufig könnten "Luft-Abrechnungen" nur mit Hilfe von Patienten oder Angehörigen ermittelt werden. Das fange da an, wo für eine Massage 30 Minuten abgerechnet würden, aber eigentlich fünf Minuten für das An- und fünf für das Ausziehen draufgingen. "So was ist nicht in Ordnung." Auch ein Debeka-Sprecher sagt, dass Betrugsfälle nicht einfach zu entdecken seien. Als Versicherung sei man schlicht nicht unmittelbar an der Erbringung der Leistung beteiligt.
Ob die Zahl der Straftaten tatsächlich zunimmt, lässt sich Faust zufolge schwer sagen. "Entscheidend ist immer auch die Anzeigebereitschaft." Klar sei: "Wir sind ausgelastet." Das dürfte auch für die seit 1995 bestehende Arbeitsgruppe Abrechnungsbetrug und Korruption im Gesundheitswesen des Polizeipräsidiums Koblenz, die 2006 entstandene Arbeitsgruppe Medicus im Polizeipräsidium Rheinpfalz und andere im Land gelten.
Die Techniker Krankenkasse (TK) sieht einen "maßgeblichen Anstieg an Verdachtsfällen im Pflegebereich". Bundesweit etwa 40 Prozent aller mutmaßlichen Betrugsfälle, die das TK-Ermittlungsteam untersuche, seien diesem Bereich zuzuordnen. Ähnlich wie die Debeka-Gruppe verweist die TK auf verbesserte Möglichkeiten für genauere Prüfungen, dank der sogenannten Pflegestärkungsgesetze. TK-Landesvertretungsleiter Jörn Simon sagt: "So bleibt zunächst offen, ob es sich also um eine echte Steigerung handelt, oder ob aufgrund der Pflegereformen der Eisberg nur ein Stück weiter aus dem Wasser ragt."