Komplexe Lebensmittel wie Milch enthalten zahlreiche Einzelkomponenten, die für medizinische, ernährungstherapeutische oder technologische Zwecke genutzt werden können und damit die Wertschöpfung im Vergleich zum herkömmlichen Produkt signifikant steigern. So können mithilfe der Milchproteinfraktionierung, einer speziellen Membrantechnik, aus der Milch gezielt geimpfter Kühe Antikörper gewonnen werden, die im Falle von Antibiotika-Resistenzen Anwendung finden.
Im Rahmen eines Projekts der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) haben Dr. Hans-Jürgen Heidebrecht und Prof. Dr. Ulrich Kulozik vom Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung (ZIEL) an der Technischen Universität (TU) München diese Fraktionierungsmethode jetzt wesentlich verbessert. Mithilfe der von ihnen entwickelten neuartigen Mikrofiltrationsmembranen ist es möglich, spezifische Antikörper aus der Milch abzutrennen und soweit anzureichern, dass sie unter anderem als Ersatz für Antibiotika eingesetzt werden können.
Durch die Ergebnisse des IGF-Projekts, das vom AiF-Mitglied Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI) koordiniert wurde, ist der gesamte Prozess der Milchproteinfraktionierung deutlich effizienter geworden und eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten. So kann dieser innovative Ansatz perspektivisch zur Entwicklung von Medikamenten auf Milchbasis überall dort eingesetzt werden, wo es ein empfindliches Mikrobiom-Gleichgewicht gibt und dieses Gleichgewicht nicht mit unspezifischen Antibiotika zerstört werden soll.
"Bei der Mikrofiltration wird Milch mit Druck durch Membranen gepresst und dadurch in verschiedene Komponenten unterteilt", erklärte Kulozik das Verfahren. "Die Methode war nicht neu. Damit aber die Antikörper im Filtrat landen und zudem von hoher Funktionalität und Reinheit waren, mussten wir die Membranen deutlich verbessern. Das ist uns gelungen“, freute sich der Forscher.
Heidebrecht beschreibt die Gewinnung der Antikörper wie folgt: "Im Prinzip setzen wir die Kuh als Bioreaktor ein und machen uns ihr Immunsystem zunutze. Indem wir die Kuh mit inaktiven menschlichen Krankheitserregern immunisieren, erzeugen wir ganz bestimmte Antikörper in der Kuhmilch. Die reichern wir dann entsprechend an und nutzen sie für die orale passive Immunisierung von Menschen."
In einer Pilotanwendung wurden auf diese Art schon Antikörper gegen Krankenhauskeime erzeugt. Weitere mögliche Anwendungen sind die Behandlung von Magen-Darm-Erkrankungen, bakteriellen Hauterkrankungen oder Karies. Derzeit ist eine große Studie in Vorbereitung, um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen.
Mittlerweile sind die neuen Membranen auch kommerziell verfügbar. Für Dr. Wolfgang Holzmüller von der Allgäuer Milei GmbH bedeuten diese einen massiven Technologievorsprung für das Unternehmen. "Die beiden Wissenschaftler haben eine Schlüsseltechnologie weiterentwickelt, die wegweisend für die Milchindustrie ist. Die Projektergebnisse eröffnen uns völlig neue Anwendungsgebiete", betonte Holzmüller.