Ein Festival, die Fußball-EM oder auch religiöse Zusammenkünfte: Auch nach Veranstaltungen an der frischen Luft sind Corona-Infektionen in hoher Zahl beobachtet worden. Wie Fachleute das einordnen.
Wieder auf Restaurantterrassen sitzen, mit der großen Freundesrunde im Park sitzen oder im Grünen zum Sport treffen: Die Maske oder der Abstand geraten da manchmal in Vergessenheit. Doch das kann sich rächen: Mit der mittlerweile auch in Deutschland vorherrschenden Delta-Variante könnte es je nach Situation eher passieren, dass das Virus auch im Freien überspringt. "Delta ist generell ansteckender - das gilt auch, wenn man an der frischen Luft ist", sagt Ralf Bartenschlager von der Gesellschaft für Virologie,
"Man konnte sich zwar auch mit früheren Varianten schon im Freien anstecken, allerdings steigt mit Delta die Wahrscheinlichkeit, dass es passiert", erklärte der Experte der Universität Heidelberg. Delta-Infizierte hätten im Vergleich zur Vorgängervariante Alpha (B.1.1.7) eine vermutlich um den Faktor fünf erhöhte Viruslast. "Je mehr Virus bei einem Infizierten vorhanden ist, desto größer das Übertragungsrisiko, auch im Freien." Ob es zu einer Ansteckung komme, hänge aber immer auch von vielen weiteren Faktoren ab - draußen zum Beispiel, wie eng man zusammensteht. "Es lässt sich nicht pauschal sagen, wie schnell eine Infektion geschehen kann - das kann vielleicht eine Minute dauern oder auch eine Stunde."
Erst Mitte Juli war zum Beispiel bekannt geworden, dass sich bei einem Musikfestival in Utrecht in den Niederlanden mindestens rund 1.000 Besucher mit dem Coronavirus infiziert haben. Etwa 20.000 Menschen hatten das zweitägige Open-Air-Festival Anfang des Monats besucht. Die Organisatoren reagierten geschockt.
Der Aerosol-Experte Gerhard Scheuch geht jedoch weiter davon aus, dass sich Menschen insbesondere in Innenräumen anstecken. Sollte tatsächlich die Infektionsgefahr im Freien ansteigen, hieße das, dass dies für Innenräume noch stärker zutreffe, teilte er auf Anfrage mit. Gerade bei Fußballspielen und auf Festivals teilten sich zudem viele Menschen bestimmte Räume, etwa auf der Anfahrt, bei der Übernachtung oder die Toiletten. So könne man durchaus annehmen, dass viele der Infektionen, die im Zusammenhang mit Open-Air-Veranstaltungen erfasst wurden, eben doch in Räumen stattgefunden haben könnten.
Bei solchen Ausbrüchen ist also immer auch die Frage, ob die Menschen Abstände einhielten, ob sie Masken trugen und ob es zum Beispiel an bestimmten Orten zu engeren Kontakten kam, etwa beim Warten vor den Toiletten oder an anderen Stellen. Auch die Tätigkeit bei einer Veranstaltung dürfte eine wichtige Rolle spielen: Singt man zum Beispiel laut, kommt es verstärkt zum Ausstoß von Aerosolen.
Der US-Epidemiologe Eric Feigl-Ding zeigte sich bei Twitter kürzlich besorgt über die seiner Meinung nach vielen Hinweise auf Übertragungen im Freien. Er verwies auch auf die mutmaßlichen Ansteckungen in Indien bei religiösen Veranstaltungen, die größtenteils im Freien stattgefunden hätten. Er warnt zudem schon länger davor, dass Delta bei flüchtigen Begegnungen übertragen werden könne.
Das Robert Koch-Institut (RKI) hat keine geänderte Einschätzung: Auf der Webseite des Instituts heißt es, Übertragungen kämen im Außenbereich insgesamt selten vor und hätten einen geringen Anteil am gesamten Geschehen. Werde der Mindestabstand gewahrt, sei die Wahrscheinlichkeit der Übertragung im Außenbereich wegen der Luftbewegung "sehr gering". Das Einhalten von mindestens anderthalb Meter Abstand und das Vermeiden größerer Menschenansammlungen empfiehlt das RKI aber auch im Freien, damit man weniger Tröpfchen und Aerosole direkt abbekommt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte kürzlich auch auf eine Studie aus China hingewiesen, die die Gefährlichkeit von Delta untermauere: Dort wurden Menschen untersucht, die nach Kontakt mit einem Delta-Infizierten in Quarantäne waren. Der PCR-Test sei bei ihnen schon nach durchschnittlich vier statt wie bei frühen Varianten nach sechs Tagen positiv gewesen. Außerdem sei die Viruslast beim ersten Positiv-Test 1.200 mal höher gewesen verglichen mit ursprünglichen Varianten. "Das legt nahe, dass diese besorgniserregende Variante sich möglicherweise schneller vermehrt und in den frühen Stadien der Infektion ansteckender ist", so die WHO.
Forschende von der Gesundheitsbehörde Public Health England entdeckten eine etwas verminderte Effektivität von Impfstoffen gegen die Delta-Variante. Die Wirksamkeit des Produkts von Biontech/Pfizer gegen eine Corona-Erkrankung durch Delta lag bei 88 Prozent. Bei Astrazeneca waren es 67 Prozent, wie das Team im "New England Journal of Medicine" (NEJM) schreibt. Zum Vergleich: Die Effektivität gegen die Ursprungsvariante betrug bei Biontech/Pfizer 95 Prozent und bei Astrazeneca rund 80 Prozent. Da die Wirkung gegen Delta nach nur einer Spritze bei beiden Impfstoffen noch erheblich geringer gewesen sei, sollten Menschen unbedingt zweimal damit geimpft werden.