Ganz im Zeichen der Covid-19-Pandemie steht die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM), die als Digitalveranstaltung von Mittwoch bis Samstag stattfindet. Mit insgesamt fast 203.000 Verdachtsmeldungen auf eine Berufskrankheit oder einen Arbeitsunfall ist Covid-19 als Ursache von berufsbedingten Krankheiten absolut dominant geworden. Zum Vergleich: Die Fallzahl aller anderen Berufskrankheiten liegt bei 70.000, am häufigsten darunter durch UV-Strahlung verursachte Krankheiten, berichtete DGAUM-Präsident Professor Thomas Kraus (RWTH Aachen) bei der Auftakt-Pressekonferenz. “Covid-19 ist die derzeit größte Herausforderung der Arbeitsmedizin.”
Im Fall von Covid-19 wird zwischen Berufskrankheit und Arbeitsunfall unterschieden. Als Berufskrankheit wird Covid-19 nur bei bestimmten Personengruppen anerkannt, die im wesentlichen im Gesundheitswesen oder in der Freien Wohlfahrtspflege beschäftigt sind. Seit Ausbruch der Pandemie wurden insgesamt 169.000 Verdachtsfälle gemeldet, die Anerkennungsquote liegt bei 75 Prozent.
Mit einem Anteil von 66 Prozent sind Pflegekräfte die am häufigsten von Covid-19 betroffene Berufsgruppe, gefolgt von Kindergärtnerinnen mit acht Prozent und Ärzten mit 4,7 Prozent.
Für Berufe aus anderen Arbeitsbereichen als dem Gesundheitswesen und der Wohlfahrtspflege wird Covid-19 derzeit als Arbeitsunfall bewertet. Die Zahl der Verdachtsmeldungen seit Pandemiebeginn liegt bei knapp 34.000; die Anerkennungsquote ist mit knapp 31 Prozent deutlich niedriger als die bei einer Berufskrankheit. Grund dafür ist, dass der Kausalitätsnachweis in vielen Branchen alles andere als trivial ist. Gegenwärtig sind die Erkenntnisse über berufs- und arbeitsplatzspezifische Infektionsrisiken noch spärlich, so Kraus. In den nächsten Monaten soll geklärt werden, ob auch für andere Berufsfelder als die des Gesundheitswesens oder der Wohlfahrtspflege die Anerkennung einer Berufskrankheit möglich ist. Denkbar ist die Einbeziehung von Personal im öffentlichen Verkehr, im Post- und Logistikbereich sowie bei Wach- und Sicherheitsdiensten und Teilen der Lebensmittelindustrie.
Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Kausalität machte Kraus am Beispiel der Fleischfabrik Tönnies in Gütersloh deutlich, in der sich 2020 ein Corona-Hotspot entwickelte. Unklar war, ob die Arbeitsbedingungen – Kälte und unzureichende Belüftung – oder die prekären Unterbringungsverhältnisse der ausländischen Mitarbeiter die Infektionswelle ausgelöst hatte.
Eine weitere Herausforderung, so Kraus, sind Langzeitfolgen von Covid-19. Hier ist die Beurteilung für die Anerkennung als Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls noch schwieriger. Denn auch dann, wenn eine Infektion akut milde und fast ohne Symptome verläuft, können gravierende Post-Covid-Symptome auftreten, die ihre Ursache in der beruflichen Tätigkeit haben.
Eine weitere Folge der Pandemie von arbeitsmedizinischer Relevanz war die Verlagerung von Arbeit in die eigene Wohnung: Waren nach einer Erhebung der DAK Gesundheit im ersten Quartal 2020 nur zehn Prozent der Arbeitskräfte regelmäßig im Homeoffice tätig, so waren es ein Jahr später 38 Prozent.
Arbeitsmediziner sehen Vor- und Nachteile der Arbeit im Homeoffice: Günstig wirken sich wachsende Entscheidungsspielräume und Vorteile der Flexibilität sowie der Möglichkeit zur individuellen Gestaltung des Arbeitsplatzes aus, negative Effekte seien hinsichtlich der Aufgabenklarheit und der sozialen Beziehungen – Kontakt zu Kollegen – zu beobachten, so Professor Jessica Lange von der RWTH Aachen. Sie sieht auch ein wachsendes Risiko für fehlende Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben und für Präsentismus. Und schwierig ist es offenbar auch, Mitarbeiter im Homeoffice mit betrieblicher Gesundheitsförderung zu erreichen: Nur elf Prozent der Beschäftigten im Homeoffice wurden nach einer Erhebung der DAK Gesundheit 2021 Leistungen des betrieblichen Gesundheitsmanagements angeboten.