COVID-19: Seltene Zellen im Blut weisen auf schweren Verlauf hin

Bei schweren Verläufen einer COVID-19-Erkrankung weisen neben den Immunzellen auch unreife Vorläuferzellen im Blut, die normalerweise nur im Knochenmark vorkommen, auf einen besonders schweren Verlauf der Erkrankung hin.

Bestimmte Zelltypen im Blut identifiziert

Bei schweren Verläufen einer COVID-19-Erkrankung weisen neben den Immunzellen auch unreife Vorläuferzellen im Blut, die normalerweise nur im Knochenmark vorkommen, auf einen besonders schweren Verlauf der Erkrankung hin und könnten zu vielen der klinischen Komplikationen beitragen. Das hat ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Exzellenzclusters "Precision Medicine in Chronic Inflammation" (PMI) herausgefunden.

Beteilgt waren Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), des Universitätsklinikums Schleswig-Holsteins (UKSH) und der Universitäten Bonn, Köln, Lübeck, Tübingen und Nijmegen sowie des Forschungszentrums Borstel – Leibniz Lungenzentrum und des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und KollegInnen des nationalen DFG Forschungsverbundes "Deutsche COVID-19 OMICS Initiative" (DeCOI)

Biomarker für einen schweren COVID-19-Verlauf

Die meisten Infektionen mit SARS-CoV2 verlaufen mild oder sogar symptomlos, bei den schweren Formen können neben einer Lungenentzündung auch das Herz oder die Niere betroffen sein. Schuld ist eine fehlgeleitete Entzündungsreaktion. Auch Schäden an kleinen Blutgefäßen und eine zu starke Blutgerinnung wurden mittlerweile als entscheidende Faktoren für schwere Verläufe identifiziert. Blutgerinnsel in der Lunge sind eine der häufigsten direkten Todesursachen bei COVID-19.

Noch immer wisse man recht wenig darüber, was den Krankheitsverlauf und die Schwere der Erkrankung beeinflusst, erklärt Prof. Philip Rosenstiel, Direktor des Instituts für klinische Molekularbiologie (IKMB) der CAU und des UKSH und Vorstandsmitglied im Exzellenzcluster PMI. Könnte man bestimmte molekulare Fingerabdrücke im Blut identifizieren, die schon früh auf einen schweren Verlauf hinweisen, fragten sich die Forschenden Diese Serienaufnahmen der Krankheit hätten die Forschenden zu vorher unbeachteten Zelltypen geführt, die charakteristisch für eine schwere COVID-19-Erkrankung sind.

Zwei unreife Blutzelltypen charakteristisch für schweren Verlauf

Untersucht wurden Blutproben von PatientInnen, die an den Universitätskliniken Kiel, Bonn, Köln und Nijmegen wegen einer COVID-19-Erkrankung stationär behandelt wurden. Bei 14 Erkrankten wurden die im Blut vorkommenden Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten während der Erkrankung analysiert. Als Vergleichsgröße dienten Blutproben gesunder Personen. Mithilfe der Einzelzellgenomik habe man Hunderttausende Zellen durch Sequenzierung parallel analysiert und damit auch seltenere Zelltypen identifizieren können, sagt Dr. Joana Pimenta Bernardes vom Exzellenzcluster PMI und Postdoc am IKMB, die gemeinsam mit Dr. Florian Tran, Clinician Scientist, und Dr. Neha Mishra, die als Postdoc ebenfalls am IKMB forscht. Zusammen mit anderen Daten wie klinischen Laborwerten und Messungen von Entzündungsbotenstoffen haben die WissenschaftlerInnen eine Signatur der veränderten Funktionsweise dieser Zellen erstellt und verfolgt.

Signaturen von zwei unreifen Zelltypen sind demnach für die COVID-19-Erkrankung besonders charakteristisch: Vorläuferzellen von Blutplättchen, den Megakaryozyten, und von unreifen roten Blutkörperchen. Normalerweise befinden sich diese im Knochenmark. Solche Ausschwemmungen habe man bisher nur bei schwerkranken PatientInnen, zum Beispiel mit einer bakteriellen Sepsis (Blutvergiftung) festgestellt, erklärt Tran. Die Analysen des Teams lieferten ein sehr detailliertes Bild von den zellulären Veränderungen während des gesamten Krankheitsverlaufs.

Mögliche Erklärung für Gerinnungsprobleme bei COVID-19

39 COVID-19-PatientInnen wurden in Nijmegen auf der Intensivstation behandelt, hatten also besonders schwere Verläufe. Bei den Personen, die an der Erkrankung verstarben, fiel während des Krankheitsverlaufs die Signatur der Megakaryozyten und der Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen deutlich stärker aus als bei den Personen, die überlebten. Blutplättchen seien zuständig für die Blutgerinnung und eine der häufigsten direkten Todesursachen bei COVID-19 sind Gerinnungsprobleme, so Rosenstiel. Er vermutet, dass die aktivierten Megakaryozyten im Blut Blutplättchen hervorbringen, die leichter aggregieren und damit zu den Gerinnungsproblemen führen. Die Zunahme der Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen deutet auf einen Sauerstoffmangel hin und ist als Notfallreaktion bei schweren Lungenerkrankungen bekannt.

Durch die vorliegende Arbeit sei eine Grundlage für diagnostische Testverfahren entstanden, die anhand von Blutproben bereits früh einen schweren Krankheitsverlauf erkennen lassen und mit denen  die Versorgung besonders schwer Betroffener gezielt verbessert werden könne, hofft Prof. Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Innere Medizin I, UKSH, Campus Kiel.

Quelle:
J.P. Bernardes*, N. Mishra*, F. Tran* et al: Longitudinal multi-omics analyses identify responses of megakaryocytes, erythroid cells and plasmablasts as hallmarks of severe COVID-19 trajectories. Immunity (2020). https://doi.org/10.1016/j.immuni.2020.11.017