Menschen mit HIV gehören aufgrund ihrer Immunsuppression zweifelsfrei zu den vulnerablen Gruppen in der COVID-19-Pandemie. Doch gilt das pauschal für alle HIV-Patient*innen? Und welcher Impfstoff gegen SARS-CoV-2 ist zum Schutz der Menschen mit HIV wohl geeignet?
Ein Jahr Corona-Pandemie ist geschafft und so langsam kommen die ersten Daten zu HIV-Infizierten und deren Krankheitsverlauf bei COVID-19-Koinfektion heraus. Auf dem diesjährigen, virtuellen DAÖK 2021 wurde dazu unter anderem eine retrospektive Kohortenanalyse präsentiert.
Die Teilnehmer*innen der Studie waren überwiegend männlich (84%) und befanden sich in 99% der Fälle unter antiretroviraler Therapie. Die Symptomatik der Menschen mit HIV, die zeitgleich eine SARS-CoV-2-Infektion durchmachten, unterschied sich nicht wesentlich von den Verläufen der Allgemeinbevölkerung. 11% der Studienteilnerhmer*innen hatten demnach einen asymptomatischen und 79% einen milden Verlauf. Zu den dabei am häufigsten beobachteten Symptomen zählten unter anderem:
Etwa 10% der Studienteilnehmer*innen erfuhr einen schweren Krankheitsverlauf, 3,2% verstarben. Doch was bestimmte letztlich, wer von den HIV-Infizierten wie schwer erkrankte?
Es zeigte sich, dass diejenigen, welche aktuell niedrige CD4+-Zellzahlen (< 200 Zellen/µl) oder einen niedrigen Nadir < 200 Zellen/µl hatten, am häufigsten zu schweren COVID-19-Verläufen neigten. Das bedeutet für die Praxis, dass insbesondere diejenigen HIV-Patient*innen mit einer stärkeren Immunsuppression schwer an SARS-CoV-2 erkranken können.
Darüber hinaus erhöhte der Immundefekt auch das Risiko für eine stationäre Aufnahme, ebenso wie ein Alter > 60 Jahre in Kombination mit einer HIV-/SARS-CoV-2-Koinfektion. Ebenso gefährdet waren Teilnehmer*innen, die an einer oder mehreren Komorbiditäten litten.
Die aktuellen EACS Leitlinien 10.1 empfehlen für HIV-Infizierte nach Immunrekonstitution (CD4+ > 200 Zellen/µl) einen Impfschutz gegen diverse impfpräventable Infektionskrankheiten aufzubauen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Menschen mit HIV keine attenuierten Lebendimpfstoffe verabreicht werden sollen, wenn sie aktuell immunsupprimiert sind (CD4+ < 200 Zellen/µl). Ebenso sind Polysaccharid-Impfstoffe bei Menschen mit HIV kontraindiziert. Als Erfolgskontrolle einer Impfung empfiehlt sich die Bestimmung des Impftiters. Folgende Impfungen werden derzeit für Menschen mit HIV-Infektion empfohlen:
Doch was ist mit COVID-19-Vakzinen? Diese tauchen auch in den aktuellen Empfehlungen nicht auf bzw. werden HIV-Patient*innen nicht explizit als vulnerable Impfgruppe angesprochen. Nicht ganz ohne Grund, wie auf dem DÖAK anhand der derzeit verfügbaren COVID-19-Vakzine erklärt wurde.
Mit Stand Anfang März 2021 gab es 60 Phase II/III-Studien zu COVID-10-Impfstoffen, die mehr als 680.000 Proband*innen einschlossen. Derzeit existieren zudem vier wesentliche Impfstoffklassen, die erforscht werden: Adenovirus-Vektor-basierte Vakzine, inaktivierte Vakzine, rekombinante Spike-Protein-Vakzine sowie erstmals in der Impfgeschichte auch mRNA-Vakzine.
Mit einem Blick auf die Ausschlusskriterien der Studien wird jedoch sehr schnell klar, weshalb es bei der Fülle an Möglichkeiten nach wie vor keine verlässlichen Aussagen zu Impfverträglichkeit und Wirksamkeit bei Menschen mit HIV gibt. Diese wurde in den Zulassungsstudien nicht vergessen, sondern schlichtweg von vornherein als Ausschlusskriterium von der Mehrzahl der Studien als immundefizient abgelehnt.
So schlossen beispielsweise drei der fünf Studien zum BioNTech-Impfstoff HIV-Patient*innen komplett aus. Die zwei anderen Studien ließen indes lediglich Patient*innen zu, deren CD4- Zellzahl bei > 200 Zellen/µl lag. Immunsupprimierte, die das höhere Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben, wurden somit nicht untersucht. Moderna und CureVac schlossen insgesamt Menschen mit HIV von der Studienteilnahme aus. Bei Astra Zeneca und Johnson & Johnson gibt es keine Daten für Patient*innen unterhalb von 300 CD4+ Zellen/µl.
Somit sind Menschen mit HIV aktuell von der COVID-19-Impfung faktisch ausgeschlossen. Eine Empfehlung für oder gegen einen der bereits in Deutschland zugelassenen Impfstoffe ist derzeit unmöglich, aufgrund des für diese Fälle herrschenden Datenmangels.
Menschen mit HIV und einer CD4+ Zellzahl < 200 Zellen/µl haben aufgrund ihrer Immunsuppression ein höheres Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken.
Gleichzeitig besteht bei ihnen aufgrund der Immunsuppression die Indikation für eine Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2.
In den Zulassungsstudien aller derzeit verfügbaren COVID-19-Vakzine wurden immunsupprimierte HIV-Patient*innen mit CD4+ < 200- 350 Zellen/µl nicht untersucht. Eine Aussage zu Wirksamkeit und Verträglichkeit einzelner COVID-Vakzine für die vulnerable Gruppe der immunsupprimierten HIV-Patient*innen ist damit nicht möglich.
Ohne sorgfältige Pharmakovigilanz-Studien wird die breit angelegte Impfung von HIV-Patient*innen gegen SARS-CoV-2 im Jahr 2021 daher ein Blindflug bleiben.
Quelle: DÖAK 2021