“Gewöhnen Sie sich besser frühzeitig an die Möglichkeiten und den Einsatz der Immunonkologie in der urologischen Therapie. Sie wird bleiben und zukünftig weiter ausgebaut werden”, riet Prof. Dr. med. Jürgen Gschwend aus München seinen zahlreich erschienenen Kollegen anlässlich eines Satellitensymposiums auf dem 68. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Leipzig.
Mit Nivolumab steht seit dem Frühsommer 2016 in Deutschland ein gänzlich neuer Wirkansatz für die Second-Line-Therapie des Nierenzellkarzinoms zur Verfügung. Anders als die bisher beim Nierenzellkarzinom einsetzbaren Angiogenesehemmer und Tyrosinkinaseinhibitoren handelt es sich bei Nivolumab um einen Antikörper, der sich gegen den humanen Immun-Checkpoint-Rezeptor PD-1 richtet. PD-1 wird auf T-Zellen exprimiert und fungiert bei diesen nach Bindung seines Liganden als Abschaltsignal. Dadurch wird in erster Linie verhindert, dass sich Immunreaktionen dauerhaft im Körper abspielen und die Gefahr für Autoimmunreaktionen somit ansteigt.
Tumoren, wie das Nierenzellkarzinom, nutzen diesen Mechanismus jedoch aus, indem sie auf ihrer Zelloberfläche den passenden Liganden PD-L1 zeigen. Bindet nun eine aktivierte, zytotoxische T-Zelle die Tumorzelle, binden gleichzeitig die Spieler des Co-Signals PD-1/PD-L1. Die T-Zelle wird daraufhin inaktiviert und die Tumorzelle überlebt. Mithilfe dieses Escape-Mechanismus weicht der Tumor dem Immunsystem aus und entwickelt sich unbehelligt weiter.
Nivolumab richtet sich gegen diese Interaktion zwischen PD-1 und seinem Liganden PD-L1, wodurch das Co-Signal nicht zustande kommt, die T-Zelle die Tumorzelle als Gefahr erkennt und abtötet. Mit diesem Behandlungsansatz steht in der Urologie erstmals ein Mittel zur Verfügung, welches die körpereigene Immunabwehr des Patienten im Kampf gegen den Tumor erfolgreich und quantifizierbar unterstützt.
Die Zulassungserweiterung von Nivolumab auf das fortgeschrittene Nierenzellkarzinom basierte auf den Ergebnissen der Phase-III-Studie CheckMate -025.1 CheckMate-025 ist eine offene, randomisierte Phase-III-Studie, die Nivolumab im Vergleich zu Everolimus bei Patienten mit fortgeschrittenem klarzelligem Nierenzellkarzinom nach Vortherapie mit einem Angiogeneseinhibitor untersuchte. Nach der Randomisierung erhielten die Patienten entweder Nivolumab (3 mg/kg Körpergewicht intravenös, jede zweite Woche) oder Everolimus (10 mg täglich oral). Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass mit Nivolumab behandelte Patienten eine Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit von mehr als 5 Monaten erreichten bei einer medianen Gesamtüberlebenszeit von 25 Monaten im Vergleich zu 19,6 Monaten bei Everolimus (HR: 0,73; 98,5 %-KI: 0,57–0,93; p = 0,0018).
Zusätzlich zum verbesserten Gesamtüberleben wies Nivolumab eine höhere objektive Ansprechrate (ORR) im Vergleich zu Everolimus auf (25,1 % [95 %-KI: 21–29,6] im Vergleich zu 5,4 % [95 %-KI: 3,4–8,0]). Bei 47,6 % der ansprechenden Patienten fand sich zudem ein anhaltendes Ansprechen von bis zu 27,6 Monaten. Ebenso verbesserten sich mit Nivolumab im Vergleich zu Everolimus die krankheitsbezogenen Symptome und die Lebensqualität (QoL) gemessen mit dem Functional Assessment of Cancer Therapy-Kidney Symptom Index-Disease Related Symptoms.
Unter der Immunbehandlung kann es bei einigen Patienten zu einem von der Chemotherapie abweichenden Ansprechverhalten kommen. Unter Umständen kann es einige Monate dauern, bis ein Effekt überhaupt sichtbar wird. Dennoch kann davon unabhängig ein erstes Ansprechen erfolgt sein und die Tumorerkrankung wurde bereits langanhaltend stabilisiert.
Unter Umständen ist zu beobachten, dass der Tumor trotz Immuntherapie mit Nivolumab anfangs zu wachsen scheint. Gerade im Frühstadium der Behandlung kommt es mitunter zu einem Einstrom von aktivierten T-Zellen, die vom Tumor nicht mehr gehemmt werden können und ihn angreifen. Durch diesen Einstrom von Immunzellen steigt die Zellzahl in und um den Tumorherd an. Der Tumor scheint dadurch vermeintlich zu wachsen. Diese sogenannte Pseudoprogression muss jedoch zwingend von einem echten Progress unterschieden werden. Im weiteren Behandlungsverlauf sollte die Tumorgröße bei Pseudoprogression beständig abnehmen, und zwar in einem solchen Maß, indem auch die Tumorzellen von den aktivierten T-Zellen abgetötet werden.
Darüber hinaus ergeben sich aus dem immunologischen Ansatz dieser Behandlung in der Uroonkologie bisher unbekannte Nebenwirkungsprofile. Durch den Eingriff in die Kontrolle überschießender Immunreaktionen mittels Blockade der PD-1/PD-L1-Interaktion kann es zu unerwünschten, potenziell schwerwiegenden oder sogar lebensbedrohlichen Immunreaktionen kommen. Prinzipiell betreffen solche Ereignisse alle Organsysteme, sie kommen aber am häufigsten an der Haut (z. B. Ekzeme) oder im Gastrointestinaltrakt (z. B. Diarrhö) vor. Grundsätzlich können Nebenwirkungen jederzeit auftreten, sodass eine enge Kontrolle der Patienten nötig ist. Dies sollte unbedingt auch beinhalten, andere betreuende Fachärzte sowie den Hausarzt zu informieren. Treten Nebenwirkungen auf, würde der Patient dann sehr viel schneller an seinen behandelnden Uroonkologen verwiesen werden können. In schweren Fällen wird kurzzeitig mit Kortikosteroiden therapiert oder die Behandlung muss sogar gänzlich abgebrochen werden. Die Mehrzahl der auftretenden unerwünschten Ereignisse beim Einsatz von Nivolumab ist aber in der Regel schnell und einfach zu beherrschen.
Quellen: 1. Motzer RJ, Escudier B, McDermott DF, et al. Nivolumab versus everolimus in advanced renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2015;373(19):1803–13.
Satellitensymposium “Immunonkologie beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom: Neue Chancen und Herausforderungen – Therapie im Wandel.” (Veranstalter: Bristol-Myers Squibb), 68. DGU-Kongress 2016, Leipzig.